Schallenberg: Ägypten darf nicht "ins Rutschen kommen"
Dem gelte es entgegenzuwirken, konstatierte Außenminister Alexander Schallenberg am späten Samstagabend zu Beginn eines Besuchs in Kairo, in dessen Rahmen er und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) am Sonntag mit den jeweiligen Amtskollegen zusammenkommen werden. "Keiner hat ein Interesse, dass das größte Land Nordafrikas ins Rutschen kommt."
Nahrungsmittelkrise
Ägypten leide als Hauptimporteur von ukrainischem Weizen besonders unter der durch den Krieg ausgelösten Nahrungsmittelkrise, stellte Schallenberg fest. 80 Prozent des in Ägypten benötigten Weizens würden importiert, die Ukraine und Russland sind Hauptlieferanten". Der russische Präsident Wladimir Putin treibe die Preise aber in die Höhe und Menschen in Nordafrika in die Armut, kritisierte Schallenberg. "Russland blockiert ukrainische Häfen im Schwarzen Meer, zerstört gezielt Getreidesilos und verhindert durch die fortgesetzten Kampfhandlungen ein normales Bestellen und Ernten der Felder, stellte der Außenminister fest.
Gestiegener Ölpreis
Auch der steigende Ölpreis trage zu einer sehr angespannten Situation bei, da Benzin in Ägypten stark subventioniert wird. "Rund 30 Prozent der Menschen im Land leben an oder unter der Armutsgrenze. Das Potenzial für Instabilität im Land und für Migration nach Europa ist erheblich. Die EU versucht, beiden Trends entgegen zu steuern und hat kurzfristig 100 Millionen Euro Unterstützung der Lebensmittelsicherheit in Ägypten zur Verfügung gestellt", hatte der Außenminister bereits vor der Reise konstatiert.
Finanziell am Boden
Ägypten sei aber bereits jetzt auf finanzielle Zuwendungen aus den Golfstaaten angewiesen. Zwar drohe keine unmittelbare Hungerkrise, weil es noch Vorräte gebe, doch mache sich in der Bevölkerung Angst wegen der Teuerungen breit. So würden weite Teile der Mittelschicht einen sozialen Abstieg oder Einbruch befürchten. Ägypten erlebe zudem eine demografische Explosion, so Schallenberg. Die Bevölkerungszahl ist seit 2005 von knapp 71 Millionen bis 2020 auf über 100 Millionen angestiegen. Tendenz weiter steigend.
Zwischen den Stühlen
In Zusammenhang mit Russlands Angriff auf Krieg in der Ukraine müsse auch Informations- und Überzeugungsarbeit geleistet werden, meinte der Außenminister. In Nordafrika und damit auch Ägypten sei das "russische Narrativ" weit verbreitet, wonach die EU-Sanktionen gegen Russland an der verheerenden Situation schuld seien. Es müsse der Bevölkerung beispielsweise erklärt werden, dass der russische Angriff auf die Ukraine jenem von Iraks Diktator auf Kuwait im Jahr 1990 gleiche. Das würden das Verständnis für die tatsächliche Lage fördern.
Putin führe einen Krieg mit "unglaublichem Zynismus und mit Hunger als Waffe", meinte Schallenberg. "Wir unterstützen alle internationalen Bemühungen, damit die Exporte von Getreide und Saatgut aus der Ukraine schnellstmöglich wieder aufgenommen werden können." Um diese zu garantieren, sind "grüne Korridore" angedacht, über die trotz des Kriegs in der Ukraine Getreide über das Schwarze Meer exportiert werden kann.
Als Überwacherin soll die Türkei gewonnen werden, die von beiden Kriegsgegnern als Partnerin akzeptiert wird. Das NATO-Mitglied hat gute Beziehungen zu beiden Staaten und verfolgt das Ziel, eine Balance zwischen den russischen und ukrainischen Interessen zu finden. Schallenberg und Karner reisen daher am Sonntagabend nach Ankara weiter, wo sie am Montag Gespräche mit Regierungsvertretern führen werden. Es handle sich um eine "interessante Kombi", befand der Außenministern. Schließlich seien Ägypten und die Türkei einander in vielen Fragen "spinnefeind".
