Entwicklungszusammenarbeit: EU-Kommissar warnt vor Kürzungen
"Eine gut strukturierte Entwicklungspolitik, die die lokale Wirtschaft, Infrastruktur und Regierungsführung stärkt, ist eine der wirksamsten Maßnahmen, um die Ursachen für Migration anzugehen", sagte der tschechische Wirtschaftsfachmann dem Magazin der Austrian Development Agency (ADA). Síkela hatte Anfang der 1990er-Jahre bei der Creditanstalt in Wien gearbeitet und war von 2015 bis 2020 Vorstandsmitglied der Erste Group Bank. Von 2021 bis zu seiner Berufung zum EU-Kommissar (ab 1. Dezember 2024) bekleidete er das Amt des Ministers für Industrie und Handel in der Regierung des liberal-konservativen Premiers Petr Fiala.
"Wenn die Partnerländer über robuste Arbeitsmärkte, eine stabile Energieversorgung und moderne Bildungssysteme verfügen, haben die Menschen weniger Anreize, anderswo ihr Glück zu suchen und dabei ihr Leben zu riskieren", argumentierte Síkela. Dies könne über die EU-Initiative "Global Gateway" forciert werden, die globale Partnerschaften für demokratische und nachhaltige Standards fördert. "Im Rahmen von Global Gateway wollen wir Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und die Lebensqualität in Partnerregionen verbessern. Längerfristig kann dies die Push-Faktoren für irreguläre Migrationsströme nach Europa erheblich verringern. Durch die Abstimmung der Migrationspolitik mit der Entwicklungszusammenarbeit lässt sich auch verhindern, dass Partnerländer ihren eigenen Talentpool aushöhlen."
Europa werde sich in den nächsten Jahren weiterhin auf benachbarte Regionen wie Afrika, Osteuropa und den Nahen Osten konzentrieren, erklärte der EU-Kommissar. "Wenn die Lage dort instabil wird, macht sich das schnell auch bei uns bemerkbar. Global Gateway zielt darauf ab, bis 2027 weltweit 300 Milliarden Euro zu investieren. 150 Milliarden Euro sind speziell für Afrika vorgesehen." Dies spiegle das enorme Potenzial des Kontinents - etwa für nachhaltige Industriepartnerschaften - sowie seinen direkten Einfluss auf die europäische Sicherheit und die Migrationsströme wider. "Auch Asien und Lateinamerika sind für den digitalen und den ökologischen Wandel wichtig. Indem wir uns hier engagieren, sichern wir Lieferketten und öffnen neue Märkte für europäische Innovationen."
Síkela brach eine Lanze für "Global Gateway": "Mit dieser Strategie profitieren unsere Partnerländer von nachhaltiger Infrastruktur, neuen Beschäftigungsmöglichkeiten und einem besseren Zugang zu Ressourcen, etwa zu sauberer Energie. Investitionen in die lokale Wirtschaft tragen dazu bei, Konflikten und Zwangsmigration den Boden zu entziehen. Gleichzeitig kann Europa auf gestärkte Lieferketten für kritische Rohstoffe und neue, stabile Märkte für europäische Technologie und Fachwissen zählen."
Chancen für Entwicklungsbanken und Privatinvestoren
Entwicklungsbanken und private Investoren, die sich an gemeinsamen Initiativen beteiligen, könnten in Regionen, die zuvor als hochriskant eingestuft wurden, mit einer verlässlichen Rendite rechnen, so der EU-Kommissar. Die Weltgemeinschaft könne durch geopolitische Entspannung "nur gewinnen", betonte Síkela, "denn die Bevölkerungen werden widerstandsfähiger, und die Menschen haben zu Hause Aussicht auf ein besseres Leben." Es ginge letztlich nicht nur um traditionelle Hilfe, "sondern vor allem darum, Partnerschaften aufzubauen, die Sicherheit, Stabilität und gemeinsamen Wohlstand fördern, und letztlich ein sichereres Umfeld sowohl im Ausland als auch hier in Europa schaffen."
Eine enge, strukturierte Zusammenarbeit zwischen den EU-Kommissionsmitgliedern sei entscheidend. "Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind - Bevölkerungsalterung, digitaler Wandel, Dekarbonisierung, Ressourcensicherheit - betreffen alle Politikbereiche und können nicht isoliert bewältigt werden. Ich werde mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen abstimmen, damit sich beispielsweise unsere Maßnahmen in den Bereichen Handel, Finanzen und Entwicklung gegenseitig verstärken", so der EU-Kommissar abschließend.
ADA und EU
Die Austrian Development Agency ist seit 2009 bei der Europäischen Kommission akkreditiert, um EU-Gelder abzuwickeln und nachhaltige Entwicklungsprojekte für die EU umzusetzen. Seitdem hat die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit für die Europäische Union 23 Projekte und insgesamt 161 Millionen Euro an EU-Geldern erfolgreich umgesetzt. In diesem Rahmen unterstützte die ADA in den vergangenen Jahren etwa den Kosovo dabei, sein Berufsbildungssystem zu reformieren und Bildung an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes anzupassen. Österreich förderte gemeinsam mit Schweden nachhaltigen Bergtourismus und Bio-Landwirtschaft in Georgien. Am Horn von Afrika hat sich die Austrian Development Agency gemeinsam mit der EU für Frieden und Stabilität eingesetzt. Mit Geldern aus der EU und Österreich wurden in der Gemeinde Cantemir in Moldau eine moderne Trinkwasserversorgung sowie eine Kläranlage errichtet und das Kanalnetz ausgebaut.
(S E R V I C E: Das Interview erscheint Ende März in der Printausgabe der ADA-WELTNACHRICHTEN. Online ist es in der Gesamtlänge bereits jetzt hier zu lesen: https://www.entwicklung.at/ada/aktuelles/interview-jozef-sikela bzw. APA-Shorturl https://go.apa.at/HQ5MPpCd . Das Magazin der Austrian Development Agency berichtet vierteljährlich über entwicklungspolitische Themen. Alle Beiträge, Reportagen, Interviews und Geschichten sind auch online unter https://www.entwicklung.at/weltnachrichten#!/ nachzulesen. Die WELTNACHRICHTEN sind kostenlos. Bestellungen unter oeza.info@ada.gv.at.)
Zusammenfassung
- Jozef Síkela, EU-Kommissar, warnt vor Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit und betont die strategische Bedeutung einer gut strukturierten Entwicklungspolitik.
- Die EU-Initiative 'Global Gateway' plant bis 2027 Investitionen von 300 Milliarden Euro weltweit, davon 150 Milliarden Euro speziell für Afrika.
- Síkela sieht in der engen Zusammenarbeit innerhalb der EU-Kommission einen Schlüssel zur Bewältigung globaler Herausforderungen.
- Entwicklungsbanken und private Investoren könnten in zuvor hochriskanten Regionen mit stabilen Renditen rechnen.
- Die Austrian Development Agency hat seit 2009 23 Projekte mit insgesamt 161 Millionen Euro an EU-Geldern erfolgreich umgesetzt.