Van der Bellen eröffnete 78. Bregenzer Festspiele mit Appell
Wie in den vergangenen Jahren nützte Van der Bellen seinen Auftritt in Bregenz für eine Grundsatzrede - und wusste um die Erwartungen der Zuhörer. In Bregenz reize es ihn immer, "etwas Stacheliges zu sagen, etwas Unbequemes". Obwohl oder gerade weil die Nationalratswahl vor der Tür steht, hielt sich der Bundespräsident mit expliziten politischen Aussagen zurück und hütete sich, Parteien oder Namen zu nennen. Umgekehrt knüpfte er in seiner launigen Art an vor Jahren Gesagtes an. Österreich sei klimamüde, konfliktmüde, demokratiemüde? "So sind wir nicht", betonte der Bundespräsident.
Wir Menschen seien kein "Entweder-Oder" sondern alles, "was dazwischen ist", unterstrich er. Leider gebe es Kräfte, die die österreichische Widersprüchlichkeit "nicht als Brücke zueinander nutzen, sondern als Instrument der Spaltung". Dabei sei Spaltung eben kein Naturgesetz. Sie passiere, wenn hinreichend viele mitmachten und führe dazu, Schuldige zu suchen, Andersdenkende zu verachten und zu verspotten. Am Ende stehe Gewalt - wie zuletzt in den USA. Dafür dürfe kein Platz sein. "Verachtung ist kein Wahlprogramm. Und Hass keine Lösung für unsere Probleme", stellte er fest - und erhielt dafür großen Applaus.
Wenn man über die Welt spreche, so sei diese "ganz einfach" und eindeutig. "Etwas ist entweder schwarz oder weiß, groß oder klein, oben oder unten, gut oder böse", sagte Van der Bellen, dazwischen gebe es nichts. Es sei aber das "Entweder-Oder", das uns spalte. "Es stellt uns an gegenüberliegende Pole und verhindert nicht nur, dass wir etwas tun, uns zusammentun. Es verhindert oft sogar, dass wir uns vernünftig verständigen", sagte der Bundespräsident. Wir sollten gut aufpassen, "was und warum und wen wir da jeden Tag schubladisieren", gab Van der Bellen zu bedenken. So rief er dazu auf, sich nicht kategorisieren und an den Rand drängen zu lassen. Und man solle nach Möglichkeit jene wieder aus den Schubladen herausholen, in die man sie irrtümlich hineingesteckt hat. "Damit wir wieder normal miteinander reden können", sagte Van der Bellen. Am Ende komme vielleicht heraus, "dass uns mehr miteinander verbindet als uns trennt".
Auch Vizekanzler Kogler schwor in seiner Rede dem "Entweder-Oder" ab, indem er den Kompromiss lobte - "weil der Kompromiss eben nicht die vermeintliche Wahrheit verwässert, sondern vielmehr die unterschiedlichen und oft entgegengesetzten Interessen vieler, möglichst aller ausbalanciert." Wer den Kompromiss denunziere, werde bald zum Gegner der parlamentarischen Demokratie. Die parlamentarische Demokratie aber brauche frei gewählte Abgeordnete und keinen so genannten "Volkskanzler".
"Lassen wir in unserer Sprache keine Gewalt zu!", schlug Kogler vor. Man müsse auf Fehler anderer ja nicht unbedingt mit lautstarker Häme reagieren", sagte er. Niemand habe ein Monopol auf gute Ideen. Man dürfe aber auch nicht naiv sein. Um sich greifende Halbwahrheiten und Lügenpropaganda seien "im Ergebnis de facto Angriffe auf unsere liberale Demokratie". Da wolle man nicht tatenlos zusehen, griff der Vizekanzler auf Immanuel Kant zurück: "Der Gebrauch unseres Verstandes und unserer Vernunft ist ein Fundament für unser Zusammenleben in Frieden und Freiheit."
Unter dem Titel "Stell' dir vor, die Welt wäre ganz anders" rief Kogler auch zu Zuversicht auf. "Wir können es uns ja auch aussuchen: die Zukunft erleiden oder leidenschaftlich gestalten. Zumindest der Versuch muss es uns jeden Tag wert sein", befand er. Man könne die Herausforderungen der Zeit meistern, zeigte sich Kogler überzeugt - und nannte dazu Begriffe wie "europäisch denken" oder "ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft".
