Mutmaßlicher Foltergeneral Syriens lebt in Österreich auf freiem Fuß
Erst acht Jahre nachdem die Schergen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad im Frühling 2013 vor der syrischen Opposition und dem "Islamischen Staat" aus Rakka flüchteten, wird bekannt, welche Gräueltaten die "Staatssicherheit" Assads dort davor angerichtet haben dürfte.
Überlebende und ehemalige Angehörigen von Assads Sicherheitsapparat berichten von Folter und Vergewaltigungen, Gefangene wurden mit Kabeln und Plastikrohren geschlagen, mit Elektroschocks malträtiert und auf dem sogenannten "fliegenden Teppich" gequält. Es handelt sich um eine Holzplatte mit einem Scharnier in der Mitte und einem Querbalken an einem Ende. Das Opfer wird dabei auf die Platte gefesselt, anschließend wird das Brett am Scharnier so weit wie möglich umgeknickt. Opfer sprechen von Atemnot und unerträglichen Schmerzen in Gliedern und Rücken.
"Manche der Täter sind namentlich bekannt – aber bei den meisten dürfte es schwer werden, sie zur Rechenschaft zu ziehen", schreibt das deutsche Magazin "der Spiegel". Einer von ihnen dürfte aber aufgespürt worden sein. Wie gemeinsame Recherchen mit dem "Standard" zeigen, soll sich dieser seit geraumer Zeit in Wien aufhalten - auf freiem Fuß. "Es ist die Chronik eines beispiellosen Behördenskandals", schreibt der "Spiegel".
BVT soll General bei Flucht geholfen haben
Bei dem ehemaligen syrischen General soll es sich um Khaled Al-Halabi handeln, er war zwischen 2009 und 2013 Leiter der syrischen Staatssicherheitsabteilung in Rakka. Die NGO CIJA (Commission for International Justice and Accountability) wirft al-Halabi vor, von den Foltermethoden in Rakka zumindest gewusst zu haben. Laut der NGO Humans Rights Watch soll sich eine Folterkammer direkt neben seinem Büro befunden haben.
Weil der General aber scheinbar gleichzeitig mit Assads Regime unzufrieden gewesen sein soll, soll er vom israelischen Geheimdienst Mossad als Spion angeworben worden sein. 2013 floh der General über die Türkei nach Jordanien, wo er in der französischen Botschaft um Asyl ansuchte. Die Franzosen brachten den General nach Paris, dort habe aber die französische Asylbehörde Bedenken geäußert, al-Halabi könnte für Kriegsverbrechen verantwortlich sein.
Operation "White Milk"
Anfang Juni 2015 brachte der Mossad den ehemaligen General deshalb mit dem Auto nach Wien. Laut "Standard" wohl im Wissen des heimischen BVT: "Wer genau im BVT den Deal mit dem Mossad abgeschlossen hat, ist trotz vieler Aktenvermerke und Zeugenaussagen noch unklar". Fakt sei aber, dass im Frühjahr 2015 der damalige stellvertretende BVT-Direktor nach Israel reiste und es kurz darauf zu einer Besprechung zwischen französischen, israelischen und österreichischen Agenten kam.
Amnesty International: Syrien foltert und tötet auch rückkehrende Kinder
In Österreich wird der Fall al-Halabi unter dem Namen Operation "White Milk" geführt. Der ehemalige General soll in Österreich um Asyl angesucht und sechs Monate später auch bekommen haben. Mitarbeiter des BVT, aber auch des Bundesamts für Fremdenwesen (BFA) werden deshalb nun von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) des Amtsmissbrauchs beschuldigt. Sie sollen mit falschen Beglaubigungen die Asylbehörde getäuscht haben, um die Aufnahme des Generals zu ermöglichen. Die Beschuldigten streiten das vehement ab, schreibt der "Standard".
Das BVT soll den General teils in der Wohnung eines Familienangehörigen eines BVT-Beamten versteckt haben - der Mossad soll dafür Geld überwiesen haben. Für Israel ging es darum, einen Überläufer des Erzfeinds Syrien zu schützen. Einen Mann mit intimen Kenntnissen des syrischen Sicherheitsapparats, der über "höchste Staatsgeheimnisse" verfüge, wie es in einem Aktenvermerk heißen soll. Das BVT wiederum wollte offenbar seinen schlechten Ruf unter den internationalen Geheimdiensten ausbessern und im Gegenzug Infos von den Israelis erhalten.
Druck auf Österreich
Auch als sich 2016 die NGO CIJA an die österreichische Staatsanwaltschaft wandte, weil die al-Halabi auf Grund von Skype-Daten in Wien vermutete, und es zu einem Treffen im Justizministerium kam, sollen die BVT-Beamten nichts über Operation "White Milk" verraten haben.
Erst als sich zwei Jahre später Europol einschaltet, passiert etwas: Die Polizei durchsucht al-Halabis Wohnung in Wien, findet ihn aber nicht. Vom BVT hieß es, die Zusammenarbeit mit dem Mossad sei beendet, der Mossad wolle den ehemaligen General außer Landes schaffen. Das soll aber nicht geschehen sein - al-Halabi soll sich nach wie vor in Wien aufhalten - auf freiem Fuß. Sein Asyl sei mittlerweile aberkannt worden - wogegen al-Halabi in Berufung ging.
"Mein Mandant stellt sich dem Verfahren", wird sein Anwalt Timo Gerersdorfer im "Standard" zitiert. In Österreich wird gegen al-Halabi aber vor allem wegen Körperverletzung ermittelt. Das Delikt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und der "Folter"-Paragraf wurden in Österreich erst nach 2015 eingeführt. "Mein Mandant bestreitet die Vorwürfe. Er hat niemandem Gewalt angetan. Weder hat er gefoltert noch andere foltern lassen", sagt Gerersdorfer im "Standard". Laut "Spiegel" ermitteln aber auch Staatanwaltschaften in Karlsruhe, Stockholm und Paris gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Syrien. Für al-Halabi gilt die Unschuldsvermutung.
https://twitter.com/thomas_riegler/status/1436258799141236748
Das BVT selbst wird durch die Staatsschutzreform bald Geschichte sein. Die Ermittlungen gegen die Beamten deshalb aber noch nicht abgeschlossen. Dennoch rechtfertigt etwa der Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Riegler das Vorgehen des BVT: "Um zu nehmen, muss man in der Welt der Geheim- und Nachrichtendienste erst einmal geben", schreibt er auf Twitter über die Kooperation mit dem Mossad. Auch die CIA hätte schon mit einem syrischen Chemiewaffenexperten zusammengearbeitet.
Zusammenfassung
- Wie Recherchen von "Standard" und "Spiegel" zeigen, soll das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) den General gemeinsam mit dem israelischen Geheimdienst Mossad in Wien versteckt haben.