Deutscher Bundespräsident entscheidet über Neuwahlen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte an dem Tag Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner entlassen, womit die FDP aus der "Ampel" ausschied. Seitdem regiert Scholz nur noch mit den Grünen und hat im Parlament keine Mehrheit mehr.
In Deutschland kann sich der Bundestag nicht selbst auflösen. Voraussetzung ist eine verlorene Vertrauensfrage, die es dann dem Bundespräsidenten ermöglicht, Neuwahlen herbeizuführen. Bei der Abstimmung am 16. Dezember stimmten nur noch die SPD-Abgeordneten für Scholz, die Grünen enthielten sich, die meisten übrigen Parlamentarier stimmten gegen den Kanzler.
Nach allen Umfragen ist in Deutschland ein Regierungswechsel zu erwarten. Die Christdemokraten von Oppositionsführer Friedrich Merz liegen weit vorn. Merz' CDU kommt gemeinsam mit ihrer nur in Bayern antretenden Schwesterpartei CSU auf um die 33 Prozent. CDU und CSU stellen im Bundestag eine einheitliche Fraktion und haben gemeinsam Merz als Kanzlerkandidaten aufgestellt.
Mit einem Drittel der Stimmen wäre Merz allerdings noch weit von einer Mehrheit im neuen Bundestag entfernt. Die FDP, wegen ihrer ideologischen Nähe jahrzehntelang natürlicher Verbündeter der CDU/CSU, hat laut Umfragen Mühe, die Fünf-Prozent-Klausel für den Einzug ins Parlament zu überwinden und dürfte auch im günstigsten Fall nicht genügend Stimmen beisteuern können, um Merz zum Kanzler zu wählen.
So wäre dieser auf eine Zusammenarbeit entweder mit der SPD oder mit den Grünen angewiesen. Mit den Sozialdemokraten hatte die CDU während 12 der 16 Jahre unter Kanzlerin Angela Merkel (2005-2021) zusammen regiert. Gegensätzliche Positionen gibt es unter anderem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Gegen eine Koalition mit den Grünen - das erste schwarz-grüne Bündnis auf Bundesebene - wehrt sich die bayerische CSU mit Parteichef und Ministerpräsident Markus Söder vehement. Zwischen Schwarz und Grün gibt es Unterschiede vor allem in der Migrations- und Energiepolitik.
Die Christdemokraten wollen Migranten ohne Bleibeperspektive schon an den Grenzen zurückweisen können, und sie erwägen einen Wiedereinstieg in die Atomkraft. Sollte die CDU/CSU ein Zusammengehen mit den Grünen von vorneherein ausschließen, würde dies aber ihre Verhandlungsposition gegenüber der SPD schwächen.
Die Kanzlerpartei kommt derzeit in Umfragen auf 16 bis 17 Prozent, die Grünen liegen bei 13 bis 14 Prozent. Es wird nicht ausgeschlossen, dass die SPD noch aufholt, doch halten Meinungsforscher den Rückstand Scholz' auf Merz für zu groß, um ihn vollständig wettzumachen.
Im Wahlkampf dürfte das Thema Migration wieder eine große Rolle spielen - noch angeheizt nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mit fünf Toten und mehr als 200 Verletzten vom vorigen Freitag. Davon könnte die rechtspopulistische AfD profitieren, die jetzt schon in den Umfragen mit um die 19 Prozent auf dem zweiten Platz rangiert. Mit ihr will keine der anderen Parteien kooperieren.
Neu auf dem Stimmzettel ist das linksnationalistische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das ebenfalls für eine härtere Einwanderungspolitik eintritt und in den Umfragen bei um die sechs Prozent rangiert. Das BSW ist eine Abspaltung von der Partei Die Linke, die jetzt weit unter fünf Prozent liegt.
Die rund 60 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland haben nur begrenzten Einfluss darauf, wer sie künftig regiert. Denn sie entscheiden nur über die Stärke der Parteien im Parlament, nicht aber darüber, wer mit wem koaliert. Den Bundeskanzler wählt der Bundestag nach dem Abschluss von Koalitionsverhandlungen.
Das Instrument der Vertrauensfrage zur Herbeiführung von Neuwahlen ist in Deutschland umstritten. Die Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1983 und Gerhard Schröder (SPD) 2005 stellten - und verloren - sie, obwohl ihre jeweiligen Koalitionen im Bundestag noch eine Mehrheit hatten. Die Rede war daher von "fingierten Vertrauensfragen". Allerdings hat Scholz seit dem Ausscheiden der FDP aus der "Ampel" tatsächlich keine parlamentarische Mehrheit mehr.
Zusammenfassung
- In aktuellen Umfragen liegt die CDU/CSU mit 33 Prozent vorn, während die SPD 16 bis 17 Prozent und die Grünen 13 bis 14 Prozent erreichen. Die AfD profitiert vom Migrationsdiskurs und kommt auf etwa 19 Prozent.
- Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht tritt ebenfalls für eine härtere Einwanderungspolitik ein und erreicht in Umfragen etwa sechs Prozent. Koalitionsverhandlungen nach der Wahl werden entscheidend sein, da keine Partei eine klare Mehrheit hat.