Schallenberg und Karner reisen nach Kairo und Ankara
Ägypten sei "politisch, wirtschaftlich und in Bezug auf Sicherheit und Migration ein wichtiger Partner in der Region für die EU und Österreich", wurde im Vorfeld betont. In Kairo werden Schallenberg und Karner nach der samstägigen Anreise am Sonntag ihre ägyptischen Amtskollegen Sameh Shoukry und Tawfik Quandil treffen.
Schon zuvor beraten sie gemeinsam mit Vertretern internationaler Organisationen wie der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen), dem WFP (World Food Programm) und der IOM (Internationale Organisation für Migration). Schallenberg kommt auch mit Menschenrechtsvertretern und Migrationsexperten zusammen. Zudem wird der Linzer Stahlkonzern Voest im Beisein von Transportminister Kamel el Wazir und Premier Moustafa Madbouli ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnen. Ägypten ist für Österreich der zweitwichtigste Exportmarkt in Afrika (nach Südafrika).
Ein Schwerpunkt der Treffen in Ägypten ist die Nahrungsmittelsicherheit, etwa mittels der Versorgung des afrikanischen Kontinents mit ukrainischem Weizen. Ägypten leidet unter den ausbleibenden Getreidelieferungen aus der Ukraine aufgrund der Seeblockade Russlands im Schwarzen Meer. "Die steigenden Weizenpreise treffen Ägypten besonders hart. Das Land ist der weltweit führende Weizenimporteur, 80 Prozent des benötigten Weizens wird importiert, die Ukraine und Russland sind Hauptlieferanten", analysiert das Außenministerium (BMEIA) die Lage.
Auch der steigende Ölpreis trage zu einer sehr angespannten Situation bei, da Benzin in Ägypten stark subventioniert werden. "Rund 30 Prozent der Menschen im Land leben an oder unter der Armutsgrenze. Das Potenzial für Instabilität im Land und für Migration nach Europa ist erheblich. Die EU versucht, beiden Trends entgegen zu steuern und hat kurzfristig 100 Millionen Euro Unterstützung der Lebensmittelsicherheit in Ägypten zur Verfügung gestellt."
"Die globale Nahrungsmittelkrise, die durch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine provoziert wurde, verschlimmert sich täglich, Ägypten leidet als Hauptimporteur von ukrainischem Weizen besonders darunter", stellte der Außenminister selbst fest. Der russische Präsident Wladimir Putin treibe die Preise in die Höhe und Menschen in Nordafrika in die Armut. "Russland blockiert ukrainische Häfen im Schwarzen Meer, zerstört gezielt Getreidesilos und verhindert durch die fortgesetzten Kampfhandlungen ein normales Bestellen und Ernten der Felder."
Putin führe einen Krieg mit "unglaublichem Zynismus und mit Hunger als Waffe", so Schallenberg. "Wir unterstützen alle internationalen Bemühungen, damit die Exporte von Getreide und Saatgut aus der Ukraine schnellstmöglich wieder aufgenommen werden können." Um diese zu garantieren, sind "grüne Korridore" angedacht, über die trotz des Kriegs in der Ukraine etwa Getreide über das Schwarze Meer exportiert werden kann.
Als Vermittlerin bzw. Überwacherin soll die Türkei gewonnen werden, die von beiden Kriegsgegnern als Partnerin akzeptiert wird. Das NATO-Mitglied hat gute Beziehungen zu beiden Staaten und verfolgt das Ziel, eine Balance zwischen den russischen und ukrainischen Interessen zu finden.
In Ankara und Kairo werden aber auch "die Migration, die Rückkehr illegaler Migranten und die Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Schlepperei und Menschenhandel zentrale Themen sein", wurde betont. "Die Asylanträge aus der Türkei haben im Zeitraum von Jänner-Mai 2022 stark zugenommen."
Karner kommt am Montag in Ankara mit seinem Counterpart Süleyman Soylu zusammen. Schallenberg trifft den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu, mit dem er bereits Mitte Juni am Rande des Prespa-Forums für Dialog in Ohrid in Nordmazedonien bilateral konferiert hatte. Auch dabei war es unter anderem um die Getreidetransporte gegangen.
