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Friedensnobelpreisträgerin gegen Wahl 2024 in Ukraine

Die ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk, deren Center for Civil Liberties (CCL) 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, hat im APA-Gespräch der Abhaltung einer Präsidentenwahl in ihrer Heimat im kommenden Jahr eine deutliche Absage erteilt. Die Wahl wäre regulär vorgesehen, ist aber angesichts des geltenden Kriegsrechts von der Verfassung verboten. Unter anderen hat Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) auf den Urnengang gepocht.

"Wie können wir unsere Verfassung während eines Krieges ändern! Wie sollen wir eine Wahl abhalten!", fragte sich Matwijtschuk am Donnerstag im Interview mit der APA in Wien. In der Frage Druck zu machen, bedeute, die Ukraine zu drängen, ihre eigene Verfassung zu verletzen. "Im Krieg kämpfen wir aber gerade für das Bekenntnis zum Rechtsstaat", gab die 40-Jährige zu bedenken und führte einige Probleme ins Treffen:

Acht Millionen Ukrainer, die vor dem russischen Angriffskrieg ins Ausland geflohen seien, könnten genauso wenig abstimmen wie die Bürger in den besetzten Gebieten oder auch die Frontsoldaten. "So würden gerade jene, die für die Demokratie ihr Leben riskieren, um ihr Wahlrecht gebracht." Die Ukraine könnte eine Präsidentenwahl zudem weder finanzieren noch eine sichere Wahlbeobachtung gewährleisten, die diesen Namen auch verdiene. "Es wäre ein Wahltag im Hagel russischer Raketen", eine Wahltag "in den Bunkern", wunderte sich Matwijtschuk über die Forderung.

Politiker, die Angst davor hätten, dass sich der russische Machthaber Wladimir Putin 2024 wiederwählen lasse, während in der Ukraine die Wahl verschoben werde, müssten ihren Bürgern einfach klarmachen, dass in Russland - ohne Opposition, ohne Versammlungsrecht und bei totaler Medienkontrolle - überhaupt keine Wahl stattfinde, sondern "ein Einschüchterungsprozess". "Für westliche Politiker ist das eine einzigartige Gelegenheit klarzustellen, dass Putin nicht legitimer Präsident der Russischen Föderation ist."

Dass die Ukraine, die nach der russischen Großinvasion Ende Februar 2022 den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten hat, beim EU-Gipfel im Dezember Grünes Licht für den Start von Beitrittsverhandlungen bekommt, ist für die Menschenrechtsaktivistin "extrem wichtig". "Viele Menschen haben ja gar keine Ahnung, was es heißt, Reformen durchzuziehen, während Raketen die Behördengebäude treffen. Wir müssen das durchziehen."

Putin führe den Krieg, um die Demokratisierung der Ukraine zu verhindern. "Wir müssen auch diese Werte-Dimension des Krieges gewinnen", ist Matwijscthuk überzeugt. Ein positiver Gipfelbeschluss noch in diesem Jahr würde allen Ukrainern zeigen, "dass unsere Anstrengungen, zu überleben, Sinn machen".

Damit die Unterstützung des Westens bzw. bestimmter EU-Staaten für die Ukraine nicht schwindet, "müssen wir unsere Ziele klar definieren", betonte die Menschenrechtlerin gegenüber der APA. Es gehe nun darum, von der Erzählung "Wir helfen der Ukraine, standzuhalten" weiterzugehen zu: "Lasst uns der Ukraine helfen, zu gewinnen." Wie das ausgehe, sei offen und "hängt vom Mut der politischen Führer und ihrem historischem Verantwortungsgefühl ab". Das 20. Jahrhundert habe jedenfalls gezeigt: "Wenn du den imperialistischen Appetit eines Aggressors stillst, wird er nur noch größer."

Matwijtschuk warnte explizit davor, dass die russische Aggression gegen ihr Land in der Welt Schule macht und auch andere Staatslenker bei der Konfliktlösung künftig einfach auf Militärgewalt setzen. Ein solcher Trend "wird sichtbar", sagte sie.

