Liberia - Straßenkinder müssen bei den Toten schlafen
"Sie finden ihren Platz bei den Toten, weil sie in der Gesellschaft keinen Platz mehr haben", erzählt Bruder Wagner anlässlich eines Wien-Besuches im Gespräch mit der APA. Dass er bei seinem täglichen Rundgang über den Friedhof, bei dem er den Kindern eine warme Mahlzeit bringt und ein offenes Ohr für Probleme jeder Art bietet, "Kinder aus den Grabstätten herauskrabbeln" sieht, sei für ihn "jeden Tag eine neue Herausforderung und sehr aufwühlend. Das wird nie Routine für mich werden, das werde ich nie akzeptieren". Trotzdem, oder vielleicht genau deshalb, ist dieser Teil der Arbeit - die "Arbeit an der Basis", wie Wagner es nennt, der "schönste Teil" seines Tages. Insgesamt leben nach Angaben des 50-jährigen rund 200 Kinder zwischen zehn und 18 Jahren rund um den Friedhof in der liberianischen Hauptstadt Monrovia.
Aufgrund der hohen Dichte an Straßenkindern im Bereich des Friedhofs komme es zu einer "kumulativen Problemlage", wie der Streetworker es beschreibt: Sucht, Beschaffungskriminalität, Prostitution, medizinische Probleme. Das führt viele Kinder direkt an den zweiten Hauptarbeitsort des Salesianerbruders: das Zentralgefängnis von Monrovia. Auch dort ist der studierte Sozialarbeiter und Theologe täglich anzutreffen und setzt sich für die Rechte von minderjährigen Häftlingen ein.
Vor knapp zehn Jahren, als Wagner das Gefängnis in der liberianischen Hauptstadt zum ersten Mal besuchte, seien dort rund 100 Kinder - gemeinsam mit Erwachsenen - oft schuldlos oder zumindest ohne Anklage festgehalten worden. Aktuell sind 15 bis 20 Kinder inhaftiert. In einem eigenen Block - dafür hat sich der Sozialarbeiter eingesetzt. Trotzdem seien die Zustände nicht tragbar. In einer kleinen Zelle, die für zwei Insassen vorgesehen ist, seien acht bis zehn Jugendliche untergebracht. "Geschlafen wird abwechselnd, weil diese Zellengröße ihren vielen Bewohnern nur stehend Platz bietet", schildert er.
Armut in ganz Westafrika nimmt rapide zu
Warum so viele Kinder überhaupt auf der Straße und dadurch teils auch im Gefängnis landen? Das habe vielfältige Gründe, vor allem sieht Wagner aber die steigende Verarmung und die Folgen des Klimawandels als Haupttreiber. Viele Familien könnten sich ihre Kinder schlichtweg nicht mehr leisten. "Die Armut nimmt rapide zu, das ist in ganz Westafrika zu beobachten", so der Experte, der seit über 20 Jahren in verschiedenen afrikanischen Ländern tätig ist. In den vergangenen Jahren seien zudem die Folgen des Klimawandels deutlich sicht- und spürbar geworden.
Um den Kindern, sowohl von der Straße als auch aus dem Gefängnis, wieder einen geregelten Alltag und die Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen, plant der Salesianerorden Don Bosco den Bau eines Rehabilitationszentrums mit verschiedenen Therapiemöglichkeiten in Monrovia. Die Regierung hat dafür bereits Bauland zur Verfügung gestellt, die notwendigen Mittel - etwa drei Millionen Euro - sollen über Spenden, unter anderem durch Jugend Eine Welt, finanziert werden.
Jugend Eine Welt macht alljährlich am 31. Jänner, dem Gedenktag des Jugendheiligen Don Bosco, auf die Situation von Straßenkindern weltweit aufmerksam. Auch die Dreikönigsaktion, das Hilfswerk der Katholischen Jungschar, erinnerte in einer Aussendung an die Wichtigkeit von Kinderrechten und Kinderschutz. Projekte wie das Rescue Dada Center in Kenia beweise, wie gezielte Hilfe das Leben ehemaliger Straßenkinder verändern könne. In dem Zentrum können Mädchen, die früher auf der Straße lebten, in die Schule gehen und erhielten so ein "Sprungbrett in ein besseres Leben".
(SERVICE: Spendenkonto Jugend Eine Welt, AT66 3600 0000 0002 4000. Infos: www.jugendeinewelt.at und Spendenkonto Dreikönigsaktion, IBAN: AT23 6000 0000 9300 0330, Verwendungszweck: Kenia/Rescue Dada. Infos: https://www.dka.at/nairobi)
Zusammenfassung
- Zwischen 100 und 150 Millionen Kinder weltweit leben auf der Straße, und in Monrovia, Liberia, müssen etwa 200 von ihnen auf Friedhöfen übernachten.
- Salesianerbruder Lothar Wagner arbeitet mit diesen Kindern und setzt sich für ihre Rechte ein, sowohl auf der Straße als auch im Gefängnis, wo derzeit 15 bis 20 minderjährige Häftlinge unter schlechten Bedingungen leben.
- Um die Situation zu verbessern, plant der Salesianerorden Don Bosco ein Rehabilitationszentrum, das drei Millionen Euro kosten soll und durch Spenden finanziert werden soll.