Beilin sieht Österreich als möglichen Vermittler in Nahost
Seiner Ansicht nach könne jedes Land dazu beitragen, die Gräben im Nahostkonflikt zu schließen. "Natürlich kann das einen hohen Preis kosten", führte Beilin aus. "Manchmal werden dann beide Seiten zu deinem Feind." Nachsatz: "Am Ende hasst dich jeder und du fragst dich, warum muss ich diese verfluchten Kopfschmerzen ertragen, wenn sie mich verfluchen und nicht wollen?" Doch wenn "ein Land wie Österreich daran interessiert wäre, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen", sei das von "großer Bedeutung". Denn irgendwann werde eine neue Regierung auf das aktuelle Kabinett von Premierminister Benjamin Netanyahu folgen - "und müsse es sogar. Dann gibt es eine Chance." Die Lösungen seien bereits vorhanden, betonte Beilin. "Dann kann man die Arbeit in ein paar Monaten, einem Jahr oder zwei Jahren beenden."
Beilin nannte im Gespräch mit der APA die Abkommen von Oslo, Stockholm oder Genf als Beispiele. "Alle diese Städte waren in kleinen Ländern, die sich damals nicht einmal in der EU befanden", so der Ex-Minister. Gerade kleine Länder hätten in ihren diplomatischen Bemühungen mehr Spielraum als globale Mächte oder größere Organisationen wie die EU.
"Ich meine, was Norwegen getan hat, war rückblickend total verrückt", sagte der 75-Jährige. "Ein Typ wie ich kommt und erklärt: 'Lasst uns geheime Verhandlungen beginnen und zusammenarbeiten, ich sage es nicht einmal meinem Premier", erinnerte sich Beilin an seine wohl prägendste Zeit als Minister zurück. Damals mündeten geheime Verhandlungen in der norwegischen Hauptstadt unter Beilins Führung letztlich in das erste Oslo-Abkommen von 1993 - dem Grundstein der Idee einer Zweistaatenlösung. "Die Norweger waren Wegbereiter, betraten den Verhandlungsraum aber nie physisch. Sie zahlten die Flugtickets, organisierten alles und so weiter."
"Ich werde Österreich nicht fragen, ob es sich engagieren wird, weil ich nicht versprechen kann, dass ein Erfolg eintritt", erklärte Beilin. "Aber wenn Österreich mich fragen würde, ob es das machen soll, dann würde ich sagen: Ja, tut es."
Josef "Yossi" Beilin war in der Regierung von Ministerpräsident Yitzhak Rabin als Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei stellvertretender Außenminister. Nach Rabins Ermordung 1995 wurde er Außenminister. Der Politiker war ein Vertrauter des ehemaligen Ministerpräsidenten Shimon Peres und auch ein enger Freund des früheren österreichischen Außenministers und Bundeskanzlers Bruno Kreisky (SPÖ). "Er war ein persönlicher Wegbegleiter von mir", sagte Beilin über den 1990 verstorbenen sozialdemokratischen Politiker.
Beilin räumte im APA-Interview auch mit der Behauptung auf, wonach Kreisky eine antiisraelische Haltung gehabt habe. "Er war ein Freund Israels. Dass er antiisraelisch war, war nur eine Erfindung der Rechten Kräfte und von (Ministerpräsidentin) Golda Meir." So gab Beilin auch eine Anekdote über seine Zeit mit Kreisky zum Besten. "Ich erinnere mich, dass er fast geweint hätte, als er bei mir zu Hause auf Besuch war, weil Golda Meir gesagt hat, dass er ihr nich teinmal ein Wasser in Wien angeboten habe", erinnerte sich Beilin. "Er sagte mir: 'Ich habe ihr Kaffee und Strudel angeboten", so Beilin über das Verhältnis Kreiskys zu der früheren israelischen Ministerpräsidentin (1969 bis 1974).
Mit der aktuellen österreichischen Außenpolitik gegenüber Israel ist Beilin "sehr zufrieden", wie er sagte. "Ich muss zugeben, dass sich die derzeitige Regierung Israel gegenüber sehr positiv verhält." Zuletzt stimmte Österreich gemeinsam mit den USA, Israel und elf anderen Staaten gegen die am 27. Oktober verabschiedete UNO-Resolution zu einem Waffenstillstand im Gaza-Krieg.
Für die Zeit nach dem Krieg schlug Beilin vor, den Gaza-Streifen unter Verwaltung einer "Treuhandschaft von Ländern" oder der UNO zu stellen. "Kambodscha 1992 könnte ein Vorbild sein." Damals übernahmen die Vereinten Nationen nach Ende des kambodschanisch-vietnamesischen Bürgerkrieges die Übergangsverwaltung des südostasiatischen Staates.
Vor dem Hintergrund des Terroranschlages in Jerusalem am Donnerstag betonte Beilin jedoch auch, dass Israel weiter Druck auf die Hamas ausüben müsse. Eine Fortführung der Feuerpause vor diesem Hintergrund wäre daher die falsche Entscheidung. Der Krieg dürfe jedoch nicht nur das Ziel haben, alle Terroristen zu töten, sondern auch die Verwaltung des Gazastreifens durch die Hamas zu beenden.
Der israelische Sicherheitsminister Itama Ben Gvir erklärte nach dem Anschlag, der einzige Weg, mit der Hamas zu reden, sei "durch Zielfernrohre" und schlug vor, dass mehr Zivilistinnen und Zivilisten mehr Waffen haben sollten. Beilin dazu: "Das ist verrückt, er ist ein Extremist. Es wird das gleiche passieren wie in den USA, wo sehr viele Menschen durch Schusswaffen sterben."
Eine seiner größten Sorgen in Folge der Terror-Angriffe am 7. Oktober ist die Aufrüstung der Geheimdienste sowie der Bruch von verfassungsgemäßen Rechten. "Das ist eine ganz natürliche Reaktion. Und es gibt immer diejenigen, die es missbrauchen, um den Bürgerinnen und Bürgern irgendwie Rechte zu entziehen." Schließlich seien die Attacken vergleichbar mit den Flugzeugentführungen am 11. September 2001 gewesen. "Der 7. Oktober war unser 9/11", so Beilin. "Ich habe lange gebraucht, um zu realisieren, was geschehen ist."
(Das Interview führte Nikolaus Pichler/APA)
Zusammenfassung
- Der frühere israelische Außenminister Josef "Yossi" Beilin ist sich sicher, dass auch Österreich in der Lage sei, im Nahostkonflikt zu vermitteln.
- "Natürlich könnte es eine Vermittlerrolle einnehmen", sagte Beilin am Donnerstagabend in einem Interview mit der APA am Rande des 15. Europäischen Mediengipfels in Lech.
- Beilin räumte im APA-Interview auch mit der Behauptung auf, wonach Kreisky eine antiisraelische Haltung gehabt habe.