APA/APA/THEMENBILD (Archiv)/ROLAND SCHLAGER

Der Trend geht nach rechts in Europa

Rechtspopulistische und -extreme Parteien erfahren in Europa in den vergangenen Jahren vermehrt Zustimmung. Dieser Trend nach rechts ist nicht nur quantitativ anhand der Wahlergebnisse wahrnehmbar, auch die Qualität ist der Politologin Natascha Strobl zufolge anders als vor einigen Jahren. Diese Entwicklung könnte auch Auswirkungen auf die EU-Wahlen 2024 zeigen. Der Nahost-Krieg dürfte laut EU-Experten Stefan Lehne zunächst kein zusätzlicher Faktor für einen Rechtsruck sein.

Zuletzt zeigte sich der Trend etwa bei den Landtagswahlen in Deutschland. Die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, ging als zweitstärkste Partei aus den Wahlen in Hessen und Bayern hervor. Zwar handelt es sich lediglich um Landtagswahlen, dennoch lässt sich eine allgemeine politische Verschiebung nach rechts in Europa nicht übersehen. Spätestens mit dem Aufstieg der Fratelli d'Italia, die auch als postfaschistische und rechtsextreme Partei bezeichnet wird, zeigt sich, dass rechte politische Bewegungen in den großen Ländern Europas am Vormarsch sind. Auch in Schweden und Frankreich verzeichneten die rechten Parteien zuletzt höhere Wahlergebnisse. In Finnland sitzt die rechtspopulistische Partei "Die Finnen" mit in der Regierung.

Dass der Rechtspopulismus und die extremen Rechten einen Aufstieg erleben, ist laut Strobl kein neues Phänomen, sondern etwas, das immer wieder in Wellen vorkommt. Die Besonderheit der Wende in den vergangenen zwei bis drei Jahren ist laut der Politologin, "dass wir es nicht nur mit extrem rechten Parteien zu tun haben, sondern eigentlich mit extrem rechten Regierungen". Der qualitative Unterschied zu den vorherigen Jahren bestehe darin, dass rechtsgerichtete und extreme rechte Parteien Regierungsanspruch erheben oder mittlerweile sogar in Regierungen die Agenda setzen können.

Auch der EU-Experte von der Carnegie-Stiftung, Stefan Lehne, sieht den großen Einfluss rechtsnationaler Parteien in der mittelbaren Beeinflussung der Positionen von Mitte-Rechts Parteien. "In vielen Ländern gibt es ja die große Angst der Mitte-Rechts Parteien vor dieser rechten Konkurrenz. Sie sind deshalb immer getrieben auch migrationsskeptische und EU-skeptische Positionen anzunehmen, weil sie fürchten, dass sonst diese rechten Parteien ihnen das Wasser abgraben können", so Lehne.

Wieso der Rechtspopulismus gerade jetzt ein Hoch erlebt, ist laut Strobl den unsicheren und krisenreichen Zeiten geschuldet, die wir derzeit erleben. Zustimmung finden dann jene Parteien, die ein Gegenangebot bieten. Die Gesellschaft sehe sich dann nicht mehr als Ganzes. Das wiederum nähre diese politischen Strömungen. "Wenn die Kohäsionskräfte schwinden, kommt er (der Rechtsextremismus, Anm.) in die Fugen hinein, in die Gesellschaft", so Strobl.

Während der Rechtspopulismus ein politischer Stil ist, dem sich immer wieder auch Parteien aus anderen Spektren bedienen, beschreibt der Rechtsextremismus eine politische Ideologie. Auch durchaus moderatere, rechte Parteien können den rechtspopulistischen Stil verwenden, ohne damit hinter extremen rechten Ideologien zu stehen. Rechtsextreme Parteien seien laut Strobl hingegen meist historisch gewachsene Nachfolgeparteien von faschistischen und nationalistischen Parteien, wie etwa die Fratelli d'Italia.

