APA/APA/Belvedere/Johannes Stoll

"Über das Neue" der lokalen Kunstszenen im Belvedere21

Was tut sich? Das Belvedere21 hat nachgefragt und versucht in der Ausstellung "Über das Neue" eine Antwort darauf, welche Formate und Präsentationsformen das künstlerische Treiben in den Studios und Art Spaces in den "Wiener Szenen und darüber hinaus" gerade prägen. Das Ergebnis ist ein durchlässiges, vielstimmiges, wenn auch nicht unbedingt selbsterklärendes Panorama von "Juicy Fruit"-Fliesen über Fabriksgeschichte in Seifenform bis zum Käsewettessen.

Generaldirektorin Stella Rollig rief am Donnerstag bei einem Presserundgang die Belvedere21-Schau "Über das Neue. Junge Szenen in Wien" aus 2019 in Erinnerung. Daran schließe das jetzige Projekt an - und zwar mit erweitertem Blick nach Salzburg und Graz. Damals wie heute sei es "der Versuch einer Zwischenbilanz, einer Rundschau". Ab Freitag ist einmal der Auftakt der dreiteiligen Reihe, die bis Jänner 2024 läuft, zu sehen. Besonders dynamisch soll es zugehen, weshalb ein Team aus fünf Kuratorinnen einerseits selbst künstlerische Positionen ausgewählt hat, und andererseits Kunsträume eingeladen hat, Teilbereiche nach eigenem Gutdünken zu gestalten.

Daraus ergibt sich ein vielfältiges Durcheinander aus Installation, Malerei, Textil, Kunsthandwerk und Sound, das erst einmal latent überfordert. Erst nach und nach lassen sich Bezüge herstellen und schälen sich - wohl am besten mit Führung - die Geschichten hinter den einzelnen Arbeiten heraus. Schnell hat man den wohl schrillsten Beitrag im Visier. Gabriele Edlbauer und Julia S. Goodman haben ein Käsewettessen mit aufgebautem Stand, Kulissenmalerei, Stofftieren und einer unheimlichen Priesterfigur in Szene gesetzt. Auf den ersten Blick fröhlich und ausgelassen, tut sich bei genauerem Hinsehen Grausiges auf: Es wird gekotzt, gekotet und gestorben. Denn immerhin werde hier die abstruse These reflektiert, dass Laktoseintoleranz nur Menschen plage, die nicht der weißen Dominanzgesellschaft angehörten, erklärte Andrea Kopranovic aus dem Kuratorinnenteam.

Überhaupt: Das vermeintlich Normale wird freilich in vielerlei Hinsicht hinterfragt. Das Duo Maggessi/Morusiewicz beschäftigt sich in ihrer mehrteiligen Installation etwa u.a. mit queeren Positionen im polnischen Film der 60er- bis 80er-Jahre. Heti Prack wiederum erfindet um zwei seiner Stuckmarmorarbeiten gleich eine ganze Erzählung über ein schwules Handwerkerpaar aus dem Roten Wien der 1930er und Francesca Aldegani nimmt mit ihren Totem und Bannern aus Textilien, Reptilienhaut und Glasaugen Bezug auf nicht-westliche Religionen und magische Praxen.

Künstliche Intelligenz ist in diesem Sammelsurium ebenso Thema wie die Frage des Bodenverbrauchs. Hui Ye will in ihrer Videoarbeit "Talk to me" ergründen, ob Alexa ein Bewusstsein hat, während Julia Haugeneder mit ihrem "Juicy Fruit"-Fliesen auf die gleichnamige Geschmacksrichtung des Kaugummi-Giganten Wrigleys anspielt und dabei die Ressourcenfrage stellt.

Die Ausstellungsarchitektur - gestaltet vom Büro AKT, das auch den Österreich-Auftritt bei der heurigen Architekturbiennale Venedig mitgestaltet - gibt keinen Parcours vor. Auf vier Fahrgestellen wurden paravanartige Module befestigt, wodurch das Setting mit Fortschreiten der Ausstellung bzw. mit den Teilen 2 und 3 immer wieder angepasst werden kann. Gleichzeitig entstehen dadurch viele Sichtachsen und Verbindungsmöglichkeiten. "Wir wollten weg vom 'White Cube', von dieser Messearchitektur", erklärte Co-Kuratorin Ana Petrovic der APA.

Platz für Performances gibt es auch - etwa, wenn der Kunstraum school das Publikum an sechs fixen Terminen zu "Talking to strangers" einlädt - ein Zwiegespräch mit einem oder einer Unbekannten - oder der Art Space Memphis aus Linz Kampftechnik und Demokratieprozesse verhandelt. Weniger kopflastig geht es bei Ana de Almeida zu. Sie präsentiert 100 farbenprächtige Seifen. Gleichsam verpackt ist darin die Geschichte der Fabrik Schicht, die u.a. durch die Hirsch-Seife und das Kokosfett-Produkt Ceres bekannt wurde. Die Künstlerin hat Schnipsel aus Werbeprospekten, Fotos, Labelnamen, aber auch Schutt und Staub der inzwischen stillgelegten Fabrik eingegossen. "From Fat and the City" nennt sich die Arbeit.

(S E R V I C E - "Über das Neue. Wiener Szenen und darüber hinaus" im Belvedere21; Teil 1: ab Freitag bis 2. Juli, Teil 2: 13. Juli bis 15. Oktober, Teil 3: 26. Oktober bis 14. Jänner 2024; www.belvedere.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Das Ergebnis ist ein durchlässiges, vielstimmiges, wenn auch nicht unbedingt selbsterklärendes Panorama von "Juicy Fruit"-Fliesen über Fabriksgeschichte in Seifenform bis zum Käsewettessen.