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Kiew gerät in Bachmut immer weiter unter Druck

Die ukrainischen Streitkräfte geraten bei der Verteidigung der östlichen Stadt Bachmut gegen die russischen Truppen laut britischen Angaben immer mehr in Bedrängnis.

Die Situation der ukrainischen Verteidiger in der umkämpften Stadt Bachmut wird nach Einschätzung britischer Geheimdienste immer prekärer. Die ukrainischen Streitkräfte stünden angesichts der anhaltenden schweren Kämpfe dort unter erheblichem Druck, hieß es am Samstag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Bachmut habe sich zum ukrainischen Vorposten entwickelt, der von drei Seiten durch russische Angriffe gefährdet sei.

Vororte der Stadt unter russischer Kontrolle

Russische Streitkräfte und Kämpfer der Söldnertruppe Wagner sollen den Briten zufolge weitere nördliche Vororte der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die ukrainische Armee setze in Bachmut nun Elite-Einheiten ein, hieß es in dem Bericht. In den 36 Stunden zuvor seien zwei Brücken zerstört worden, darunter eine für Transporte und Nachschub wichtige Verbindungsbrücke, die von Bachmut aus in die Stadt Tschasiw Jar führte. Die Transportwege unter ukrainischer Kontrolle würden immer rarer.

Das russische Militär versucht seit Wochen, die Stadt zu erobern. Der Chef der dort eingesetzten russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sagte am Freitag, seine Kämpfer hätten die Stadt fast vollständig eingekesselt. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Die Stadt, die einst 74.000 Einwohner zählte, ist inzwischen weitgehend zerstört. Nach Schätzungen der Behörden leben dort noch rund 5.000 Zivilisten..

Die Situation sei "ein Schlachthaus auf beiden Seiten", sagte der Kommandant einer ukrainischen Einheit dem Internetkanal Espresso TV. Teile einiger Einheiten seien angewiesen worden, in sichere Stellungen zu wechseln. Der Anführer einer ukrainischen Drohneneinheit sagte in einem in Video, seine Einheit sei zum sofortigen Rückzug aufgefordert worden.

Am Freitag hatte die russische Artillerie die letzten Ausfallstraßen aus Bachmut beschossen, um die seit Monaten umkämpfte Stadt vollends einzuschließen. In der Stadt, in der vor dem Krieg rund 70.000 Menschen lebten, harren noch immer einige Tausend Zivilisten aus.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Updates zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.

Russlands Verteidigungsminister besucht Truppen

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu besuchte nach offiziellen Angaben Kampftruppen in der Ukraine. Schoigu habe einen vorgelagerten Gefechtsstand in der Region Süd-Donezk inspiziert, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. In einem von dem Ministerium veröffentlichten Video ist Schoigu zu sehen, wie er Soldaten Orden verleiht und zusammen mit dem Kommandanten des Östlichen Militärbezirks, Rustam Muradow, eine zerstörte Stadt besichtigt.

Schoigu hat bisher selten die russischen Truppen in der Ukraine besucht. Er wurde in Russland für den Verlauf des Krieges, der nicht den raschen Sieg, dafür aber mehrere herbe Rückschläge brachte, von Kommentatoren und Kriegsverfechtern scharf kritisiert, auch von Wagner-Chef Prigoschin.

Nach den Worten des NATO-Oberbefehlshabers in Europa hat Russland bisher mehr als 2.000 große Kampfpanzer verloren. Mehr als 200.000 russische Soldaten und über 1800 Offiziere seien gefallen oder verwundet worden, sagte General Christopher Cavoli am Freitag auf einer Veranstaltung im Hamburger Rathaus. Pro Tag verschieße die russische Armee im Schnitt über 23.000 Artilleriegeschosse.

Rheinmetall will Panzerfabrik in Ukraine

Während der Fonds des ukrainischen Komikers und Fernsehmoderators Serhij Prytula über 100 gebrauchte Panzerfahrzeuge zur Unterstützung der Armee erworben haben will, machte der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall Verhandlungen über den Bau einer Panzerfabrik auf ukrainischem Boden publik. Die Ukraine brauche 600 bis 800 Panzer für einen Sieg, hieß es seitens Rheinmetall.

