APA/APA/Volksoper Wien/Barbara Palffy

Volksopern-Chefin präsentiert Pläne für neue Saison

Lotte De Beer hat an der Wiener Volksoper nun schon beinahe ihre erste Spielzeit als Direktorin hinter sich. Für Sonntag lud die 41-Jährige nun in ihr Haus zur Präsentation ihrer Pläne für die neue Saison. Mit der APA sprach die Regisseurin und Intendantin aus diesem Anlass über die Überraschungen der Anfangszeit, die Entscheidung ihres Musikdirektors Generalmusikdirektor in Hamburg zu werden und ihre Liebe zur Imperfektion.

APA: Ihre erste Saison an der Volksopern-Spitze geht in die Zielgerade: Welche Dinge sind in der Rückschau anders verlaufen, als Sie sich im Vorfeld erwartet hatten?

Lotte De Beer: Die wirkliche Überraschung für mich ist, wie schnell es gelungen ist, zusätzlich zu dem bestehenden ein ganz eigenes, diverses Publikum in die Volksoper zu holen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass das eine Sache ist, die man über mehrere Jahre aufbauen muss. Nun komme ich bei manchen Vorstellungen ins Haus und habe den Eindruck, wir hätten permanent spezielle Aktionen für junges Publikum! (lacht) Das ist total super!

APA: 22 Prozent des Publikums sind demnach unter 30 Jahren. Ist das die Zielgröße, wo Sie hinwollten? Haken dahinter und fertig?

De Beer: Nein, ich bin ambitioniert und lege die Latte höher! In dem Moment, in dem man das Gefühl hat, alles erreicht zu haben, muss man glaube ich gehen. Wir werden deshalb den Sonntag ab kommender Saison zum Familientag machen mit einer Kinderproduktion am Vormittag und einem Familienstück am Nachmittag. Diversität betrifft aber natürlich auch Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen. Aus dem Aspekt heraus sind wir immer noch sehr homogen. Deshalb gilt es immer zu schauen, wen man noch ansprechen kann.

APA: Was ist die Konsequenz aus dem schnelleren Erreichen Ihrer Ziele? Kann man in Wien doch noch ambitionierter sein?

De Beer: Ja. Man kann abenteuerlicher werden und Gesetze brechen. Die alte Phrase "In Wien geht Offenbach nie" haben wir etwa widerlegt. Wir können die Genres mischen und uns mehr trauen. Mein Ziel wäre, dass die Menschen eher nach der Beschreibung eines Projekts ihre Karten buchen und nicht nur nach dem Titel, was jetzt leider noch oft der Fall ist. Aber es kann nicht immer nur "Carmen" geben!

APA: Ein Misston Ihrer bisherigen Intendanz war die Übernahme des Generaldirektorenpostens an der Hamburger Staatsoper ab 2025 durch Ihren Musikdirektor Omer Meir Wellber. Rückt Wien da nicht automatisch ins zweite Glied zurück?

De Beer: Es ist zunächst vor allem eine Bereicherung für Omer als Künstler und Mensch, und es zeigt, dass wir jemanden berufen hatten, der international gefragt ist. Er sieht sein künftiges Aufgabenfeld als Doppelstandort Wien-Hamburg. Er wird fünf Monate im Jahr bei uns sein, was nicht wenig ist für einen Musikdirektor. Und er hat auch schon eine Wohnung in Wien gekauft. (lacht)

APA: Sie hatten nach Bekanntwerden von Kooperationsmöglichkeiten mit Hamburg gesprochen. Was bedeutet das konkret? Regelmäßige gemeinsame Koproduktionen etwa?

De Beer: Es wäre für Repertoirehäuser gar nicht so interessant, sich fix an einen Partner zu ketten. Es müssen punktuelle, sinnvolle Kooperationen sein, und es gibt im szenischen Bereich auch schon Pläne, die ich noch nicht verraten darf. Aber Tobias Kratzer in Hamburg und ich schätzen unsere jeweilige Arbeit sehr und werden alles nützen, was sich an Zusammenarbeit ergibt.

APA: Blicken wir aber erst einmal auf die kommende Saison. Da haben Sie die Zahl der Premieren im Vergleich zu Ihrer ersten Spielzeit gesteigert...

De Beer: Na ja, wir haben jetzt eine zusätzliche Premiere. Die "Salome" als unsere Auftaktproduktion am 15. September ist das Geburtstagsgeschenk unseres Sponsors Martin Schlaff zum 125-jährigen Bestehen. Hinzu kommen kleinere, wendigere Projekte ohne großes Bühnenbild, weil wir damit die begrenzte Probenzeit möglichst effektiv nutzen können.

APA: Die "Salome" ist Luc Bondys legendäre Inszenierung von den Salzburger Festspielen aus 1992. Folgen Sie den Fußstapfen von Bogdan Roščić an der Staatsoper und erneuern das Repertoire mit zugekauften Regieklassikern?

De Beer: Wir werden das nicht jedes Jahr machen, aber ich finde das Prinzip sehr gut. Eine Funktion von Repertoirehäusern ist es, absolute Topinszenierungen auch für die Zukunft zu bewahren.

APA: Was es 2023/24 hingegen nicht gibt, ist eine eigene Produktion des Opernstudios...

