Deutscher Koalitionskrach: Scholz traf Lindner und Habeck
Er bestehe darauf, dass die Regierung ihre Arbeit zu machen habe und Pragmatismus dafür die richtige Maßgabe sei, sagte der SPD-Politiker in Berlin nach einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte. "Wir haben dafür eine Grundlage. Das ist der Koalitionsvertrag. Der ist verhandelt", unterstrich Scholz. Zudem habe das Kabinett im Sommer einen Entwurf für das Budget auf den Weg gebracht. Dem Bundestag sollten dazu nun noch "ein paar zusätzliche Vorschläge" gemacht werden. "Ich bin der Kanzler. Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderungen bewältigen, vor denen wir stehen. Es geht um Wirtschaft und Arbeitsplätze. Es geht um Pragmatismus und nicht um Ideologie", erklärte Scholz.
Lindner traf am frühen Nachmittag im Bundestag zu einem Treffen der FDP-Fraktion mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden zusammen, das bereits begonnen hatte. Er wollte sich nicht zur Dreierrunde mit Scholz und Habeck äußern.
Die Chefs von SPD und Grünen bekräftigten am Montag, dass sie nicht an einem Koalitionsbruch interessiert seien. Die Grünen streben nach Worten ihres scheidenden Co-Parteichefs Omid Nouripour kein vorzeitiges Ende der Ampel-Koalition an. Die Frage stelle sich nicht, sagte Nouripour am Montag in Berlin auf Fragen von Journalisten. "Wir wollen den Bruch nicht. Wir gehen auch davon aus, dass andere vertragstreu sind." Auch die SPD will nach Angaben ihrer Vorsitzenden Saskia Esken an der Ampel-Koalition festhalten. "Wir haben überhaupt gar keine Neigung, die Koalition platzen zu lassen", sagte sie am Montag nach einer Präsidiumssitzung in Berlin. Von dem für Mittwochabend geplanten Treffen des Koalitionsausschusses erwarte sie eine Klärung, was die weitere Regierungszusammenarbeit und die Stärkung der Wirtschaft angeht.
Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit glaubt Scholz daran, dass die Ampel-Regierung bis zum regulären Wahltermin am 28. September 2025 zusammenhalten wird. "Ich gehe davon aus, dass diese Regierung konstruktiv bis zum regulären Termin der Bundestagswahl im nächsten Jahr zusammenarbeiten wird", sagte Hebestreit am Montag in Berlin. Er betonte auf Nachfrage, dass dies auch die Meinung des Kanzlers sei. Auf die Frage nach dem Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP fügte Hebestreit hinzu, dass es für den Kanzler darum gehe, die deutsche Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hatte sich im Vorfeld optimistisch gezeigt, dass sich SPD, Grüne und FDP auf ein gemeinsames Konzept zur Ankurbelung der Wirtschaft einigen können. Ab Montag sind mehrere Dreier-Treffen von Scholz, Habeck und Lindner vorgesehen.
"Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende allen Beteiligten darum geht, hier Stabilität herzustellen in diesem Land in schwierigen Zeiten", sagte Miersch am Montag in der ARD mit Blick auch auf die Beratungen über das Budget 2025. "Dass wir die Wirtschaft stützen wollen und dass wir Investitionen anreizen wollen, dass wir Bürokratie abbauen wollen - da haben wir genau die identischen Ziele", fügte er im Hinblick auf unterschiedliche Vorschläge von SPD, Grünen und FDP hinzu.
Habeck sagte einen Termin bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu Mittag ab, um ins Kanzleramt zu fahren. Am Mittwoch treffen sich die Spitzen der Ampel-Parteien, -Fraktionen und -Regierung in einem Koalitionsausschuss. Dann wird auch über die Auswirkungen der US-Wahlen auf Deutschland und die deutsche Politik gesprochen. Am Montag tagen zudem die Parteigremien. Die FDP-Fraktion veranstaltet ein weiteres Treffen mit einigen Wirtschaftsverbänden.
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte von einer "Woche der Entscheidung" gesprochen. Seit Tagen wird spekuliert, dass die FDP die in Umfragen sehr unbeliebte Ampel-Regierung verlassen könnte, weil sie sich dadurch eine bessere Chance erhofft, nach der Bundestagswahl wieder in den Bundestags einziehen zu können. Es gebe aber keinen "Vorsatz", die Ampel zu verlassen, hatte Parteichef Lindner vor einigen Tagen gesagt.
