"Serge" im Akademietheater als flapsige Familienaufstellung
Das liegt, wie man schon bei Erscheinen von "Serge" vor rund einem Jahr bemerken konnte, durchaus an der Vorlage. In der Romanform gelingt es der 63-Jährigen deutlich schlechter, die sonst so gefeierten zwischenmenschlichen Dynamiken freizulegen und versteckte Abgründe freizulegen. Dabei hat der Stoff an sich viel Potenzial: Nach dem Tod der jüdischen Großmutter nimmt die junge Frau Joséphine ihren Vater Serge, Onkel Jean (der als Ich-Erzähler fungiert) und Tante Nana mit auf einen Familienausflug nach Auschwitz. Der Kurztrip, der die Familie eigentlich mit ihrer nicht aufgearbeiteten jüdischen Herkunft konfrontieren soll, gerät allerdings mehr zur flapsigen Familienaufstellung zwischen Geschwisterrivalität, Elternsorgen und Liebeskummer.
Um die zahlreichen Schauplätze und Zeitebenen in dieser Uraufführung unter einen Hut zu bringen, hat Márton Ágh einen bühnenfüllenden schmutzig-grünen Warteraum geschaffen, der mit seinen vielen Stühlen, Türen und Getränkeautomaten als Krankenhausflur, Privatwohnung und Auschwitz-Cafeteria dient. Dort hebt Michael Maertens als Jean zu Beginn an, von den Ereignissen seit dem Tod seiner Mutter zu erzählen, die Inge Maux als resche, über Israel und die Juden herziehende "yiddishe Mame" gibt. Weder Jean noch seine Geschwister hatten sich bisher für ihre Wurzeln interessiert, erst Joséphine (mit herrlichem jugendlichen Eifer: Lilith Hässle) will sich an jenen Ort begeben, an dem große Teile ihrer Vorfahren von den Nazis ermordet wurden.
Und so überzeugt sie ihren Vater Serge, den Roland Koch als dem Erfolg hinterherrennenden Berufsjugendlichen gibt, nach Auschwitz zu fahren. Als zwischen den brüderlichen Fronten hin- und hergerissene Schwester Nana zeigt Alexandra Henkel sehr viel Körpereinsatz, während Maertens den Ruhepol in dem Trio bildet. Er denkt mehr über seine Ex-Freundin Marion (in einer Doppelrolle: Hässle) und deren Sohn nach als über die Verbrechen, die an diesem Ort geschehen sind. Während die Frauen die "Judenrampe" und die "Sauna" erkunden, hängt er auch noch am Telefon, um sich um seinen todkranken Onkel Maurice (verschroben: Martin Schwab) und dessen exaltierte Ehefrau Paulette (Maux) zu kümmern.
Das neu entfachte Interesse am Judentum ist für Serge unterdessen nur ein weiterer Splen seiner Tochter, der er ja eben erst eine "Augenbrauen-Fortbildung" bezahlt hat. Auch Jean ist wenig begeistert. "Ich werde einen Kurs in Judentum belegen", beschließt Joséphine. "Das hat uns noch gefehlt", empört sich Jean. Doch viel tiefer gräbt Yasmina Reza leider nicht. Weder wird deutlich, warum sich die seit Jahrzehnten in Paris ansässige ungarisch-jüdische Familie der Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit bisher entzogen hat, noch wird die Motivation, was dieser Ausflug nach Auschwitz eigentlich bewirken soll, wirklich deutlich. Für das reine zwischenmenschliche Hickhack bietet der Text eindeutig zu wenige starke, entblößende Momente.
Und so plätschert der pausenlose Abend zwei Stunden dahin, generiert einige herzliche Lacher im Publikum und zeigt allzu deutlich, dass nicht jeder Roman dazu geeignet sein muss, auf die Bühne gehoben zu werden. Zumal es sich bei der Autorin um eine ausgewiesene Dramatikerin handelt, die sich ja immerhin bewusst für die Wahl des Romans als Genre entschieden hat, um diese Geschichte zu erzählen. Dem Publikumszuspruch taten die Schwächen des Abends jedenfalls keinen Abbruch: lang anhaltender Applaus.
(S E R V I C E - "Serge" von Yasmina Reza, aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, Bühnenfassung von Lily Sykes und Andreas Karlaganis. Regie: Lily Sykes, Bühne: Márton Ágh, Kostüme: Jelena Miletic. Mit Michael Maertens, Roland Koch, Alexandra Henkel, Lilith Hässle, Martin Schwab und Inge Maux. Uraufführung. Weitere Termine im Akademietheater: 25. 2., 3., 16. und 23. 3. www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Das liegt, wie man schon bei Erscheinen von "Serge" vor rund einem Jahr bemerken konnte, durchaus an der Vorlage.
- "Das hat uns noch gefehlt", empört sich Jean.