Festspielpräsident Metzler ging am Beginn seiner Rede ebenfalls auf den Unfrieden der aktuellen Zeit ein. "Dies wird unsere Antwort auf Gewalt sein: Musik lauter und schöner zu spielen als je zuvor", zitierte er Leonard Bernstein. Kunst und Musik würden nicht nur trösten, sondern seien auch eine mächtige Kraft für den Wandel und die Hoffnung. Kunst, insbesondere die Oper, spiegle das Leben in all seinen Facetten wider und erinnere uns daran, dass jeder Moment, jede Aufführung eine Chance sei, zu fühlen, zu reflektieren und damit zu wachsen.
Nachdem er sich für die Sanierung des Festspielhauses, der Seebühne und der See-Tribüne (Investitionsvolumen: 78 Mio. Euro) bedankt hatte, sprach Metzler der scheidenden Intendantin Elisabeth Sobotka eine überaus anerkennende Würdigung aus. Sobotka wechselt im Herbst an die Staatsoper Unter den Linden nach Berlin. "Unter ihrer visionären Führung haben die Bregenzer Festspiele neue Horizonte erkundet und unvergessliche Momente geschaffen. Ihr Beitrag zur Entwicklung unserer Festspiele ist unermesslich", stellte Metzler fest. Sobotkas Leidenschaft für die Kunst und ihre Fähigkeit, kreative Visionen mit wirtschaftlicher Realität zu verbinden, machten sie einzigartig im großen Opernbetrieb. Ihr Weggang am Ende des Sommers werde das Ende einer weiteren Ära markieren.
Bis 18. August stehen am und auf dem Bodensee 83 Veranstaltungen auf dem Programm, für die rund 227.000 Karten aufgelegt wurden. 85 Prozent der Tickets waren zu Festspielbeginn bereits gebucht. Den künstlerischen Auftakt des Festivals bildete am Mittwochabend die Premiere von Carl Maria von Webers "Der Freischütz", der in Bregenz erstmals als Spiel auf dem See gespielt wird. Für die 28 "Freischütz"-Aufführungen gelangten 199.000 Karten in den Verkauf. Als Oper im Festspielhaus wird in diesem Jahr Gioachino Rossinis "Tancredi" gezeigt, die Premiere ist für Donnerstagabend angesetzt. Mit den Opernwerken "Unmögliche Verbindung" und "Hold Your Breath" sowie dem Theaterstück "Mondmilch trinken" umfasst das Festspiel-Programm auch drei Uraufführungen. Der ehemalige Bregenz-Intendant David Pountney, Vorgänger von Elisabeth Sobotka, las bei der Eröffnungsfeier aus dem Libretto zu "Hold Your Breath", das auch seine Handschrift trägt.
Abseits der Reden bestach die live im TV übertragene Eröffnung durch die Darbietungen der Festspiel-Künstler, die auf höchstem Niveau in vielfältigen Auszügen das Festspielprogramm vermittelten. Als Moderator brillierte in perfekten Reimen Moritz von Treuenfels als Teufelsfigur Samiel aus "Der Freischütz". Nach dem Abschluss der Eröffnungszeremonie mit der Europahymne traf man sich - auch das ist Tradition in Bregenz - zum Empfang auf dem Vorplatz des Festspielhauses.
(S E R V I C E - 78. Bregenzer Festspiele 2024 von 17. Juli bis 18. August, Spiel auf dem See: "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber; Hausoper: "Tancredi" von Gioachino Rossini; Weitere Informationen, gesamtes Programm und Tickets unter www.bregenzerfestspiele.com)
Zusammenfassung
- Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnete die 78. Bregenzer Festspiele und warnte vor gesellschaftlicher Spaltung.
- Kulturminister Werner Kogler forderte in seiner Rede den Verzicht auf Gewalt in der Sprache und lobte den Kompromiss als essenziell für die Demokratie.
- Festspielpräsident Hans-Peter Metzler betonte die transformative Kraft von Kunst und Musik und würdigte die scheidende Intendantin Elisabeth Sobotka.
- Bis zum 18. August finden 83 Veranstaltungen statt, für die insgesamt 227.000 Karten aufgelegt wurden.
- Die Premiere von Carl Maria von Webers 'Der Freischütz' als Spiel auf dem See markierte den künstlerischen Auftakt des Festivals.