EU-Länder für Flexibilisierung von Kohäsionsgeldern
Die EU-Länder stimmen angesichts der Corona-Krise einer weiteren Flexibilisierung der Vergabe von Geldern aus den Kohäsionsfördertöpfen der Europäischen Union zu. Dadurch sollen zusätzliche Mittel rasch in die Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie fließen können, wie der EU-Rat am Mittwoch mitteilte. Das EU-Parlament muss dem Vorschlag der EU-Kommission noch zustimmen.
Demnach soll zum Beispiel für ein Infrastrukturprojekt vorgesehenes Geld dazu verwendet werden können, um Beatmungsgeräte zu kaufen, Klein- und mittelständische Unternehmen zu unterstützen oder die Kurzarbeit zu fördern. Zeitlich befristet werden auch die Bedingungen aufgehoben, unter denen Regionen Unterstützung bekommen können, um die Ressourcen in die am meisten von dem Coronavirus betroffenen Gebiete umleiten zu können.
Die sogenannte "Corona Response Investment Initiative Plus" ist bereits das zweite Maßnahmenpaket zur Erleichterung des Einsatzes von bestehenden EU-Strukturmitteln innerhalb eines Monats. Ende März stellten die EU-Länder 37 Milliarden Euro an bisher nicht abgerufenen EU-Kohäsionsgeldern für 2019 und 2020 vor allem für die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten zur Verfügung.
Als ungleich schwieriger erweist es sich hingegen, eine Einigung auf ein gemeinsames großes "Corona-Rettungspakt" zu erzielen. Die EU-Finanzminister starteten am Dienstagnachmittag ihre Beratungen, die erst am Mittwochmorgen unterbrochen und auf Donnerstag vertagt wurden. Zu dem vorgeschlagenen "Sicherheitsnetz" im Umfang von rund 500 Milliarden Euro gehören drei Elemente: vorsorgliche Kreditlinien des Eurorettungsschirms ESM, die besonders betroffenen Staaten zugutekommen könnten, ein Garantiefonds für Unternehmenskredite der Europäischen Investitionsbank EIB und das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kurzarbeiter-Programm namens "Sure".
Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz geht von einer Einigung am Donnerstag aus. Der letzte offene Punkt betrifft laut dem SPD-Politiker den raschen und unbürokratischen Einsatz von Hilfen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Diplomatenkreisen zufolge soll sich Den Haag hinsichtlich der Vergabebedingungen nicht kompromissbereit genug gezeigt zu haben.
Eine Entscheidung über die gemeinsame Schuldenaufnahme mittels sogenannter "Corona-Bonds" oder "Recovery Bonds" zum Wiederaufbau, wie sie unter anderem Frankreich, Italien und Spanien zunächst forderten und Österreich, Deutschland und die Niederlande kategorisch ablehnten, wurde laut Diplomatenkreisen verschoben. In der Schlusserklärung ist dem Vernehmen nach nun von "innovativen Finanzinstrumenten" für den Wiederaufbau die Rede, deren Details man später klären wollte. Die Klausel sei aber noch nicht gebilligt worden, da es bei den ESM-Bedingungen hakte.
Österreich gibt das Ziel nicht auf, eine Einigung auf ein gemeinsames EU-Rettungspaket zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu erzielen. "Wir werden weiterverhandeln, bis es hier eine Lösung gibt", teilte das Finanzministerium der APA am Mittwoch nach der Vertagung der Videokonferenz der EU-Finanzminister auf Donnerstag mit.
Des weiteren wurde Österreichs generelle Ablehnung gegenüber der Vergemeinschaftung der Schulden in der Europäischen Union bestätigt. "Wir wollen nicht, dass Österreich für die Schulden anderer Länder haftet. Gleichzeitig werden wir den von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Ländern solidarisch und europäisch helfen", lautet die Position.
Die österreichischen EU-Abgeordneten fordern indes infolge der vorerst ergebnislosen EU-Verhandlungen über ein Rettungspaket gegen die Corona-Wirtschaftskrise zum Handeln auf. Die EU-Finanzminister müssen "das 540-Milliarden-Coronahilfspaket ohne Verzögerung" verabschieden, betonte der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas am Mittwoch und verlangte einen Zeitplan zur Erarbeitung neuer Finanzinstrumente.