SPD-Generalsekretär Miersch appellierte an den Zusammenhalt. "Alle müssen sich am Riemen reißen. Weglaufen gilt nicht", sagte er. Er halte nichts davon, ein irgendwie geartetes Ende der Koalition an die Wand zu malen. "Wir haben eine Verantwortung, eine verdammte Verantwortung in diesen schwierigen Zeiten." Die oppositionelle Union hatte dagegen mehrfach vorgezogene Neuwahlen gefordert, weil sich die Ampel nicht mehr auf eine klare Politik einige könne. Die Präsidentin des Automobilverbandes VDA, Hildegard Müller, sagte am Montag in der ARD: "Wenn man die Kraft nicht findet zu handeln, da muss man die Konsequenzen ziehen."
Mit Blick auf die US-Präsidentenwahl betonte auch Miersch, dass es nicht nur im Falle eines Wahlsieges von Donald Trump eine stabile Bundesregierung brauche. "Es werden schwierige Zeiten auf die USA zukommen. Aber wir haben ja weltweit Krisensituationen, so dass es unabhängig von dem Ausgang der US-Wahl darauf vorankommt, dass es eine stabile Bundesregierung gibt", mahnte er. Der Streit der vergangenen Wochen müsse enden.
Scholz hatte sich am Sonntagabend zunächst mit den SPD-Spitzen im Kanzleramt und anschließend zweieinhalb Stunden mit Lindner beraten. Wichtigste Knackpunkte sind in den kommenden Tagen und Wochen die Verabschiedung des Budgets 2025 mit einem immer noch bestehenden Finanzierungsloch von mehreren Milliarden Euro, eines Pensionspakets und des 49 Punkte umfassenden Wachstumspakets der Regierung.
Die derzeitige Diskussion kreist aber vor allem um eine zusätzliche Ankurbelung der lahmenden Wirtschaft. Dazu hatten sowohl der SPD-Parteivorstand, Habeck als auch Lindner in den vergangenen Wochen Vorschläge vorgelegt. Diese widersprechen sich allerdings. Während Habeck ein großes, schuldenfinanziertes Investitionsprogramm mit steuerlichen Prämien für Investitionen vorschlägt, möchte Lindner etwa den Solidaritätszuschlag ganz abschaffen und die Zielmarke für ein klimaneutrales Deutschland von 2045 auf 2050 verschieben. Die SPD wiederum will ebenfalls Investitionsprämien. Scholz hatte einen Bundeszuschuss für die Deckelung der Netzentgelte vorgeschlagen, um Firmen zu entlasten, und plant einen "Pakt für Industrie".
Beim Thema Bürokratieabbau sind sich im Prinzip alle einig. Strittig ist aber, wie weit dieser gehen soll. Lindner hat ein Moratorium für neue Gesetze von drei Jahren vorgeschlagen und lehnt auch das von der SPD gewünschte und im Koalitionsvertrag vereinbarte Tariftreuegesetz in der bisher geplanten Form ab. Habeck hatte zunächst eine Abschaffung alle Nachweis- und Berichtspflichten von Firmen vorgeschlagen, ruderte dann aber unter dem Druck seiner Partei zurück. Alle wollen die EU-Kommission drängen, Regulierung auf europäischer Ebene zurückzuschrauben.
Zusammenfassung
- Die deutsche Ampel-Koalition, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, steht vor internen Spannungen bezüglich Wirtschafts- und Budgetpolitik.
- Kanzler Olaf Scholz betont die Notwendigkeit von Pragmatismus und die Einhaltung des Koalitionsvertrags, um die Wirtschaft zu stärken.
- Es gibt Spekulationen über einen möglichen Austritt der FDP aus der Koalition, obwohl Parteichef Lindner dies verneint.
- Die Regierung plant, das Budget 2025 mit einem Finanzierungsloch von mehreren Milliarden Euro zu verabschieden.
- Ein 49 Punkte umfassendes Wachstumspaket und unterschiedliche Vorschläge zur Wirtschaftsförderung sind Teil der aktuellen Diskussionen.