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Starker Akademietheater-Auftakt mit Woolfs "Orlando"

Auf fünf Hamlets im Burgtheater folgen sieben Orlandos im Akademietheater: Die schwedische Regisseurin Therese Willstedt eröffnete am Sonntagabend die Saison im neu bestuhlten Theatersaal mit einer mitreißenden, ganz auf starke Schauspielleistungen bauenden Dramatisierung von Virginia Woolfs vier Jahrhunderte umfassenden Roman "Orlando". Das lustvoll-kritische Spiel mit Gender im Spiegel der Gesellschaft wurde nach zwei Stunden heftig bejubelt.

Nach dem erfolgreichen Einstand mit Karin Henkels ganz auf Gemeinschaftsleistungen des Ensemble setzender "Hamlet"-Inszenierung vertraut der neue Burgtheaterdirektor mit der 40-jährigen Willstedt erneut auf eine starke weibliche Regiehandschrift. Woolf schickte in ihrem 1928 erschienen Meisterwerk, das als Pseudo-Biografie Anleihen an der Familiengeschichte der Autorin Vita Sackville-West nimmt, den jungen, sensiblen und nicht alternden Aristokraten Orlando durch die wechselvolle Geschichte Englands. Der junge Dichter liegt im 16. Jahrhundert im Schoß von Königin Elizabeth I., verliebt sich am Höhepunkt der "Kleinen Eiszeit" in eine geheimnisvolle Russin und wird schließlich als Botschafter nach Konstantinopel versetzt, wo er nach einem mehrtägigen Schlaf als Frau aufwacht. Was folgt, ist ein Ringen um Selbstbehauptung in einer von Männern dominierten Welt, das bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts reicht.

Mårten K. Axelsson hat mit ihrem Bühnenbild - einem aus weißen Plastikstreifen bestehenden Vorhang im Bühnenhintergrund - einen zeitlosen Zwischenraum geschaffen, in dem sich Orlando zu Beginn wundert: "Ich bin ja immer noch hier." Gesprochen wird der Satz von Nina Siewert, die ebenso wie ihre sechs Kolleginnen und Kollegen eine gelockte Vokuhila-Frisur trägt und ganz in schwarz gekleidet traumwandelnd versucht, sich in diesem Limbus zurechtzufinden. Was folgt, ist ein Rückblick auf ihr bewegtes Leben. Während sich die Mitspielerinnen in einer erotischen Choreografie dazu aufschwingen, Elizabeth I. zu verkörpern, gibt Siewert leidenschaftlich den unbedarften Jüngling, der die Gelegenheit ausnützt, in der Gunst der Monarchin ganz oben zu stehen.

Für die nächste Schlüsselszene - die Begegnung mit der geheimnisvollen Russin Sascha - schweben silberne Lackstiefel aus dem Schnürboden, die der aus Köln nach Wien gewechselte Seán McDonagh anzieht, um Orlando (nunmehr Stefanie Dvorak) schöne Augen zu machen, nur um ihn dann in einer bewegenden Szene sitzen zu lassen. McDonagh, der mit seinem intensiv entrückten Spiel an Joaquin Phoenix' "Joker"-Darstellung erinnert, fügt sich hervorragend in das Ensemble und macht Lust auf weitere Auftritte. Die bunteste Szene in dem sonst sehr monochrom gehaltenen Abend ist schließlich Orlandos Reise nach Konstantinopel, wo Itay Tiran in Barock-Perücke in einem Einhorn-Schwimmreifen sitzt, während Martin Schwab huldvoll den Sonnenschirm hält und auch das restliche Ensemble auf Badeurlaub getrimmt ist.

Die schlussendliche Verwandlung Orlandos in eine Frau vollzieht Elisabeth Augustin, die mit ihren 71 Jahren neben Schwab (86) die lebenserfahrenen Facetten Orlandos verkörpert. Dann sind sie alle Orlando: Während die Männer (unter Federführung von einem vor Energie sprudelnden Markus Meyer) sich staunend am Anziehen von Büstenhaltern und Reifröcken - die allesamt als Kleiderbündel von der Decke fallen - versuchen und das neue Frausein von der positiven Seite betrachten, dämmert es Dvorak, Augustin und Siewert, dass ihr selbstbestimmtes Leben (als Mann) nun schlagartig vorbei ist. Ohne Ehemann hat Orlando nach ihrer Rückkehr nach England kein Recht mehr auf ihren Besitz und die Männer, mit denen sie ihre Zeit verbringt, kommen über Small-Talk nicht mehr hinaus. Die aufkeimende Hoffnung, der Beginn des 19. Jahrhunderts werde an dieser Situation etwas ändern, stellt sich bald als bitterer Trugschluss heraus.

Und so finden sich die sieben Orlandos am Ende wieder dort, wo sie am Anfang standen. In einer scheinbar endlosen Zeitschleife gefangen. Nach diesen turbulenten, genderfluiden und Virginia Woolfs Sprache stets sorgsam in den Vordergrund rückenden Stunden hätte man sich - was eher selten passiert - gewünscht, der Abend hätte ein wenig länger gedauert. Erstaunlicherweise hat Willstedt in ihrer Dramatisierung einen zentralen Aspekt des Romans völlig ausgeklammert: Orlando als Schriftsteller/in im Spiegel der Zeit. Schlussendlich lässt dieser Abend aber hoffen, dass sich das Burgtheater auch in den kommenden Monaten und Jahren mutig zeigt, was frische Regie-Zugriffe und fokussierte Ensemblearbeit betrifft. Das Publikum zeigte sich jedenfalls begeistert und würdigte alle Beteiligten mit lautem Jubel und vielen Bravos.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Orlando" nach dem Roman von Virginia Woolf in einer Fassung von Tom Silkeberg im Akademietheater, Deutsch von Melanie Walz und Ursel Allenstein. Regie: Regie: Therese Willstedt, Bühne und Licht: Mårten K. Axelsson, Kostüme: Maja Mirkovic, Musik: Emil Assing Høyer, Dramaturgie: Jeroen Versteele. Mit Elisabeth Augustin, Stefanie Dvorak, Markus Meyer, Seán McDonagh, Martin Schwab, Itay Tiran und Nina Siewert/Andrea Wenzl. Kommende Termine: 11., 15., 19. und 25. September sowie im Oktober. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Therese Willstedt eröffnete die Saison im Akademietheater mit Virginia Woolfs 'Orlando' und wurde nach zwei Stunden heftig bejubelt.
  • Der neue Burgtheaterdirektor setzt erneut auf eine starke weibliche Regiehandschrift.
  • Das Bühnenbild von Mårten K. Axelsson schuf einen zeitlosen Zwischenraum.
  • Elisabeth Augustin (71) und Martin Schwab (86) verkörpern die lebenserfahrenen Facetten Orlandos.
  • Die Inszenierung hat einen zentralen Aspekt des Romans ausgeklammert: Orlando als Schriftsteller/in.