Karner: "Den Kampf gegen Schlepperei und illegale Migration kann kein Land für sich allein führen. Hier ist internationale Zusammenarbeit unverzichtbar. Deshalb möchten wir die Kooperation mit Ägypten und der Türkei verstärken und die polizeiliche Zusammenarbeit ausbauen."
Schallenberg: "Der Migrationsdruck auf die europäischen Außengrenzen hat zuletzt massiv zugenommen. Wir sehen erst die Spitze des Eisberges der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des brutalen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Hier braut sich ein Sturm in Nordafrika und dem Nahen Osten zusammen, dessen Ausläufer früher oder später auch Europa erreichen werden. Die Türkei ist für Europa ein zentraler Partner wenn es darum geht, illegale Migration zu verhindern."
Mit dem Besuch geht die ÖVP-Grünen-Bundesregierung zudem weiter auf Annäherungskurs mit dem System Erdogan in der Türkei. Am Mittwoch hatte Bundeskanzler Karl Nehammer nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten und Regierungschef am Rand des NATO-Gipfels in Madrid vom "Beginn eines entspannteren Verhältnisses" gesprochen. In den Tagen zuvor war Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), aber auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), in der türkischen Hauptstadt bei Erdogan zu Gast gewesen.
In den vergangenen Jahren hatte es eine politische Eiszeit zwischen Wien und Ankara gegeben. Ab 2014 wurde der türkische Präsident insbesondere von Sebastian Kurz (ÖVP) - zunächst als Außenminister und später als Kanzler - zu einer Art Outlaw stigmatisiert. Im Zentrum der Missbilligungen standen der Demokratie- und Rechtsstaatsabbau unter Erdogan, seine Einflussnahme auf die türkische Diaspora in Österreich sowie seine vermeintlichen Versuche, die EU mit Migranten zu erpressen. Österreich machte sich auch für den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei stark.
International wird auch Erdogans repressive Politik gegenüber kritischen Medien und der kurdischen Minderheit in der Türkei angeprangert. Der türkische Staat und militante Kurdenorganisationen, die eine Autonomie fordern, liefern einander bewaffnete Konflikte. Diese waren auch ein Anlass, warum sich Erdogan eine Weile gegen die NATO-Beitritte von Finnland und Schweden gestellt hatte. Insbesondere Schweden warf er zumindest indirekte Unterstützung kurdischer "Terroristen" vor.
Wenn Erdogan von "Terrorismus" spricht, bezieht er sich meist auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die syrische Kurdenmiliz YPG und die Gülen-Bewegung, die die Türkei für den Putschversuch von 2016 verantwortlich macht. Ob diese Problemzonen während des Besuchs auch erörtert werden sollen, wurde seitens der Ministerbüros vor der Reise nicht explizit angesprochen.
Ewa Ernst-Dziedzic, Nationalratsabgeordnete der mitregierenden Grünen, gab Schallenberg und Karner am Freitag mit auf den Weg: Die Annäherung gegenüber der Türkei dürfe nicht unkritisch passieren. "Selbstverständlich unterstützen wir einen diplomatischen Austausch sowie eine konstruktive Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Ein Ausblenden von so zentralen Fragen wie der Ankündigung Präsident Erdogans, in Nordsyrien weitere Teile des Landes militärisch besetzen zu wollen, darf jedoch gerade aus Sicht einer Neutralitäts- und Friedenspolitik nicht geschehen", mahnte die Sprecherin für Außenpolitik und Menschenrechte in einer Aussendung. Es dürfe nicht sein, dass die Unterstützung der Kurden nun gegenüber der Türkei geopfert werde, so Ernst-Dziedzic, die dieser Tage nach Syrien und in die autonome Kurdenregion im Nordirak reist.
Zusammenfassung
- In Ankara dürfte die jüngste ÖVP-Charmeoffensive gegenüber dem autokratischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fortgesetzt werden.