Keine politische Wechselstimmung bei jungen Wählern in Wien
Die Spaltung ist laut dem Institut für Jugendkulturforschung sowohl eine ökonomische als auch eine weltanschauliche. Wobei die Zufriedenheit mit dem Leben in Wien unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen generell hoch zu sein scheint: Über 85 Prozent sind damit zumindest "eher zufrieden". Dementsprechend herrsche keine politische Wechselstimmung, hieß es am Montag bei der Präsentation der Studie.
Allerdings sind 53,5 Prozent der Jugendlichen aus höheren Bildungsschichten mit den Verhältnissen "sehr zufrieden", unter den niedrigen bzw. mittleren Bildungsschichten sind es nur 36,5 Prozent. Je weiter man in der sozialen Hierarchie nach unten gehe, desto mehr schwinden Zufriedenheit und das Vertrauen in die Regierenden, wurde betont.
Die größten Ängste der Wiener Jugendlichen beziehen sich demnach auf materielle Themen des Lebens wie Einkommen, Arbeitsplatz, Sicherheit und Wohnen. "Das Sicherheitsbedürfnis ist durch Corona deutlich gestiegen", erklärte Instituts-Chef Bernhard Heinzlmaier. Fast 70 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass die Reichen in Österreich immer reicher und die Armen immer ärmer werden. An die 45 Prozent fürchten sich davor arbeitslos zu werden - in den bildungsfernen Milieus 50 Prozent, bei den Bildungsprivilegierten 38 Prozent.
75 Prozent der jungen Menschen sprechen sich für einen Mindestlohn von 1.700 Euro netto aus, 72 Prozent für die Einführung der 35-Stundenwoche. Plädiert wird demnach auch für humanitäres Handeln: 68 Prozent sind für die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Lager Moria auf Lesbos. Deutlich sichtbar ist die Kluft laut der Studie im Bereich Verkehrspolitik: So sprechen sich fast 70 Prozent der befragten Hochgebildeten für eine tendenziell autofreie Stadt aus, während es bei den Menschen mit niedriger und mittlerer Bildung nur ca. 50 Prozent sind.
Ein Viertel der Wiener Jugendlichen zeigt zudem deutliche antisemitische und antiisraelische Züge, indem sie sich gegen den Kauf von Produkten aus Israel aussprechen. "Das ist nur eine andere Formulierung für: Kauft nicht bei Juden", beklagte Heinzlmaier. Laut dem Institut sind unter den Antisemiten die Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht wie oft vermutet überrepräsentiert. Christlicher, muslimischer, rechter und linker Antisemitismus sei relativ ausgeglichen durchmischt, heißt es.
Eher gering ist offenbar die Zufriedenheit mit dem Corona-Management der Politik. 65 Prozent der Befragten wünschen, dass in wichtigen Fragen in Zukunft Expertinnen und Experten entscheiden sollen. Rund 43 Prozent der Wiener Jugendlichen befürchten zudem, dass die Pandemie als willkommenen Anlass genommen wird, um Bürgerrechte einzuschränken. Besonders politik- und staatsskeptisch zeigen sich hier laut der Studie die bildungsferneren bzw. ökonomisch schlechter gestellten Schichten.
Ziemlich einhellig wird der Polizei, dem Gesundheitssystem, den Banken und den Versicherungen vertraut - weniger zum Beispiel dem Parlament. Über 70 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass Politiker keine Ahnung haben, wie es den Menschen geht. 76 Prozent meinen, dass die Akteure weniger streiten und mehr für die Menschen tun sollten. 60 Prozent gaben weiters an, dass sie sich bei den Wahlen nicht mehr mit einer der Parteien identifizieren können und nur mehr das geringste Übel wählen.
Auch nach der Einstellung zu konkreten Parteien und Personen wurde gefragt: Mit Abstand am populärsten ist demnach Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Er gilt als sympathisch, glaubwürdig, sozialpolitisch engagiert und er "passt gut zu Wien". Durchsetzungsstärke und Leadership attestieren dem Stadtchef hingegen nur wenige. Nur eine einzige Person ist bei jüngeren Semestern bekannter als Ludwig: Heinz-Christian Strache. Ihm wird Führungsstärke durchaus zugetraut. Wermutstropfen für den Ex-Vizekanzler: Mehr als 80 Prozent der Jung-Wiener haben eine schlechte Meinung von ihm.
Grünen-Chefin Birgit Hebein wird Glaubwürdigkeit, soziale Sensibilität und Sympathie zugeschrieben. Führungspersönlichkeit ist sie nach Ansicht der jungen Wienerinnen und Wienern aber keine. Wenig Durchsetzungskraft wird auch FPÖ-Chef Dominik Nepp attestiert. Nur knapp zehn Prozent der Teilnehmer haben überhaupt eine gute Meinung von ihn.
Bei der ÖVP wird demnach eher Kanzler und Parteichef Sebastian Kurz als Wahlmotiv genannt und weniger Spitzenkandidat Gernot Blümel. Diesem wird zumindest Selbstdarstellungskompetenz und einigermaßen Führungsstärke konstatiert, er schwächelt aber etwa bei der Glaubwürdigkeit. Als sympathisch und kompetent gilt NEOS-Chef Christoph Wiederkehr. Einschränkend ist hinzuzufügen: Es kannten ihn mehr als 50 Prozent der Befragten nicht.
Unter den 16- bis 29-Jährigen in Wien dominiert bei dieser Wahl die SPÖ - laut Heinzlmaier in einem zuletzt kaum gekannten Ausmaß. Unter denen, die sich schon für eine Partei entschieden haben, gaben 45 Prozent an, die SPÖ wählen zu wollen. 19 Prozent wollen für Grün votieren, 12 Prozent für die ÖVP, 9 Prozent für die NEOS und 4 Prozent für die FPÖ. Auf den selben Wert kommt zumindest bei den Umfrageteilnehmern die Bierpartei - gefolgt vom Team Strache.
Zusammenfassung
- Junge Menschen in Wien verspüren eher keine große Sehnsucht nach politischer Veränderung in der Stadt.
- Diesen Schluss zieht das Institut für Jugendkulturforschung aus einer aktuellen Befragung von 800 Wienerinnen und Wienern im Alter zwischen 16 und 29 Jahren.
- 85 Prozent sind demnach mit dem Leben in Wien zufrieden.
- Dementsprechend herrsche keine politische Wechselstimmung, hieß es am Montag bei der Präsentation der Studie.