De Beer: Nicht auf der großen Bühne. Wir wollen mit dem durch die Unterstützung von Christian Zeller ermöglichten Opernstudio ja kurzfristiger planen. Da kommt schon noch was... Und wir werden ab 14. Oktober "Die Reise zum Mond" von Offenbach mit einem ganz jungen Cast machen, in dem praktisch alle zwischen 7 und 27 Jahre alt sind und die sich auch an ein junges Publikum richtet.

APA: Eher an reifere Zuschauer richtet sich ab 2. März 2024 "Die lustige Witwe", ein Klassiker des Hauses. Was ist da Ihre Vorgabe an das Führungsduo Wellber/Mariame Clément?

De Beer: Unser Musikdirektor wird seine erste Operette dirigieren! In den kommenden Jahren werden hier immer wieder spannende Leute meiner Generation wie Omer und Clément etwas über die Wiener Operette sagen. Was ich ihnen mitgegeben habe, ist lediglich, dass das ein Stück ist, zu dem die Wiener eine lange Liebesbeziehung haben. Deshalb ist es gut, sich darin zu vertiefen, was sich die Menschen erwarten. Das bedeutet nicht, zurückhaltend zu sein. Es geht darum, diese Tradition zu umarmen und an einen Ort zu führen, an dem wir noch nie waren!

APA: Sie selbst inszenieren am 27. Jänner Ihr erstes Musical - und haben sich mit der "West Side Story" gleich den Heiligen Gral auserkoren. Haben Sie keine Angst?

De Beer: Ich wollte immer schon mal ein Musical inszenieren - und "Die West Side Story" ist eines der zentralen Stücke des 20. Jahrhunderts. Da hatten wir die erste deutschsprachige Aufführung am Haus. Ich möchte bei meiner Inszenierung einen Rahmen schaffen, der von Shakespeare über die 50er Jahre bis ins Heute den Kern der Menschheit zeigt: Unser stetes Streben nach Liebe und Utopie und das stete Enden in Gewalt.

APA: Sie setzen dabei aber nicht auf die Originalchoreografie von Jerome Robbins?

De Beer: Nein, so brillant sie ist. Aber man kennt die schon aus der Kindheit und dem Film. Das ruft fast nur noch Nostalgie hervor. Wir brauchen da eine Erneuerung, weshalb ich mit Bryan Arias kooperiere, der mit modernem Tanz in der Tradition von Crystal Pite und Jiri Kylian genauso wie mit Salsa und Breakdance umzugehen weiß.

APA: Ihre zweite Regiearbeit wird Puccinis einzige Operette, "La Rondine", sein. Die wird nicht zuletzt ob ihres Sujets praktisch nie gespielt. Was hat Sie daran gereizt?

De Beer: Das Libretto ist ein Albtraum, das muss ich zugestehen. Es ist ein Mischmasch aus Opernklischees mit einem schrecklichen Frauenbild. Aber ich liebe die Musik, denn am Ende ist "La Rondine" immer noch Puccini. Und ich liebe die Herausforderung, die Imperfektion. Auch hat das Stück wieder eine Beziehung zur Volksoper, wo es die erste deutschsprachige Aufführung gab - mit Puccini im Publikum!

APA: Das wirkliche Jubiläumsstück wird allerdings am 14. Dezember, dem ursprünglichen Eröffnungstag, "Lass uns die Welt vergessen" sein, das an das Jahr 1938 erinnern soll. Was kann man sich darunter vorstellen?

De Beer: Das Stück basiert auf der Operette "Gruß und Kuss aus der Wachau", die 1938 während der Machtergreifung der Nazis an unserem Haus geprobt wurde. Da knallt der Eskapismus der Operettenwelt auf die grausame Realität vor der Tür. Viele jüdische Künstler waren an dieser Produktion beteiligt, wurden entlassen, verfolgt und ermordet. Wir haben die junge israelische Dirigentin und Komponistin Keren Kagarlitsky gebeten, die Musik von Jara Beneš neu zu arrangieren. Sie hat auch eigene Kompositionen, "entartete" Musik und Stücke von Schönberg oder Viktor Ullmann integriert. Theu Boermans hat das Buch geschrieben und wird das Stück inszenieren. Wir nennen es ein Operettical und gedenken damit unseren Kollegen von damals.

APA: Was sich hingegen nicht in den Planungen der neuen Saison findet, sind Wiedergänger unter den Leadingteams, während viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen sich ja Wahlverwandtschaften aufbauen. Eine bewusste Entscheidung?

De Beer: Natürlich gibt es Menschen, mit denen ich eine künstlerische Beziehung aufbauen will. Aber es gibt so unglaublich viele verschiedene Teams, die ich spannend finde! Ich glaube auch, dass man den Menschen eine Vielfalt anbieten muss. Es wäre unglaublich langweilig, wenn man in der Volksoper immer das Gleiche sehen würde, egal, ob man am Mittwoch oder Freitag kommt!

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Lotte De Beer hat an der Wiener Volksoper nun schon beinahe ihre erste Spielzeit als Direktorin hinter sich.
  • Für Sonntag lud die 41-Jährige nun in ihr Haus zur Präsentation ihrer Pläne für die neue Saison.
  • Mit der APA sprach die Regisseurin und Intendantin aus diesem Anlass über die Überraschungen der Anfangszeit, die Entscheidung ihres Musikdirektors Generalmusikdirektor in Hamburg zu werden und ihre Liebe zur Imperfektion.