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NÖKU-Geschäftsführer: "Ich glaube, dass es mehr Mut braucht"

23. März 2025 · Lesedauer 6 min

Die NÖKU (Niederösterreichische Kulturwirtschaft) mit über 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vereint unter ihrem Dach rund 40 künstlerische und wissenschaftliche Institutionen im Bundesland. Seit ihrer Gründung vor 25 Jahren wird sie von Paul Gessl geleitet. Im APA-Gespräch zum 25-Jahr-Jubiläum zieht der Geschäftsführer eine Erfolgsbilanz - und kündigt seinen Rückzug für September 2026 an.

An der Tür zu Gessls Büro im Regierungsviertel St. Pölten hängt ein Zitat von Stefan Zweig: "Wir brauchen einen ganz anderen Mut!" "Das ist meine Lebensphilosophie - schon als ich 1999 mutig in eine für mich neue Branche eingestiegen bin und jedes Jahr gefordert war, mutige und klare Entscheidungen zu treffen", sagt Paul Gessl. "Ich bin - als Montanist - ein Quereinsteiger. Und es ist immer eine Herausforderung, einerseits Menschen zu überzeugen, andererseits Klarheit in der Struktur zu finden. Das ist die große Stärke der NÖKU. Kultur braucht Organisation, Klarheit, Management."

Die NÖKU bezeichnet sich zum 25-Jahr-Jubiläum selbst als "ein im deutschen Sprachraum einzigartiges, privatwirtschaftlich orientiertes Public-Private-Partnership-Modell im Kulturmanagementbereich". 2023 wurden in den NÖKU-Betrieben insgesamt über 1,1 Millionen Besucherinnen und Besucher gezählt. Der für 2025 budgetierte Betriebsaufwand der Gruppe beträgt 136 Mio. Euro. Das Land Niederösterreich als verlässlicher Haupt-Finanzierungspartner und als Garant für künstlerische und wissenschaftliche Freiheit ermöglich es gerade in turbulenten Zeiten, die vielfältigen Herausforderungen im Kulturbetrieb zu bewältigen, sagt Gessl - sieht die Zukunft aber keineswegs nur rosig: "Steigende Fixkosten erdrücken die Kultur. Und auch diesen Herausforderungen muss man mit Offenheit begegnen."

Offenheit habe man in der NÖKU-Geschichte in vieler Hinsicht bewiesen: "Wir sind ein sehr bunter, duftender, spannender Blumenstrauß. Inhaltlich divers, heterogen, vielfältig in einer Form, wie es sie wahrscheinlich europaweit nicht gibt. Ja, es gibt zum Beispiel Bundestheaterverbände, aber ganz selten Organisationsformen, die so vielfältig aufgestellt sind wie wir. Der zweite Punkt ist die starke privatwirtschaftliche Ausrichtung in der Gesellschafterstruktur, und drittens die Dynamik der Entstehungsgeschichte und der jetzigen Positionierung."

"Ich bin ein überzeugter Holding-Mensch."

Die Kulturbewirtschaftung nicht in der herkömmlichen Verwaltungsstruktur zu realisieren, sei eine richtungsweisende Entscheidung gewesen: "Ich habe mir damals erlaubt, die Marke Rama von Unilever mit der Marke Festspielhaus der NÖKU zu vergleichen, und wurde dafür geprügelt. Meine Vorbilder waren die Markenartikelkonzerne. Vom Ansatz der Bewirtschaftung ist es der richtige Ansatz: Wir positionieren Kunstmarken. Und weiters all die rechtlichen Vorgaben, Cyber Security, digitale Transformation, Datenschutz, Arbeitszeitgesetz: Wie soll das ein kleiner Kulturbetrieb selbst schaffen? Selbstverständlich bin ich ein überzeugter Holding-Mensch. Wir sind Pioniere!"

Wie alle anderen Kulturbetriebe bekomme man eine Förderung vom Land und müsse die Förderrichtlinien genauso erfüllen wie alle anderen, spielt Gessl die Rolle des NÖKU-Tankers herunter. "Das Kunst- und Kulturland Niederösterreich lebt ja nicht nur von der NÖKU, sondern von der Vielfalt, von der Regionalität, von der Verwurzelung. Für mich gibt es nicht Groß und Klein, viel Geld und wenig Geld - diese Kategorien lasse ich nicht gelten."

Nicht rechtzeitig um Schiele und Kokoschka gekümmert

Die NÖKU ist immer wieder als Rettungsanker für Kultureinrichtungen in Erscheinung getreten - gibt es hier Handlungsbedarf, etwa bei den Personalmuseen für Rainer, Nitsch, Frohner, wo die Besucherzahlen eher gering sind? Gessl: "Besucherzahlen sind wichtig, aber kein absolutes Kriterium dafür, ob man eine Einrichtung braucht bzw. unterstützen soll. Hermann Nitsch etwa als bekennender Weinviertler ist für mich nach wie vor einer größten international erfolgreichen Kulturbotschafter Niederösterreichs. Hätten wir rechtzeitig bei Schiele oder Kokoschka agiert, hätten wir uns schon früher viel Reputation geholt und viel Geld erspart."

Zuletzt waren die Namen Bruno Gironcoli und Gottfried Helnwein in Zusammenhang mit neuen Initiativen des Landes aufgetaucht. Dazu ist ihm nichts Konkretes zu entlocken "Die Vision der NÖKU ist nicht das Wachstum. Es geht im Prinzip darum, das, was hier aufgebaut wurde, effizienter, besser zu machen, in Vermittlung und innovative Präsentation der Kunst zu investieren."

