Queere Kulturschaffende nach dem Pride-Month
Der künstlerische Juni reichte von "Queering the Belvedere" und "Queertopia" im Volkskundemuseum über "Queer Frames" im Filmcasino und Filmhaus bis hin zum "S_P_I_T Queer Performance Festival Vienna" im Tanzquartier (TQW). Die Frage, ob und warum Aufmerksamkeit für LGBTQIA+-Werke nun wieder nachlasse, ruft unter Kunstschaffenden der Community kontroverse Antworten hervor. Worin jedoch Einigkeit herrscht: Für Gleichstellung bedarf es längst überfälliger Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen. Zu den Forderungen zählen ein Verbot von Konversionstherapie und ein Diskriminierungsschutz im Privaten. Wird man momentan als gleichgeschlechtliches Paar aus einem Gasthaus oder Taxi geworfen, hat man dagegen keine rechtliche Handhabe. Anders ist das an Orten, an denen die Länder zuständig sind - beispielsweise im Schwimmbad. Unterm Strich bleibt: In Sachen Diskriminierungsschutz hinkt Österreich hinterher.
Laut einer im Mai präsentierten Onlinebefragung der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) haben 60 Prozent der Community im Vorjahr Drohungen oder Gewalt erfahren - ein alarmierender Anstieg um 27 Prozent seit 2020. Einen Zusammenhang sieht Dex Zanger, musikschaffend und produzierend als "Dexpleen" auf der Bühne, zwischen wachsender queerer Sichtbarkeit und zunehmender Aggressivität. Plausibel, denn die Offenheit queerer Menschen liegt nach FRA in Österreich mit 60 Prozent über dem europäischen Schnitt von 51 Prozent.
"Ich werde so bald wie möglich aus Österreich wegziehen. Ich habe mich noch nie so unsicher gefühlt", sagt Dex als non-binäre Person und bezweifelt mittlerweile, dass Kunst eine nachhaltige Veränderung der gegebenen Lage erzielen könne. Ausnahmen seien Conchita Wurst (Songcontest-Sieg 2014) und Nemo (Songcontest-Sieg 2024). Ohne konkrete rechtliche Maßnahmen sei das "Schmücken mit Regenbogenfahnen" im Juni nichts anderes als "scheinheilig".
Dem Hass setzt Dex - ehemals für Tom Neuwirth/Conchita tätig - mit der ersten EP "Hard Shell, Soft Heart" ein Werk entgegen, das unter anderem queere Liebe thematisiert. "Es geht in meiner Musik aber nicht immer um meine Identität, und ich möchte nicht nur als queere Person politisiert werden. Meine Songs sind für viele relatable", erklärt Dex in Vorfreude auf einen Auftritt bei "Live in Salzburg" am 30. August.
Ebenfalls im August auf der Bühne: Choreograf und Tänzer Luca Bonamore - schon letztes Jahr das Gesicht des ImPulsTanz-Plakats und auch heuer Teil des Wiener Tanz- und Performancefestivals. Sein Gruppenstück "Silent Lovers" (Premiere: 4. August) wurde von der homosexuellen Cruising-Culture inspiriert und thematisiert Einsamkeit, Nähe und (Scham-)Gefühle. Wie auch in seinem 2023 beim TQW Nachwuchsfestival Rakete uraufgeführten Stück "Lamentations", das ab Ende Jänner 2025 in einer Weiterentwicklung zu sehen sein wird, setzt Bonamore in "Silent Lovers" auf "Verknüpfungen von high art und der Underground-Welt". Er selbst habe durch die queere Clubszene tänzerische Ausdrucksfreiheit lieben gelernt: "Es wird gefeiert, wenn man die eigenen femininen Seiten - was auch immer das bedeuten möchte - zulässt."
Pride als Marketingstrategie lehnt Luca nicht per se ab. Eine "Win-Win-Situation" müsse gegeben sein, beispielsweise, indem queere Vereine von den Erlösen der Kampagne profitieren oder Kunstschaffende im Rahmen eines Festivals eine Bühne bekämen.
In "Silent Lovers" performt Luca neben anderen mit Tanzlehrer Theo Emil Krausz - zuvor unter anderem mit der non-binären Geschwisterperson Stella Myraf in einer Performance zu queerer Geschwisterlichkeit auf der Bühne des S_P_I_T_ Festivals 2023. Diskriminierungsfreie Orte finden sich für Theo im brut Wien und im Tanzquartier. Über den "Safer Space" Tanz habe Theo seine Identität und Sexualität von einem jungen Alter an erkunden können. Nach einer MUK-Tanzpädagogik-Ausbildung möchte Theo diesen "Freiraum" nun auch für andere - vor allem Kinder - erfahrbar machen, ab Herbst im Rahmen einer Stückentwicklung für das Vestibül mit Jugendlichen am Burgtheater. "Ich habe das Gefühl, dass in der Stadt Wien schon einiges für Diversität passiert. Es ist auch nicht mein Eindruck, dass es nach dem Juni weniger queere Kunst gibt. Deswegen bin ich in dieser Berufssparte - ich fühle mich gesehen", sagt Theo. Verbesserungspotenzial gebe es dennoch in der (Förder-)Politik.
