Ärztekammer fordert Krisengipfel, warnt vor Einschränkungen
Man stehe vor einer "entscheidenden Weichenstellung", sagte Wutscher in seiner Funktion als Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte bei einer Pressekonferenz in Wien. Angesichts des "Finanzlochs" bei der Gebietskrankenkasse (ÖGK) fordere die Ärztekammer von der Regierung bzw. den Koalitionsverhandlern ein klares Bekenntnis zum öffentlichen solidarischen Gesundheitssystem, nahm Wutscher Bezug auf Aussagen von ÖGK-Obmann Andreas Huss. Dieser hatte erst am Montag erklärt, "auch die ÖGK kann in Konkurs gehen" und man wisse nicht, ob es vonseiten der Bundesregierung Maßnahmen gebe, die die Kassa unterstützen. "Die Führung der Sozialversicherung hat Fehler gemacht und wirtschaftet unserer Meinung nach falsch", sagte dazu Wutscher.
Die Finanzierung des solidarischen Gesundheitssystems müsse "ganz oben auf der Agenda der Regierungsverhandlungen stehen", richtete Wutscher daher seine Forderung an die Koalitionsverhandler. In die aktuellen Gespräche zwischen FPÖ und ÖVP sei die Ärztekammer derzeit nicht eingebunden. "Wir bemühen uns, Teilnehmer einzubinden und zu informieren", sagte er.
Der Obmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte, Dietmar Bayer, bedauerte, dass die Gesundheitsversorgung bei den Koalitionsverhandlungen nur ein Randthema sei. Wenn aber die Menschen in Österreich nicht gesund sind, werde auch die Wirtschaft nicht funktionieren, gab er den Verhandlern mit auf den Weg. "Das Gesundheitswesen in Österreich ist die größte Baustelle der Zweiten Republik", sagte er. "Das gehört dringend behoben, ansonsten kommt es zu Einschränkungen bei der Versorgung."
ÖGK als Verhandlungspartner "inexistent"
Derzeit sei es in einigen Bundesländern so, dass die ÖGK als Verhandlungspartner "inexistent" sei, sagte Wutscher. Man setzte sich zwar mit den Ärzte-Vertretern an einen Tisch, aber angesichts des "riesigen Finanzlochs" könne man nicht einmal irgendein verbindliches Angebot vorlegen, über das man verhandeln könnte. Der Obmann verwies darauf, dass der von den Ärztinnen und Ärzten erstellte einheitliche Leistungskatalog "seit Jahren" fertig sei. "Natürlich wird die Implementierung einheitlicher Leistungen Geld kosten" - darüber sei man sich mit der ÖGK einig. Sofern sich aber die Politik zum solidarischen Gesundheitssystem bekenne, müsse sie dieses auch finanzieren.
Als mögliche Reformen schlug Wutscher u.a. eine verbindliche Patientenlenkung vor. Man brauche eine Verlagerung von Leistungen aus den Ambulanzen in den niedergelassenen Bereich. Die Frage sei: "Können wir mit der E-Card ein System entwickeln, wo Patienten einen Bonus bekommen, wenn sie nicht gleich in Krankenhäuser, Ambulanzen gehen?" Bayer forderte einen Ausbau der Telemedizin, die Digitalisierung könne zur Entlastung beitragen.
Kamaleyan-Schmied: "Drei-Minuten-Medizin" statt Zuwendungsmedizin
Ärztekammer-Vizepräsidentin Naghme Kamaleyan-Schmied sagte, derzeit würden die Patienten anstatt einer "Zuwendungsmedizin" eine "Drei-Minuten-Medizin" erhalten. Es gebe keine modernen Leistungen und den Ärzten werde seitens der Sozialversicherung bereits mit mehr Kontrollen gedroht, etwa bezüglich der Vergabe von MRTs und CTs und es gebe auch Drohungen von "Nulllohnrunden". "Ich fordere einen Krisengipfel Gesundheit, weil Gesundheit muss Priorität haben." Die Politik sei aufgefordert, das Gesundheitssystem und die ÖGK zu "reanimieren".
Kamaleyan-Schmied verwies darauf, dass allein in Wien 197 Kassenstellen noch nicht in der Patientenversorgung wirksam seien. 54 Kassenstellen sind demnach unbesetzt, dazu kommen noch 143 Stellen, die zwar bereits vergeben, aber noch nicht "versorgungswirksam" sind (Stand Jänner). Grund dafür sei, dass der Gründungsprozess enorm schwierig sei und keine leistbare oder passende Immobilie für die Ordination gefunden werden kann, hieß es dazu aus der Wiener Kammer. Auch würden immer mehr Ärztinnen und Ärzte aufgrund des enormen Drucks und der schwierigen Arbeitsbedingungen dem solidarischen System den Rücken kehren. In Wien sei die Anzahl der Kassenärztinnen und Kassenärzte seit dem Jahr 2012 um zwölf Prozent gesunken, während die Einwohnerzahl im gleichen Zeitraum um 16 Prozent gewachsen ist, so Kamaleyan-Schmied.
Zusammenfassung
- Die Ärztekammer warnt vor einem drohenden Versorgungsengpass im Gesundheitssystem und fordert Soforthilfen sowie Strukturreformen zur Stabilisierung der ÖGK.
- In Wien sind 197 Kassenstellen noch nicht versorgungswirksam, während die Zahl der Kassenärzte seit 2012 um 12% gesunken ist, trotz eines Bevölkerungsanstiegs von 16%.
- Ärztekammer-Vizepräsidentin Naghme Kamaleyan-Schmied kritisiert die aktuelle „Drei-Minuten-Medizin“ und fordert einen Krisengipfel zur Reanimation des Gesundheitssystems.