Wie der ÖVP-Wirtschaftsflügel die Koalitionsgespräche sprengte
Nach beinahe hundert Verhandlungstagen liegt die angepeilte Koalition in Trümmern. Nach dem Rückzug der NEOS brach am Samstag die ÖVP auch Gespräche mit den Roten ab. Der Wirtschaftsflügel der Partei dürfte von Anfang an mit Blau-Türkis geliebäugelt haben.
Die SPÖ jedenfalls hatte bereits mehrfach angedeutet, dass es die Vertreter aus Industrie und Wirtschaft waren, die Nehammer in der Verhandlungen keinen Spielraum gelassen und den Gesprächen mit Rot und Pink damit Steine in den Weg gelegt haben.
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Wie PULS 24 aus Verhandlerkreisen erfuhr, sollen die Wirtschaftsbundvertreter dann am Samstag die Koalitionsverhandlungen endgültig gesprengt und die Karriere von Nehammer als Parteichef beendet haben. Ziel sei gewesen, den Weg für Blau-Türkis freizumachen.
Keine Zusammenarbeit mit Babler
Daran dürfte einem großen Teil der ÖVP nicht nur die große Schnittmenge zwischen den Parteien gefallen. An der Alternative, der Zusammenarbeit mit NEOS und SPÖ, störte Industrie und Wirtschaft wohl vor allem auch der Parteichef der Roten, Andreas Babler. Nicht nur seine politischen Forderungen, sondern auch er selbst als Person dürften eine Reihe von ÖVP-Vertreten zuwidergelaufen sein.
Punkte wie der Wunsch nach Erbschafts- und Vermögenssteuern hatten sich ins Gedächtnis eingebrannt, auch wenn er von diesen im Laufe der Verhandlungen eigenen Aussagen zufolge abgerückt sein soll.
Die SPÖ ist bekanntermaßen bereits seit Langem gespalten. Während der ÖVP-Wirtschaftsflügel dem Vernehmen nach einer Zusammenarbeit mit der Babler-kritischen Fraktion nicht komplett abgeneigt gewesen wäre, war der derzeitige SPÖ-Chef ein rotes Tuch.
Zuletzt wurde ihm vorgeworfen, er hätte bereits ausgemachte Kompromisse zu einer Pensionsreform wieder zurückgezogen. Babler selbst dementierte das in der "ZiB2" am Samstagabend.
Streit um Budget und Steuern
Der Verlauf der Verhandlungen dürfte jedenfalls nicht dazu beigetragen haben, der Präferenz der Industriellenvertreter und jener der Wirtschaft für Blau-Türkis einen Dämpfer zu verpassen.
Selbst wenn Erbschafts- und Vermögenssteuern kein Thema mehr waren, gab es vonseiten der SPÖ Alternativvorschläge, die den Vertretern der Wirtschaft ähnlich schlecht gefallen haben dürften.
Letztlich wäre es darauf hinausgelaufen, dass bei der Budgetsanierung auch Vermögende und Wirtschaftstreibende ihren Beitrag leisten müssen. So hätte etwa die Körperschaftssteuer wieder angehoben, statt weiter gesenkt werden sollen.
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Auch bei der Bankenabgabe soll es, trotz zuletzt massiver Gewinne der Banken, keine Einigung mit der ÖVP möglich gewesen sein.
Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Philip Kucher erklärte im PULS 24 Interview am Sonntag, auch Banken und Unternehmen müssten einnahmenseitig etwas beitragen. "Wir haben gesagt, dass diese Gerechtigkeit notwendig ist, dass alle etwas beitragen sollen", so Kucher. Das sei gescheitert, weil der Wirtschaftsbund sich "keinen Millimeter bewegt" habe.
Schon rund um die Nationalratswahl waren es jedenfalls Vertreter der Wirtschaft, die sich besonders deutlich für eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgesprochen haben.
Der Präsident der ÖVP-nahen Industriellenvereinigung, Georg Knill, dass seine Organisation "beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP" orte. Auch Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer schien den mutmaßlichen Vorzügen einer Regierung mit den Blauen nicht abgeneigt, liefen doch seine Vorstellungen insbesondere beim Thema Steuern jenen der SPÖ entgegen.
Mit neuem Chef Richtung Blau-Türkis?
Nehammer, der wohl bis zuletzt einen Kompromiss mit der SPÖ finden wollte, musste schließlich gehen. Der Abschied scheint ohne einen Plan für Ersatz beschlossen worden zu sein.
Diesen Eindruck hatte auch Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle im PULS 24 Interview: "Es ist schon erstaunlich, dass zwar Karl Nehammer offenbar vor die Situation gestellt wurde, nicht weiter verhandeln zu dürfen mit der SPÖ, aber zugleich es niemanden gab in der ÖVP, der bereit ist, dann an seine Stelle zu treten."
Mittlerweile wurde bekannt, dass ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zumindest übergangsweise neuer ÖVP-Chef werden soll. Wie PULS 24 erfuhr, könnten Wirtschaftskammerpräsident Mahrer und August Wöginger etwaige weitere Verhandlungen leiten.
Video: Kanzler-Ende und Koalitions-Aus - Wie geht es für ÖVP und SPÖ weiter?
Zusammenfassung
- Nach beinahe hundert Verhandlungstagen liegt die angepeilte Koalition in Trümmern.
- Nach dem Rückzug der NEOS brach am Samstag die ÖVP auch Gespräche mit den Roten ab.
- Der Wirtschaftsflügel der Partei dürfte das positiv sehen - dessen Vertreter hätten von Anfang an mit Blau-Türkis geliebäugelt.
- Wie PULS 24 aus Verhandlerkreisen erfuhr, waren es die Vertreter:innen aus Industrie und Wirtschaft, die Karl Nehammer in der Verhandlungen keinen Spielraum gelassen haben.