Denn für die erwünschte ganzjährige Sichtbarkeit seien kuratierende Institutionen und die Förderpolitik verantwortlich, bestätigen Produzentin Isabel Gurschler und Regisseurin Lisa Jabornig - Empfängerinnen queer-feministischer Fördergelder der ÖH-Wien. Ihr 17-minütiges Kurzfilmdebüt "Fragmente", welches zurzeit bei Filmfestivals eingereicht wird, entstand in Kooperation mit dem QWIEN - Zentrum für queere Geschichte - und porträtiert die Problematik queerer Forschung bei kaum vorhandenen Filmaufnahmen. Das Motto: "Sichtbarkeit - nicht nur vor der Kamera, auch hinter der Kamera" - dies bedeutete, wie Isabel erläutert, einen Fokus auf FLINTA-Personen (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans, agender Personen) am Set zu setzen. Ist die Exklusion von Cis-Männern (Identifikation mit Geburtsgeschlecht) aber nicht auch diskriminierend? "Nein", sagt Isabel - es gehe nicht um "aktiven Ausschluss", sondern um "Möglichkeiten der Repräsentation für marginalisierte Personen". Denn auch im "kommerziellen" Juni werde über Rechte queerer Personen kaum gesprochen. Es sei ein Monat "über die Community", aber häufig nicht "mit der Community", kritisiert Lisa.
Im Sinne eines authentisch-queeren Films ebenso bedeutend: angemessenes Casting. Für die non-binäre Rolle "Ira" sei demnach nur eine nicht-binäre Besetzung in Frage gekommen. "Trans-Menschen sind in der österreichischen Filmbranche nicht wirklich vertreten", so Lisa.
Die Dominanz heteronormativer Rollenbilder beklagt auch Laura Oedendorfer - Mitglied des fünfköpfigen queer-feministischen Frauenensembles "Tchicks", dessen Interpretation von "Collective Rage: A Play in Five Betties" nach Jen Silverman im September für vier Vorstellungstermine zurück ans Ateliertheater Wien kommt. Als Gegenpol zum starr in Rollenbildern denkenden Kultursystem will das in Wien basierte Ensemble in all seine Inszenierungen inhaltlich mindestens eine queere Person inkludieren und das Ergebnis ganzjährig zeigen. Der einmonatige Fokus auf LGBTQIA+-Kunst und -Personen sei ein erfolgloser Versuch der Wiedergutmachung, so Laura. Besonders kritisiert sie dabei, dass im Juni manche Firmen "Pinkwashing" als Teil deren Marketingstrategie leben und "mit der Identität von anderen Menschen hausieren gehen". Verbindend wirken sollen daher die queeren Theaterstücke. Ziel der Tchicks ist es, ein diverses Publikum anzusprechen und "niemanden ausschließen" - auch keine Cis-Männer.
Wo liegt nun also die Verantwortung des Individuums im Publikum? Ist es verwerflich, nach Ende des Pride-Months wieder weniger queere Kunst zu konsumieren? Urteilt man nach den Meinungen der befragten Kunstschaffenden, liegt die Verantwortung bei Österreichs Kultursystem, Institutionen und Fördergebenden. Denn ohne entsprechendes Programm keine Möglichkeit zum Perspektivenwechsel, auch wenn die Kultur die Politik beim grundlegenden rechtlichen Aufholbedarf nicht ersetzen kann.
(Von Selina Teichmann/APA)
(S E R V I C E - Dexpleen in Salzburg: https://liveinsalzburg.at/, Luca Bonamores "Silent Lovers": www.impulstanz.com/performances/id3304/, Tickets zu "Collective Rage: A Play in Five Betties" der Tchicks: www.volume.at/events/collective-rage-2024-09-13/)
Zusammenfassung
- Wiener Museen, Kinos und Theater präsentierten im Pride-Month Juni queere Perspektiven in ihren Programmen.
- 60 Prozent der LGBTQIA+-Community in Österreich haben im Vorjahr Drohungen oder Gewalt erfahren, ein Anstieg um 27 Prozent seit 2020.
- Kunstschaffende fordern ganzjährige Sichtbarkeit und rechtliche Gleichstellung, darunter ein Verbot von Konversionstherapie und Diskriminierungsschutz im Privaten.
- Dex Zanger sieht einen Zusammenhang zwischen wachsender queerer Sichtbarkeit und zunehmender Aggressivität und plant, Österreich zu verlassen.
- Luca Bonamore und Theo Emil Krausz thematisieren queere Identität in ihren künstlerischen Werken, während Isabel Gurschler und Lisa Jabornig die Sichtbarkeit hinter der Kamera betonen.