Frage der Migration
Ägypten sei aber auch ein wichtiger Partner in Migrationsfragen, betonten Schallenberg und Karner, nämlich sowohl Aufnahme-, Durchzugs- als auch Ursprungsland von Flüchtlingen. Laut IOM (Internationale Organisation für Migration) und UNHCR (UNO-Flüchtlingsjochkommissariat) befinden sich aktuell etwa sechs Millionen Flüchtlinge im Land. Die meisten Migranten stammen aus ostafrikanischen Staaten wie Somalia, Eritrea, Äthiopien, dem Sudan und Südsudan. Die Flüchtlinge werden nicht in Lagern untergebracht, sondern leben mit unterschiedlichstem Status meist in den großen Ballungsräumen. "Ägypten hat seine Mittelmeergrenze effektiv für Flüchtlinge geschlossen, es kommen so gut wie keine Flüchtlinge über diesen Weg nach Europa", heißt es in einem Papier des Außenministeriums.
Österreichs Sicherheit beginne aber "nicht an der Landesgrenze", begründete Schallenberg die Notwendigkeit von Besuchen wie jenem in Kairo. "Wir müssen auch flussaufwärts gehen." Der ÖVP-Innenminister erinnerte daran, dass in Österreich von Jänner bis Mai rund 21.000 Personen Asylanträge gestellt hätten, was einer Steigerung von über 150 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2021 entspreche.
Die Steigerung sei aber nicht auf Geflüchtete aus Ländern wie Afghanistan oder Syrien zurückzuführen. Vielmehr würden Menschen aus Bangladesch, Pakistan, Tunesien aber auch Ägypten über und sogar aus der Türkei nach Österreich kommen, wo sie aber kaum Chancen auf Asyl hätten. Karner schlussfolgerte daher: "Wie müssen den Schleppern die Stirn bieten."
Diese würden die aktuelle geopolitische Lage ausnutzen und damit werben, dass die EU-Grenzen offen seien. Schließlich hätten Länder wie Griechenland, Rumänien, Polen oder die Slowakei wegen des Ukraine-Kriegs das Dublin-verfahren außer Kraft gesetzt. Das Dublin-Verfahren ist ein zentraler Bestandteil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). In dem Verfahren wird anhand objektiver Kriterien festgestellt, welcher europäische Mitgliedsstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Nun seien Kampagnen auf Social-Media-Kanälen geplant, erklärte Karner. Darin soll gewarnt werden, dass sich Migranten bei ihrer Flucht in Lebensgefahr begehen würden, vor allem wenn sie sich Schleppern anvertrauen.
Illustre Treffen geplant
In Kairo werden Schallenberg und Karner am Sonntag ihre Amtskollegen Sameh Shoukry und Tawfik Quandil treffen. Zudem sind Austausche mit Vertretern internationaler Organisationen wie der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen), dem WFP (World Food Programm) und der IOM sowie Menschenrechtsvertretern und Migrationsexperten geplant.
Der Linzer Stahlkonzern Voest wird im Beisein des ägyptischen Transportministers Kamel el Wazir und von Premier Moustafa Madbouli ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnen. Ägypten ist für Österreich der zweitwichtigste Exportmarkt in Afrika (nach Südafrika).
Zusammenfassung
- Ägypten bekommt die geopolitischen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine besonders zu spüren.
- "Keiner hat ein Interesse, dass das größte Land Nordafrikas ins Rutschen kommt."
- Dem gelte es entgegenzuwirken, konstatierte Außenminister Alexander Schallenberg am späten Samstagabend zu Beginn eines Besuchs in Kairo, in dessen Rahmen er und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) mit den Amtskollegen zusammenkommen werden.