Für SPÖ-Abgeordnete Evelyn Regner zeigt die Verschiebung auch an, dass "alle Optionen eingehend diskutiert werden". "Als Antwort auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie dürfen wir jetzt keine Angst vor großen Visionen haben", lautet aber ihre Botschaft an die Finanzminister.
Die bestehenden Möglichkeiten des Euro-Rettungsschirms ESM und der Europäischen Zentralbank müssten genutzt werden, daneben seien "neue Ansätze zur europaweiten Etablierung von Kurzarbeit und gemeinsame europäische Anleihen der richtige Weg aus der Krise", so die EU-Mandatarin. "Wir dürfen die Fehler aus der Finanzkrise nicht wiederholen", ist Regner überzeugt. "Damals haben wir nur die Banken gerettet, heute müssen die Beschäftigten an erster Stelle stehen", so die EU-Abgeordnete.
Die EU-Finanzminister sollen am Donnerstag um 17.00 Uhr ihre Beratungen fortsetzen. Nachdem man bei den Bedingungen für den Einsatz des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM nicht weitergekommen war, wurde die am Dienstagnachmittag begonnene Videokonferenz Mittwochfrüh abgebrochen. Einigen müssen sich die Finanzminister auch noch auf eine gemeinsame Formulierung zur Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen. Allen voran Italien, Spanien und Frankreich fordern die Ausgabe von "Corona-Bonds", unter anderem Österreich und Deutschland lehnen diese kategorisch ab.
Für den Leiter der FPÖ-EU-Delegation, Harald Vilimsky, ist es nicht verwunderlich, dass die "Nettozahler nicht mitmachen" bei der Vergemeinschaftung von Schulden. Die Entscheidung über weitere gemeinsame Finanzinstrumente zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise wird am Donnerstag vermutlich verschoben. Für Vilimsky haben "bis dato" nur die Nationalstaaten entsprechend in der Krise agiert.
Die Grünen treten hingegen für die Ausgabe von "Corona-Bonds" ein, die sowohl "die direkten Kosten der Corona-Krise als auch das Wiederankurbeln der europäischen Volkswirtschaften im Einklang mit Klimazielen und Grünen Deal unterstützt hätten". Die "Uneinigkeit im Rat habe jedoch "diesen effektiven und nachhaltigen Corona-Brandschutz verhindert".
Zumindest bei dem vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) angekündigten Recovery-Fonds müsse "in diese Richtung" nachgebessert werden, so die EU-Delegationsleiterin der Grünen, Monika Vana. Für sie ist das auf dem Verhandlungstisch liegende dreiteilige Corona-Rettungspaket nur eine "Minimallösung", die mit " großen Unsicherheiten behaftet" ist.
Der NEOS-EU-Abgeordneten Claudia Gamon zufolge führt die "fehlende Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten und die daraus resultierende Verzögerung" dazu, dass die wirtschaftliche Situation "angespannter und die Krise schwerer bewältigbar" wird. "Davon profitieren nur jene, die Europa keine gute Zukunft wünschen", so Gamon. Die liberale Fraktion im EU-Parlament, Renew Europe, fordert ein "massives Wirtschafts- und Finanzpaket, um die Erholung der Wirtschaft schnellstmöglich voranzutreiben".
Das nötige Investment solle über ein höheres EU-Budget, die bereits existierenden EU-Fonds und Finanzinstrumente wie den ESM erreicht werden. Zusätzlich werden "Recovery Bonds", die vom EU-Budget garantiert werden, als notwendig angesehen. Dieses Paket solle nicht die umstrittene Vergemeinschaftung bestehender Schulden beinhalten, hieß es.
Zusammenfassung
- Die EU-Länder stimmen angesichts der Corona-Krise einer weiteren Flexibilisierung der Vergabe von Geldern aus den Kohäsionsfördertöpfen der Europäischen Union zu.
- Dadurch sollen zusätzliche Mittel rasch in die Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie fließen können, wie der EU-Rat am Mittwoch mitteilte.
- Das EU-Parlament muss dem Vorschlag der EU-Kommission noch zustimmen.