Weltpremiere in Wien: New Yorker Wooster Group spielt Brecht
Die Avantgardetruppe, die zuletzt 1997 in Wien zu Gast war, war im vergangenen Jahr mehr mit dem Einwerben von Unterstützungen als mit Aufführungen beschäftigt. Der Wegfall der Einnahmen von Vorstellungen und Gastspielen war für die Theatergruppe, die nur 15 Prozent ihres Budgets aus öffentlichen Unterstützungen bestreitet, aber ihre Mitglieder fix angestellt hat, ein schwerer Schlag. "Unser großer Vorteil ist, dass wir unser Hauptquartier in SoHo selbst besitzen und uns daher um Mietzahlungen keine Sorgen machen müssen."
Beim Gespräch mit der APA im Museumsquartier zeigen sich Fletcher, sein Kollege Ari Fliakos und der Videokünstler Irfan Brkovic verblüfft über die in Wien herrschende lockere Atmosphäre. "Im Freien trägt hier kaum jemand Maske, und das Contact Tracing in den Lokalen scheint wie nebenher zu funktionieren. In New York war das alles immer sehr mühsam und umstritten." Auch in New York musste man sich bei den Proben an Regeln halten: Abstand, Masken, Personenobergrenzen. Testungen war dagegen nicht so gut organisiert und selbstverständlich wie hierzulande. Dennoch ging die Arbeit konzentriert voran. Zeit hatte man genug.
Als man die Arbeit an dem 1932 als letzte Brecht-Premiere vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten uraufgeführten Lehrstück begann, war das Ende der Trump-Ära keineswegs sicher. Dennoch waren wohl keine politischen Gründe dafür entscheidend, sich dem nach einem Gorki-Roman geschriebenen Stück über die Entwicklung einer Analphabetin zur Revolutionärin zu widmen, sagt Fliakos. "Ich glaube, es war eher die starke Frauenrolle, die Elizabeth interessiert hat." Sie habe ja auch schon "Mutter Courage" inszeniert - die man freilich mit "The Mother" nicht verwechseln möge, wie die Gruppe bei ihrer Kickstarter-Kampagne gleich eingangs anmerkte. Die Kampagne zur Finanzierung der Proben im Herbst 2019 war übrigens erfolgreich und brachte von 242 Unterstützern 50.755 US-Dollar ein. Man möge aber nicht den Fehler begehen, die Wooster-Leiterin für unpolitisch zu halten, warnt Fliakos: "Das Gegenteil ist der Fall: Vor jeder Probe wird mindestens eine halbe Stunde lang über Politik gesprochen!"
Mit Brechts "Die Mutter" hat sich The Wooster Group intensiv auseinandergesetzt. Das beginnt bei der gemeinsam erarbeiteten Übersetzung, die auch originale Textbücher aus dem Berliner Ensemble miteinbezog, und endet bei der Befassung mit Brechts Erfahrung mit der Inszenierung des Stückes 1935 durch die linke New Yorker Gruppe Theatre Union. "Er hat diese Inszenierung gehasst. Für ihn war es das typische identifikatorische, naturalistische, illusionistische Theater, das er bekämpft hat." Brecht soll sich bei der Premiere ins Kino geflüchtet haben. Wohl zu einem der von ihm geliebten Gangsterfilme. Es versteht sich von selbst, dass die Wooster Group in der Vorbereitung auch viele Stunden mit diesen Filmen zugebracht hat. "Ohne ihn zu imitieren, wollten wir ihm doch so nahe wie möglich kommen", sagt Fletcher. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich ab Dienstag in neun Vorstellungen im Museumsquartier überprüfen. In New York wird die Produktion erst im Herbst zu sehen sein.
(S E R V I C E - "The Mother. A learning play" by Bert Brecht. The Wooster Group, Originalmusik: Hanns Eisler, Regie: Elizabeth LeCompte. Mit Musik von Amir ElSaffar. Mit Jim Fletcher, Ari Fliakos, Gareth Hobbs, Erin Mullin und Kate Valk. Vorstellungen bei den Wiener Festwochen in der Halle G des Museumsquartiers. Premiere am 8. Juni, 19.30 Uhr, Weitere Vorstellungen am 9., 10., 11., 13., 14., 15., 16. und 17. Juni. Talk mit Elizabeth LeCompte und The Wooster Group, 11. Juni, 15 Uhr, Portikus des Museumsquartiers, www.festwochen.at)
Zusammenfassung
- Jim Fletcher ist ein routinierter Schauspieler, doch der morgigen Premiere von "The Mother" sieht er mit besonderer Spannung entgegen.
- Brecht soll sich bei der Premiere ins Kino geflüchtet haben.
- In New York wird die Produktion erst im Herbst zu sehen sein.
- Vorstellungen bei den Wiener Festwochen in der Halle G des Museumsquartiers.
- Talk mit Elizabeth LeCompte und The Wooster Group, 11. Juni, 15 Uhr, Portikus des Museumsquartiers, www.festwochen.at)