Aktuellen Umfragen zufolge werden rechtsgerichtete Parteien auch bei den EU-Wahlen im Juni 2024 zulegen. Momentan befinden sich zwei rechte Fraktionen im Europäischen Parlament: die rechtskonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die rechtspopulistische bis rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID). Seit den EU-Wahlen 2019 gehören beide Fraktionen jeweils mit einem Stimmenanteil von weniger als zehn Prozent den schwächeren Fraktionen an. Weniger Stimmen bekam lediglich Die Linke (GUE/NGL).

Der EU-Experte Lehne geht dennoch von keiner drastischen Änderung der Koalitionsverhältnisse bei den nächsten Parlamentswahlen aus. Die Dreierkoalition, bestehend aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen, wird seiner Ansicht nach daher wohl wieder bestimmend sein, tendenziell jedoch schwächer. "Das Zentrum wird schmaler und die Ränder werden stärker. Und vor allem der rechte Rand wird zunehmen", sagte Lehne. "Es wird mögliche Fälle geben, wo die Europäischen Konservativen und Reformer eine größere Rolle spielen als bisher", sagte er weiter. Bei der nächsten Wahl werden 720 Abgeordnete gewählt - 15 mehr als bei der Wahl 2019. Lehne schätzt, dass dabei etwa 400 Sitze auf die Dreierkoalition entfallen werden, derzeit zählt sie 418 Abgeordnete.

Zwischen den beiden rechten Fraktionen im EU-Parlament gab es in der Vergangenheit immer wieder auch Bestrebungen, gemeinsame Sache zu machen. Beide Fraktionen sind sich im Thema Migration einig und fordern etwa stärkere Maßnahmen gegen die Zuwanderung in die EU. Bisher waren die inhaltlichen Differenzen dennoch groß genug, um eine Fusion zu verhindern. Während die EU-kritische ID als Rechtsaußen-Fraktion gilt, positioniert sich die EKR im Mitte-Rechts Bereich. Uneinig sind sich die rechten Fraktionen vor allem, was ihre Haltung zu Russland angeht. Während die EKR der russischen Führung kritisch gegenübersteht, hat die ID innerhalb ihrer Mitglieder ein ambivalentes Verhältnis zu Russland. Die Spaltung aufgrund dieser Differenzen ist laut Lehne gerade im Hinblick auf den von Russland geführten Krieg gegen die Ukraine auch für das nächste Jahr anzunehmen, und ein Zusammenschluss sei aus derzeitiger Sicht auszuschließen.

Gerade die jetzige Bewegung könne jedoch genauso eine Gelegenheit bieten, sich in diesem "Kulturkampf" zu treffen. "Wenn man jetzt so ein Momentum spürt, ist es viel leichter zu sagen, wir schieben alles beiseite, wo wir uns nicht verstehen", meint Strobl. Sollten sich die EKR und die ID dazu entschließen, sich zusammenzutun, würde das ihre Erfolgsaussichten bei der Wahl allem Anschein nach steigern.

Den Ausbruch des Nahost-Kriegs und die damit einhergehende Migrations- und Sicherheitslage sieht Lehne aus derzeitiger Sicht nicht als zusätzliche Triebkraft für einen Rechtsruck bei den EU-Wahlen. Dafür seien die Positionen innerhalb der EU-Länder zu gespalten. Das Migrationsthema wird aber weiterhin ein wichtiges Thema für die rechten Parteien im Wahlkampf sein. Auch die Ablehnung der Covidpolitik, die Klimapolitik, der Umgang mit Russland sowie die Inflations- und Energieproblematik zählen - anders als noch 2019 - bei der Parlamentswahl im nächsten Jahr zu diesem Spektrum und dürften wohl zu einem Zuwachs an Stimmen für die Rechten führen.

(Die Gespräche führte Stephanie Strauß/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Rechtspopulistische und -extreme Parteien erfahren in Europa in den vergangenen Jahren vermehrt Zustimmung.
  • Dieser Trend nach rechts ist nicht nur quantitativ anhand der Wahlergebnisse wahrnehmbar, auch die Qualität ist der Politologin Natascha Strobl zufolge anders als vor einigen Jahren.
  • Diese Entwicklung könnte auch Auswirkungen auf die EU-Wahlen 2024 zeigen.
  • Bei der nächsten Wahl werden 720 Abgeordnete gewählt - 15 mehr als bei der Wahl 2019.