Experte: Genf machte wegen Wiens Russland-Politik das Rennen
So sei Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Jahr 2018 vier Mal mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammengetroffen, was sehr viel sei für den Regierungschef eines kleinen Landes. Dadurch sei allerdings Österreich innerhalb der EU mitunter als "trojanisches Pferd" Russlands wahrgenommen worden, sagte der Professor der Universität Innsbruck. Dieser Sonderweg Österreichs sei jedenfalls zu Ende. So habe etwa Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vor zwei Wochen bei einem Treffen der EU-Außenminister zu "mehr Kante" gegenüber Russland aufgerufen, was Moskau sicher nicht gefallen habe.
Hinzu kämen zwei Spionageaffären Russlands und die Ausweisung eines russischen Diplomaten aus Wien im Sommer 2020, vermutlich wegen Wirtschaftsspionage. So etwas habe es seit 1945 nicht gegeben, so Mangott. Österreich habe sich zudem gegenüber dem mit Russland eng verbündeten Regime von Alexander Lukaschenko in Weißrussland (Belarus) als eine der aktivsten Staaten bei der Unterstützung der Demokratiebewegung gezeigt, sicher auch zum Missfallen Moskaus.
Die Entscheidung für Genf als Gipfel-Standort dürfte indes schon länger getroffen worden sein, glaubt Mangott. Ein Vorteil Genfs sei dabei angesichts der vielen Konflikte Russlands mit der Europäischen Union sicher auch gewesen, dass die Schweiz kein EU-Mitglied sei. Zwar hätte die Ausrichtung des ersten Gipfels zwischen dem neuen US-Präsidenten Joe Biden und Putin natürlich viel Prestige für Wien gebracht, dennoch sei die Argumentation, dass es "besser ist Haltung zu zeigen", absolut nachvollziehbar.
Beim Gipfel selbst glaubt Mangott, dass sich Biden und Putin vor allem über Fragen der Rüstungskontrolle und der strategischen Stabilität, Stichwort Iran und Nordkorea, unterhalten werden. Weitere Themen seien sicher die Corona-Pandemie, die Klimakrise oder das Verhalten Russlands nach dem Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan. Biden werde sicher auch Syrien, die Ukraine oder Libyen ansprechen, hier seien aber keine Zugeständnisse Russlands zu erwarten, so Mangott. Klar sei aber, dass beide Seiten in den Gesprächen im Vorfeld sicherstellen, dass ein Misserfolg vermieden werde, denn einen solchen könne sich weder Biden noch Putin erlauben.
(Das Gespräch führte Martin Hanser/APA)
Zusammenfassung
- Der Politologe Gerhard Mangott sieht in der Entscheidung, dass Genf und nicht Wien den Gipfel zwischen den USA und Russland ausrichten wird, eine Konsequenz der geänderten Politik Wiens gegenüber Moskau.
- Biden werde sicher auch Syrien, die Ukraine oder Libyen ansprechen, hier seien aber keine Zugeständnisse Russlands zu erwarten, so Mangott.
- (Das Gespräch führte Martin Hanser/APA)