Botschafter Scherba: Kommende Nacht werden "viele Ukrainer ihr Leben geben"
"Diese Nacht wird ganz entscheidend sein", sagte Scherba im PULS 24 Interview aus Kiew. "Erst vor einer Stunde flogen 18 große (russische) Transportflugzeuge in Richtung Flughafen", so Scherba. Er rechne damit, "dass in dieser Nacht viele Ukrainer ihr Leben geben werden, damit die ukrainische Freiheit weiterhin besteht".
Der frühere ukrainische Botschafter in Österreich zeigte sich optimistisch, dass die Hauptstadt selbst bei einem Fall des restlichen Landes gehalten werden kann. Auch Sarajevo habe sich gehalten, als schon ganz Bosnien im damaligen Bürgerkrieg gefallen war, so Scherba. Freilich "war damals nicht ganz Russland mit im Spiel", räumte er ein. "Jetzt haben wir den mächtigsten und hasserfülltesten Feind, den es überhaupt gibt. Ich glaube trotzdem an unsere Armee, dass sie es schaffen wird, die Ukraine zu verteidigen."
"Frei sein oder nicht frei sein"
"Sollten sie unser Land okkupieren, werden wir weiterhin kämpfen", betonte Scherba. "Es ist jetzt frei sein oder nicht frei sein, da gibt es keinen Kompromiss." Scherba schilderte sichtlich bewegt die Lage in der ukrainischen Hauptstadt. In der Früh sei Kiew voller Leute gewesen, die mit Koffern die Stadt verlassen wollten. "Um zehn Uhr war die Stadt voll mit jungen Männern, die in den Krieg gingen, mit jungen Damen, die sie begleiteten, weinend", sagte der Diplomat mit tränenerstickter Stimme. "Am Abend war die Stadt leer."
Karner analysiert die russische Offensive
Scharfe Kritik übte Scherba an jenen Politikern, die in der Vergangenheit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kooperiert hätten. "Ich frage mich, was Frau Kneissl zurzeit denkt, wahrscheinlich wenig. Sie ist nicht eine Person, die sich Schmerz anderer zu Herzen nimmt", sagte er über die frühere Außenministerin Karin Kneissl, die Putin zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Doch er stelle sich auch die Frage, wie "ein guter Mensch" wie Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) "auf einmal die Stimme Russlands" werden könne. Dass er seinen Posten im Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn quittiert habe, sei immerhin "sehr anständig".
Der Militärstratege Gerald Karner nannte die militärische Situation "noch sehr unübersichtlich". Das russische Vorgehen richte sich gegen die Streitkräfte. Deklariertes Ziel sei es, diese zu zerschlagen. Über den bei Kiew eingenommenen Flughafen könnten nun weitere Kräfte eingeflogen werden, sagte er PULS 24.
Karner: "Tschernobyl ist ein logisches Angriffsziel"
Politikwissenschaftler Gerhard Mangott erklärt im PULS 24 Interview, das Ziel der russischen Seite sei die militärische und politische Kapitulation der Ukraine. Die Souveränität der Ukraine soll durch Russland beschränkt werden. Die Ukraine soll ein neutrales Land werden, das sich entmilitarisiert und unter russischem Einfluss steht.
Mangott: "Putin lebt in seiner eigenen Rationalität"
Die Niederlage der Ukraine sei eine Frage der Zeit und des Blutzolls. Die Ukraine werde militärisch nicht mehr lange dagegenhalten können - es gebe Defizite bei der Luftabwehr und der Marine. Russland sei zudem viel stärker aufgestellt.
Zusammenfassung
- Der ukrainische Spitzendiplomat Oleksander Scherba rechnet in den nächsten Stunden mit einer Vorentscheidung im Kampf gegen Russland.
- Er rechne damit, "dass in dieser Nacht viele Ukrainer ihr Leben geben werden, damit die ukrainische Freiheit weiterhin besteht".
- Der Militärstratege Gerald Karner nannte die militärische Situation "noch sehr unübersichtlich". Das russische Vorgehen richte sich gegen die Streitkräfte. Deklariertes Ziel sei es, diese zu zerschlagen.
- Politikwissenschaftler Gerhard Mangott erklärt im PULS 24 Interview, das Ziel der russischen Seite sei die militärische und politische Kapitulation der Ukraine. Die Souveränität der Ukraine soll durch Russland beschränkt werden.