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Forscher orten Manipulationen bei Erdogan-Wiederwahl

Anzeichen für Manipulation beim ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl in der Türkei Mitte Mai erkannten Wiener Komplexitätsforscher erst kürzlich. Jetzt zeigen auch die Analysen zur Stichwahl am 28. Mai Unregelmäßigkeiten. Diese brachten Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan geschätzte 342.000 zusätzliche Stimmen, wie das Team des Complexity Science Hub (CSH) Wien in seiner am Preprint-Server "arXiv" veröffentlichten Studie schreibt.

Mit rund 52 Prozent der bei der Stichwahl abgegebenen Stimmen überflügelte Erdogan seinen Kontrahenten Kemal Kilicdaroglu knapp. Letzterer monierte mehrfach, dass das Land "den unfairsten Wahlkampf der letzten Jahre erlebt" habe und "alle Staatsmittel für eine politische Partei mobilisiert und einem Mann zu Füßen gelegt" wurden.

Die Wiener Forscher suchen seit Jahren nach statistisch signifikanten Hinweisen auf Manipulationen bei Urnengängen. Fündig wurde man bereits mehrfach. So auch im ersten Wahlgang zwei Wochen vor der nun untersuchten Stichwahl: Demnach traten damals in 2,4 Prozent der Wahlkreise äußerst unwahrscheinliche positive Ergebnisse für den Amtsinhaber auf.

Das Team um Peter Klimek und Stefan Thurner sucht in der Vielzahl der regionalen Ergebnisse nach Anzeichen auf illegales Mehrfachwählen ("Ballot Stuffing") und unlauteren Druck auf Wählerinnen und Wähler ("Voter Rigging"). Bei letzterem werden Wahlberechtigte etwa durch Androhung körperlicher Gewalt oder durch Drohung mit Arbeitsplatzverlust zu einer bestimmten Stimmentscheidung genötigt. Im Kern suchen die Forscher mit ihren in hochrangigen Fachmagazinen vorgestellten forensischen statistischen Tests nach extrem unwahrscheinlichen und deutlich aus dem Gesamtbild fallenden Einzelergebnissen in Wahlkreisen.

Der Anteil solcher äußerst verdächtiger Ergebnisse ist gegenüber der türkischen Präsidentenwahl im Jahr 2018, wo 8,5 Prozent der Wahlkreise solche Zahlen meldeten, zwar deutlich im Sinken, aber immer noch nachweisbar: In 1,9 Prozent der Wahlkreise kam nun laut der Einschätzung der CSH-Forscher bei der Stichwahl "ein statistisch eher unwahrscheinliches Ergebnis zugunsten Erdogans" zustande. "In Gebieten mit kleineren Wahllokalen und weniger Wahlurnen kam es zu überhöhten Stimmenzahlen und Wahlbeteiligungen zum Vorteil des türkischen Amtsinhabers", so Klimek in einer Aussendung.

Deutliche Schwankungen in den Ergebnissen zwischen erstem und zweiten Wahlgang wiesen vor allem Wahlbezirke auf, in denen es nur ein oder zwei Wahllokale gab. "Solche Verzerrungen können auf das Vorhandensein von Wähler:innennötigung oder Einschüchterungstechniken hindeuten", erklärte Klimek. Alles in allem kommen die Komplexitätsforscher auf 342.000 zusätzliche Stimmen pro Erdogan aufgrund von Manipulationen. Das entspricht 0,64 Prozent der insgesamt abgegebenen Stimmen.

Die neuen Ergebnisse würden darauf hindeuten, "dass die türkischen Wahlen auch weiterhin von Unregelmäßigkeiten betroffen sind, die auf Wahlbetrug hinweisen können". Die "Irregularitäten" konnten das Ergebnis der 2023er-Wahlen zwar nicht entscheidend beeinflussen, "aber sie besitzen das Potenzial, das politische Spielfeld in der Türkei noch weiter in Richtung einer illiberalen Demokratie zu verschieben", so Klimek.

(S E R V I C E - https://doi.org/10.48550/arXiv.2305.19168)

ribbon Zusammenfassung
  • Anzeichen für Manipulation beim ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl in der Türkei Mitte Mai erkannten Wiener Komplexitätsforscher erst kürzlich.
  • Mit rund 52 Prozent der bei der Stichwahl abgegebenen Stimmen überflügelte Erdogan seinen Kontrahenten Kemal Kilicdaroglu knapp.
  • Die Wiener Forscher suchen seit Jahren nach statistisch signifikanten Hinweisen auf Manipulationen bei Urnengängen.