Scheidendes Werk-X-Duo hat Abschiedsmarathon gestartet
So packt eine ivorisch-deutsche Truppe unter Leitung von Gintersdorfer/Klaßen den 2014 erschienenen Jelinek-Text "Strahlende Verfolger." in ein abstrahiertes Tennisspiel, bei dem ein Netz aus Klaviersaiten und mit tönenden Saiten bespannte Schläger eine arbiträre, technoide Musik aus dem Spiel heraus entstehen lassen. Dennoch sieht man von der nahe liegenden Parallele ab, sich die mäandernden Jelinek-Sätze wie die Bälle zuzuwerfen.
Stattdessen liefert die Formation ein rares Beispiel für fundiert-postkoloniales Theater, bei dem man eher die Reflexion des Textes als den Text selbst liefert. Ironisiert Jelinek das "Deutschtum" und "Den Deutschen" in ihrer Vorlage als Prinz aus Prinzipien, der aufs Ganze geht, während andere drauf gehen, weicht man hier der deutschen Nabelschau aus, die letztlich in ihrer Metaebene auch Jelinek betreibt. Es wird tatsächlich der Blick auf die Perspektiven der Welt geweitet, wenn die dunkelhäutigen ivorischen Akteure ihren weißen Pendants verraten, dass sie hinter deren Rücken als "Abgeschabte" apostrophiert werden.
Einen klassischeren Ansatz an die Jelinek-Tiraden wählt indes zum Auftakt des Abends der serbischstämmige Regisseur Miloš Lolić. Er lässt seine vier Schauspielenden im Pingpongparlando den 2013 veröffentlichten Text "Aber sicher! (Eine Fortsetzung)" deklamieren und dabei in die verschiedensten Rollen von Stadtbewohnern schlüpfen. Die Geschlechterrollen sind fluide wie die gesellschaftlichen Rollen, die durch die verschiedenen Arbeitsuniformen im Rund gewechselt werden.
Dabei wird sinniert über die wirtschaftlichen Verwerfungen der vergangenen Jahre, wenn die Bankenrettung der Menschenrettung entgegensteht. Man verkauft den Friedhof und least dann jene zurück, die man zurückließ, während die Versicherung gegen die Verunsicherung unwirksam ist. Im Meer der hohlen Phrasen der öffentlichen Debatte versuchen die Menschen, die vordergründig gehaltlose und blutleere Sprache durch das genaue Abklopfen, Drehen und Wenden wieder mit eigener Bedeutung zu füllen.
Und doch verstrickt man sich darin - am Ende ganz wörtlich in den überdimensionalen Nadeln und Seilfäden, die sich am Spielort finden. Gestaltet hat diesen Kunststar Katrina Daschner, die für alle vier Inszenierungen einen dreidimensionalen Hintergrund geschaffen hat, in dem eine mit Spitzen versehene, stilisierte Vagina das Zentrum bildet. Vor diesem Kastrationsmenetekel werden in den kommenden Wochen auch noch "Das Licht im Kasten" und "Tod-krank.doc" zu sehen sein - jeweils in unterschiedlichen Konstellationen der Zusammenstellung, bevor am 13. Mai mit allen vier Arbeiten am Stück ein monumentaler Schlusspunkt gesetzt wird.
(S E R V I C E - "Ich will kein Theater, ich will ein anderes Theater" als Überthema für vier Inszenierungen von Texten von Elfriede Jelinek bis 13. Mai im Werk X, Oswaldgasse 35a, 1120 Wien. Regie: Miloš Lolić, Gintersdorfer/Klaßen, Thirza Bruncken und Angela Richter. www.werk-x.at)
Zusammenfassung
- Die ersten beiden der jeweils von verschiedenen Regieteams kanalisierten Texttsunamis machten am Donnerstag den Aufschlag - und das teils wörtlich.
- Dennoch sieht man von der nahe liegenden Parallele ab, sich die mäandernden Jelinek-Sätze wie die Bälle zuzuwerfen.
- Regie: Miloš Lolić, Gintersdorfer/Klaßen, Thirza Bruncken und Angela Richter.