Eine Initiative wie das Tangente-Festival 2024 in St. Pölten hätte man "in der Landeshauptstadt früher machen müssen", glaubt Gessl. "Ein großer Körper braucht ein starkes Herz. Und die Kraft der Kultur liegt nicht im Kompromiss, sondern im Konflikt, im Diskutieren, im Überraschenden, im Erzeugen von Reibflächen. Die Tangente war eine bewusste künstlerische Setzung zwischen Überforderung und Nicht-Akzeptanz, aber für St. Pölten war es der richtige Schritt. Man darf sich nicht von Zwischenrufen irritieren lassen."

Unabhängigkeit "hat hundertzwanzigprozentig gehalten"

Apropos Zwischenrufe: Die ÖVP-FPÖ-Koalition im Land wird gerade im Kulturbereich von vielen mit Besorgnis gesehen. Gessl dazu: "Es ist ja dokumentiert, dass ich anlässlich der Koalitionsgründung meine Bedenken kundgetan habe. Es ist aber festzuhalten: Kompliment an die Kulturverantwortlichen im Land, sie garantieren für Planungssicherheit, Unabhängigkeit in der künstlerischen Gestaltung und finanzielle Absicherung, und das hat bis zum heutigen Zeitpunkt hundertzwanzigprozentig gehalten."

Am 26. März veranstaltet die NÖKU ein Symposium zum Thema "Wie viel Utopie braucht die Kunst? - Neue Narrative und die Wieder-Entdeckung der Provinz". Ist der Begriff der Provinz heute nicht schon etwas problematisch geworden? Für Gessl - als "Bub der Provinz" (geboren in Hollabrunn im Weinviertel) - liegt darin eine ganz bewusste Themensetzung im Zusammenspiel von Natur, Tradition und Innovation sowie die Überlegung, "welche Chancen, Vorteile und Energien die Arbeit von Künstlern in der Region, in kleinräumigen Strukturen jenseits klassischer Urbanität" bereithalte. "Für mich steht Provinz für eine einzigartige Energieform mit allen energetischen Quellen, die Natur, Tradition und Menschen hergeben."

Noch ein paar Weichenstellungen

Gessl begeht heuer seinen 64. Geburtstag. Mit 65 soll dann Schluss sei, erklärt er. "Ich werde mich mit September 2026 zurückziehen. Ich möchte das, was ich begonnen habe, auch ordentlich beenden. Ich versuche immer, persönliche Entscheidungen eigenbestimmt zu treffen. Und bin auch überzeugt, dass es der Unternehmenskultur nach 25 Jahren guttut, wenn neue Köpfe und neue Geister sich hier zusammenschließen." Ein paar Weichenstellungen wolle er aber noch vornehmen, "etwa die Landestheater-Strategie um Wiener Neustadt und Baden. 20 Jahre Grafenegg steht bevor, auch 100 Jahre Theater Reichenau: Man hat dort ein schönes Theater, das im Sommer klar positioniert ist, aber das Jahr hat 365 Tage ..."

Angesichts vorhersehbar schwieriger werdender Rahmenbedingungen wird sich das Holding-Modell bewähren müssen. "Ich glaube, dass es mehr Mut braucht", sagt Gessl. "Die Organisationsform ist sekundär, es geht um das Aufbrechen von Unternehmenskulturen, die ein Nebeneinander oder ein Gegeneinander praktizieren statt eines Miteinander. Es gibt so viele Herausforderungen, die wir gemeinsam leichter lösen als getrennt."

(Das Gespräch führte Ewald Baringer/APA)

(S E R V I C E - Symposium 25 Jahre NÖKU-Gruppe, "Wie viel Utopie braucht die Kunst?", Keynote-Speakerinnen Florence Gaub und Tulga Beyerle, Podiumsdiskussionen mit Florence Gaub, Marie Kreutzer, Ingrid Brodnig, Julia Jost, Jens Balzer und Jonathan Fine sowie mit Tulga Beyerle, Bettina Hering, Mira Lu Kovacs, Tobi Müller, Thomas D. Trummer und Thomas Weber. Mittwoch, 26. März, 13-18 Uhr (im Anschluss Get-together), Palais Niederösterreich, Wien 1, Herrengasse 13, https://www.noeku.at/ )

Zusammenfassung
  • Die NÖKU, mit über 1.300 Mitarbeitenden und 40 Institutionen, feiert ihr 25-jähriges Bestehen unter der Leitung von Paul Gessl, der seinen Rückzug für 2026 plant.
  • Im Jahr 2023 zählte die NÖKU über 1,1 Millionen Besucher und budgetiert für 2025 einen Betriebsaufwand von 136 Millionen Euro.
  • Paul Gessl betont die Bedeutung von Mut und Offenheit, um den steigenden Fixkosten und Herausforderungen im Kulturbetrieb zu begegnen.
  • Die NÖKU gilt als einzigartiges Public-Private-Partnership-Modell im deutschsprachigen Raum mit einer starken privatwirtschaftlichen Ausrichtung.
  • Trotz politischer Veränderungen bleibt die Unabhängigkeit der NÖKU in der künstlerischen Gestaltung und finanziellen Absicherung gewahrt.