Scholz in Davos: Putin hat "alle seine strategischen Ziele verfehlt"
"Schon jetzt hat er alle seine strategischen Ziele verfehlt", so Scholz am Donnerstag zum Abschluss der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos. "Eine Einnahme der gesamten Ukraine durch Russland scheint heute weiter entfernt als noch zu Beginn des Krieges. Mehr denn je betont die Ukraine ihre europäische Zukunft."
Zudem habe die "Brutalität des russischen Kriegs" die ukrainische Nation enger zusammengeschweißt als je zuvor und zwei Staaten zur Annäherung an die NATO bewogen: "Mit Schweden und Finnland wollen sich zwei enge Freunde und Partner dem nordatlantischen Bündnis anschließen. Sie sind herzlich willkommen!", sagte der deutsche Kanzler.
Putin habe auch die Geschlossenheit und Stärke unterschätzt, mit der die Gruppe der sieben großen Industrienationen (G7), die NATO und die EU auf seine Aggression reagiert hätten. Putin wolle zurück zu einer Weltordnung, in der der Stärkere diktiere, was Recht sei, sagte Scholz. "Das ist der Versuch, uns zurück zu bomben in eine Zeit, als Krieg ein gängiges Mittel der Politik war."
Klimaziele entschlossener verfolgen
Aufgrund des russischen Angriffskriegs müsse Deutschland nach Ansicht von Scholz zudem seine Klimaziele entschlossener verfolgen. Das Vorhaben, bis 2045 CO2-neutral zu werden, habe durch den Krieg "noch an Bedeutung gewonnen", so der SPD-Politiker. "Jetzt erst recht!" lautet deshalb die Devise." Der russische Krieg sei zwar nicht "alleiniger Auslöser der Zeitenwende", erhöhe aber den Handlungsdruck. Würden die Pariser Klimaziele verfehlt, steuere die Welt auf eine Katastrophe zu. Um weiteres Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, müssten die klassischen Industrieländer in die Entwicklung neuer Technologien investieren, die dann weltweit genutzt werden könnten, sagte Scholz.
In seiner Rede rief Scholz auch zu neuen Formen der internationalen Zusammenarbeit auf. Politische Partner dürfe man nicht länger nur in den immer gleichen Ländern suchen. "In dieser multipolaren Welt fordern ganz unterschiedliche Länder und Regionen gemäß ihrem wachsenden ökonomischen und demografischen Gewicht größere politische Mitsprache ein", sagte Scholz. Er fügte hinzu: "Um es klar zu sagen: Darin liegt keine Bedrohung." Internationale Zusammenarbeit liefere Antworten. Es gehe um Fortschritt in Zukunftsfragen.
So gebe es in Asien, Afrika und Lateinamerika neue, aufstrebende Mächte, die die Chancen der Globalisierung nutzten. "Zu lange haben wir "Demokratie" praktisch gleichgesetzt mit dem "Westen" im klassischen Sinne", sagte Scholz. Deshalb habe er auch Südafrika, den Senegal, Indien, Indonesien und Argentinien zum diesjährigen Gipfel sieben großer Industrienationen (G7) Ende Juni nach Elmau in Bayern eingeladen.
"De-Globalisierung ist ein Holzweg"
Angesichts der Verwerfungen im internationalen Handel warnte Scholz vor einer zunehmenden Abschottung von Volkswirtschaften. "Die De-Globalisierung ist ein Holzweg. (...) Natürlich müssen wir manch strategische Abhängigkeit reduzieren. Auch unsere Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland fällt in diese Kategorie - deshalb wird sie beendet." Mehr Widerstandsfähigkeit erreiche die Wirtschaft in einer krisenanfälligen Welt vor allem, indem sie sich breiter aufstelle.
"Zugleich müssen wir Achtgeben, dass aus notwendiger Diversifizierung kein Vorwand wird für Abschottung, Zollschranken und Protektionismus", warnte er. Der Preis von Zöllen und Handelsschranken werde von Unternehmen, Arbeitnehmern und Verbrauchern bezahlt, die ohnehin schon unter steigenden Preisen litten. Getrieben von teurerem Öl und Gas hat die Inflation in Europa Rekorde erreicht.
Das Weltwirtschaftsforum in Davos geht an diesem Donnerstag nach vier Tagen zu Ende. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert inzwischen schon mehr als drei Monate. Die Gedanken daran würden Scholz weit über seinen Arbeitstag hinaus verfolgen, gab er zu: "Da kann man nicht abschalten, das hört nicht einfach auf". Wie Millionen anderen Menschen in Europa und der Welt bereite ihm das jeden Tag Sorge. "Auch die Frage, ob jetzt ein Krieg ausbricht, der über den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine hinaus greift."
Scholz sprach auch Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang an
Thematisiert wurde auch die Menschenrechtslage in China. Zuletzt erschienen neue Berichte über die brutale Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren. Scholz rief in seiner Rede die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Verletzung von Menschenrechten in China nicht einfach hinzunehmen. Die Volksrepublik sei wieder ein globaler Akteur, daraus lasse sich aber kein Anspruch auf Hegemonie in Asien und darüber hinaus ableiten. "Genauso wenig können wir wegsehen, wenn Menschenrechte verletzt werden, wie wir das gerade in Xinjiang sehen." In der Provinz Xinjiang wurden nach Angaben von Menschenrechtlern Hunderttausende Uiguren in Umerziehungslager gesteckt.
Zusammenfassung
- Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat sich erneut überzeugt davon gezeigt, dass Kremlchef Wladimir Putin den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen wird.