EU-Kommission äußert Bedenken zu Österreichs Justizsystem
Das Justizsystem in Österreich "befindet sich in einem wichtigen Reformprozess", erklärte die EU-Kommission. Anlass zu Sorge bereite allerdings, dass "die Notwendigkeit einer richterlichen Mitwirkung bei der Ernennung von Verwaltungsgerichtspräsidenten" nicht berücksichtigt wurde. Auch sei die Reform der Staatsanwaltschaft nicht vorangekommen, wird kritisiert. Der Abschlussbericht der Expertengruppe vom September 2022 hätte bisher keine politischen Maßnahmen zur Folge gehabt.
Die EU-Kommission hob in ihrer Analyse auch die Arbeiten an einem neuen Aktionsplan zur Korruptionsbekämpfung hervor. Die Empfehlungen zur Parteienfinanzierung, darunter die Ermächtigung des Rechnungshofs, die Finanzen der Parteien zu prüfen, seien umgesetzt worden. Keine Fortschritte stellte die EU-Behörde hingegen bei der Einführung "wirksamer Vorschriften für die Offenlegung von Vermögenswerten und Interessen der Parlamentsmitglieder, einschließlich wirksamer Überwachungs- und Sanktionsmechanismen" fest.
"Die Medienaufsichtsbehörde arbeitet weiterhin unabhängig", heißt es zudem. Für den mit finanziellen Problemen konfrontierten Presserat sei Unterstützung vorgesehen. Bewegung ist nach Ansicht der EU-Kommission auch in die Reform der mehrmals kritisierten Vergabepraxis von Regierungsinseraten gekommen. Damit sei zwar "die Transparenz der staatlichen Werbung verbessert, die gerechte Zuteilung der Gelder ist aber noch nicht geklärt", mahnte sie allerdings.
Vorangekommen sei Österreich auch nicht beim Gesetz zur Informationsfreiheit, wird in dem Bericht kritisiert. Außerdem blieben einige Herausforderungen hinsichtlich der Sicherheit von Journalisten bestehen, erklärte die EU-Behörde, ohne konkrete Angaben dazu zu machen.
Positive Worte gab es für die Volksanwaltschaft, diese "arbeitet weiterhin effizient". Auch würden mehrere Initiativen zur Unterstützung der Öffentlichkeitsbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen laufen und die Zivilgesellschaft sei "weiterhin in einem stabilen Umfeld tätig", so die EU-Behörde.
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ließ per Aussendung wissen, sie freue sich, dass auch die EU-Kommission auf die Einführung einer Generalstaatsanwaltschaft auf Grundlage des im Justizministerium (BMJ) erarbeiteten "Expert:innen-Konzepts" poche. "Mit unserem Konzept haben wir somit erstmals in der Geschichte des BMJ ein Modell vorgestellt, hinter dem nicht nur die Justiz und die EU-Kommission, sondern auch weite Teile der Zivilgesellschaft und Wissenschaft stehen."
Das Konzept stelle die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik sicher und entspreche dem europäischen Standard moderner Strafverfolgung anhand des Vorbilds der Europäischen Staatsanwaltschaft, so Zadić. "Die Errichtung einer Generalstaatsanwaltschaft ist der nächste logische Schritt zur weiteren strukturellen Absicherung der Unabhängigkeit der Justiz. Ich werde alles daran setzen, das Vertrauen in die Justiz zu stärken und deren unabhängige Arbeit auch über meine Amtszeit hinaus abzusichern."
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) interpretierte den EU-Bericht als positive Bewertung. "Die Europäische Kommission hat Österreich ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Empfehlungen des Vorjahres wurden zum Teil umgesetzt bzw. befinden sich in Umsetzung", hieß es in einer Aussendung. "Rechtsstaatlichkeit ist einer der Grundpfeiler in der Europäischen Union. Österreich hat den Anspruch, sich stetig zu verbessern. Diesem Anspruch wollen wir auch täglich gerecht werden. Ziel ist es den parlamentarischen Prozess zum Informationsfreiheitsgesetz zügig zu starten, damit wird eine weitere Empfehlung umgesetzt. Klar ist, dass seit dem letzten Bericht tatkräftig an der Informationsfreiheit gearbeitet wurde. Österreich ist und bleibt europaweit und international ein Maßstab für Rechtsstaatlichkeit."
SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim sah die Sache etwas anders: "Es zeigt sich, dass die EU-Kommission die Kritik der SPÖ an der Bundesregierung teilt. Sowohl die Ankündigung der Bundesstaatsanwaltschaft als auch die der Informationsfreiheit sind bis heute nicht mehr als heiße Luft", wurde per Mitteilung festgestellt. "Wenn man sich die Streitereien in dieser Regierung ansieht, wird klar: da kommt auch nichts mehr nach. Beides ist dringend notwendig, um Korruption vorzubeugen und eine transparente und offene Politik zu fördern."
Yildirim warf der ÖVP und den Grünen "Untätigkeit" vor. Die Bekämpfung von Korruption sei aber die drängendste Aufgabe, die Justizministerin Alma Zadić lösen muss. Das habe der ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss eindeutig gezeigt. "Leider sehen wir keine ernsthaften Bemühungen, die Korruptionsbekämpfung voranzutreiben."
Die NEOS nahmen den EU-Bericht zum Anlass für scharfe Kritik an der türkis-grünen Bundesregierung. "Es ist eine Bankrotterklärung für die gesamte Bundesregierung, dass sowohl bei der 'Unendlichen Geschichte Informationsfreiheit' als auch bei der unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft seit Jahren einfach nichts weitergeht", teilte NEOS-Vizeklubchef Niki Scherak am Mittwochnachmittag mit.
Die EU-Kommission präsentiert seit 2020 einmal im Jahr einen Bericht über den Zustand von Justiz, Medien und Rechtsstaat für die einzelnen 27 Länder in der EU. Er dient hauptsächlich als Diskussionsgrundlage für EU-Parlament und EU-Staaten.
Zusammenfassung
- Grundsätzlich sei die "Wahrnehmung der Unabhängigkeit des österreichischen Justizsystems hoch", heißt es in dem länderspezifischen Dokument.
- Gleichzeitig stellte die Brüsseler Behörde aber kaum Fortschritte bei der Einrichtung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft sowie beim Informationsfreiheitsgesetz fest.
- Das Justizsystem in Österreich "befindet sich in einem wichtigen Reformprozess", erklärte die EU-Kommission.