Bei einer internationalen Konferenz in der ukrainischen Stadt Lwiw soll an diesem Wochenende ein erster wichtiger Schritt unternommen werden, um Russland für Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Samstagvormittag mitteilte, wird bei der Konferenz die Vereinbarung über die Einrichtung eines neuen Internationalen Zentrums für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression (ICPA) unterzeichnet.

Es soll Beweise für künftige Gerichtsverfahren sichern und am Standort der EU-Agentur Eurojust in Den Haag angesiedelt werden. Eurojust ist in der Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zuständig.

Von der Leyen will Kriegsverbrecher vor Gericht bringen

Russland und Präsident Wladimir Putin müssten für die schrecklichen Verbrechen gegen die Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden, sagte von der Leyen in einem Video. Es gebe immer mehr Beweise für direkte Angriffe auf die Zivilbevölkerung sowie auf die Energieversorgung und andere Infrastruktur. Bekannt sei auch, dass russische Streitkräfte Folter, Misshandlungen, sexuelle Gewalt und Massenhinrichtungen verübt hätten. Nicht einmal Kinder würden verschont.

"Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um die Täter vor Gericht zu bringen", erklärte von der Leyen. Die EU unterstütze die Rolle, die dem Internationalen Strafgerichtshof dabei zukomme. Zudem sei man aber der Ansicht, dass es ein eigenes Gericht für die Verfolgung des russischen Verbrechens der Aggression geben müsse. Ein erster Schritt sei die Einrichtung des neuen internationalen Zentrums in Den Haag.

Ihren Einsatz für ein eigenes Gericht erklärte die EU-Kommission damit, dass der Internationale Strafgerichtshof bei Aggressionsverbrechen der höchsten politischen und militärischen Führung Russlands nicht tätig werden kann, da Russland die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs nicht anerkennt. Deswegen wird nun die Einrichtung mehrerer anderer Optionen diskutiert. Das ICPA ist ein erster Schritt in diesem Prozess zur Sicherung von Beweisen für künftige Gerichtsverfahren.

US-Justizminister reiste ebenso an

Auch US-Justizminister Merrick Garland reiste überraschend zu der Konferenz. "Wir sind heute in der Ukraine, um klar und mit einer Stimme zu sagen: Die Täter dieser Verbrechen werden nicht ungestraft davonkommen", sagte er mit Blick auf "russische Kriegsverbrecher". Die Vereinigten Staaten stünden an der Seite der ukrainischen Ermittler für Kriegsverbrechen. Seit Beginn der Invasion vor einem Jahr habe Russland Gräueltaten im größten Ausmaß aller Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg begangen.

Die Konferenz "United for Justice" (Vereint für Gerechtigkeit) geht nach Angaben der EU noch bis Sonntag. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Freitag in seiner allabendlichen Videoansprache, zentrales Thema sei die Verantwortung Russlands und seiner Führung für Aggression und Terror gegen die Ukraine.

Die Regierung in Kiew habe den Weg für die Eröffnung eines Büros des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in der Ukraine geebnet, hieß es in Kiew. Das Kabinett habe eine entsprechende mit dem IStGH ausgehandelte Vereinbarung gebilligt.Dadurch werde "die Eröffnung eines Büros der Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs in der Ukraine in naher Zukunft erlaubt".

Der IStGH mit Sitz in Den Haag ist das höchste internationale Gericht und verfolgt seit 2002 besonders schwerwiegende Vergehen wie Kriegsverbrechen. Er hatte kurz nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine Untersuchungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen eingeleitet.

Da Russland den IStGH nicht anerkennt, kann der Gerichtshof zwar mutmaßliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine untersuchen. Er kann aber nicht gegen Moskau wegen des Verbrechens der Aggression vorgehen. Die Regierung in Kiew drängt deshalb auf ein internationales Sondertribunal, um Russland zur Verantwortung zu ziehen.

ribbon Zusammenfassung
  • Die ukrainische Armee kämpft weiter erbittert um die von russischen Soldaten belagerte Stadt Bachmut.
  • Die Situation sei "ein Schlachthaus auf beiden Seiten", sagte der Kommandant einer ukrainischen Einheit dem Internetkanal Espresso TV. Teile einiger Einheiten seien angewiesen worden, in sichere Stellungen zu wechseln.
  • Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu besuchte nach offiziellen Angaben Kampftruppen in der Ukraine.