Mit dem Ukraine-Krieg "will Putin die Welt überzeugen, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte Fake-Werte sind, die man nicht schützen kann". Putin wolle die Welt überzeugen, "dass ein Land mit schlagkräftiger Armee und Atomwaffen das Völkerrecht einfach so brechen kann", führte Matwijtschuk aus. "Wenn Russland Erfolg hat, wird das andere Führer ermutigen, dasselbe zu tun. Wenn wir eine Invasion Taiwans durch China verhindern wollen, müssen wir Putin stoppen."

Vor der großen Ukraine-Invasion der russischen Truppen sei diese Herangehensweise an Konflikte nur etwa in Syrien oder Afghanistan bekannt gewesen. "Nun sieht es die ganze Welt: Wenn wir nicht entschlossen dagegen vorgehen, werden wir uns in einer Welt wiederfinden, die für alle von uns gefährlich ist."

Dass Putin, wie angedroht Atomwaffen einsetzt, wenn er den Ukraine-Krieg verlieren sollte oder wenn ihm die Zügel in Russland entgleiten, glaubt Matwijtschuk nicht: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Putin Atomwaffen gegen die NATO einsetzt. Putin ist ein Feigling, er wird nie den stärksten Gegner angreifen." Putin wolle den Ukraine-Krieg mit der bloßen Drohung, Atomwaffen einzusetzen, gewinnen, nicht mit deren tatsächlichem Einsatz.

Putin fürchte nämlich um sein eigenes Leben, und er fürchte die Antwort, welche die NATO auf einen russischen Schlag mit Kernwaffen in der Ukraine geben würde. Die Ukraine als Nicht-NATO-Mitglied, für die naturgemäß die Beistandspflicht, wie sie innerhalb des Verteidigungsbündnisses besteht, nicht gilt, sei nur deswegen Moskaus Kriegsgegner, "weil sie (die Russen, Anm.) nur vermeintlich Schwächere angreifen. Er (Putin, Anm.) wird keine Atomwaffen einsetzen, sondern dasselbe tun, was er schon in Butscha getan hat", verwies die Menschenrechtsaktivistin auf den Vorort von Kiew, wo russische Truppen im April des Vorjahres 1.400 Zivilisten getötet haben sollen.

Matwijtschuk: "Wenn Putin das klare Signal bekommt, dass mit Atomwaffen eine Rote Linie überschritten wird, wird er sie nicht einsetzen. Wenn es Zweifel über eine klare Antwort gibt, wird er sie einsetzen."

Auf die Frage, was aus der Hilfe des Westens für die Ukraine wird, wenn nächstes Jahr Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl wiedergewählt würde, antwortete die Rechtsexpertin: "Egal was passiert, wir werden weiter für unsere Freiheit und unsere Würde kämpfen, und dann hoffe ich, dass die Welt nicht bloß dabei zuschaut."

Die 1983 geborene Matwijtschuk ist Juristin. Das Zentrum für Bürgerliche Freiheiten (Center for Civil Liberties/CCL), das sie leitet, wurde 2007 in Kiew von den Chefs mehrerer Menschenrechtsgruppen aus dem Raum der ehemaligen Sowjetunion gegründet. Die Organisation setzt sich für die Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen etwa rund um die pro-westlichen Euromaidan-Proteste 2013/14 in Kiew oder in den russisch besetzten Teilen der Ukraine ein. Sie engagierte sich auch für eine Reform des ukrainischen Strafrechts und führt Menschenrechtsschulungen durch. Das CCL und Matwijtschuk wurden u. a. auch mit dem Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis, Anm.) ausgezeichnet. Matwijtschuk hielt sich dieser Tage zum Forbes Women's Summit in Wien auf.

(Das Gespräch führte Martin Richter/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Wahl wäre regulär vorgesehen, ist aber angesichts des geltenden Kriegsrechts von der Verfassung verboten.
  • (Das Gespräch führte Martin Richter/APA)