Neues Album von und neues Buch über David Bowie
"Bowie Odyssee 70" ist eine expressionistische Biografie, kein Nacherzählen von Fakten, wortgewaltig geschrieben, ein Roman über den Beginn einer musikalischen Odyssee, die den Pop verändern wird - und zugleich ein Blick in die britische Gesellschaft der Siebziger, in den Zeitgeist und den Rock and Roll. Anhand zahlreicher Quellen wie Interviews, Berichten und Büchern verfasste der britische Autor und Musikjournalist eine Art literarische Fly-on-the-Wall-Dokumentation mit vielen Freiheiten. Vergleiche mit "Hellfire", der "Jerry Lee Lewis Story" von Nick Tosches, einem der besten Bücher über den Rock'n'Roll überhaupt, sind zulässig.
Die Reise in eine spannende Dekade beginnt, kurz nachdem der "neunfache Single-Versager David Bowie" die Geschichte von Major Tom in die Charts katapultierte. Goddard liefert ein intensives Porträt des Künstlers und seiner baldigen Frau Angie, die Chemie zwischen den beiden wird beim Lesen spürbar. Mitunter kann der Autor britisch-witzig und/oder erfrischend böse sein, wenn er die Band Genesis etwa als "im Bong hochgeblubberte Schleimsuppe" bezeichnet oder den Geruch von Hull, woher Bowies Gitarrist Mick Ronson stammt, auf den Punkt bringt: "Die Einheimischen sagen, das liege an den Abgasen aus der Kakaoherstellung (....), aber kein Kakao hat je so nach Lebendigbegraben-Werden geschmeckt, wie Hull stinkt."
Man trifft auf Marc Bolan von T. Rex, auf den Songschreiber Tony Macaulay, einen ehemaligen Ingenieur bei der Abwasserbeseitigung, der dazu übergegangen ist, "Scheiße zu komponieren, statt sie zu schaufeln", auf Andy Warhol, auf Mr. Finch, den Schöpfer des Midi-Rocks, den Bowie am Cover seines Albums "The Man Who Sold The World" trägt, und andere illustre Figuren einer Zeit, in der sich Teenager zwar keine Alben, dafür aber Eintrittskarten zu Konzerten locker leisten konnten und das Verprügeln von Homosexuellen an der Tagesordnung stand. Bowie hat mit seinem Image und seiner Musik diese prüde, deprimierende Gesellschaft bunter gemacht, die weiteren Jahre werden es zeigen - die Fortsetzung "Bowie Odyssee 1971" ist bereits in England im Buchhandel zu finden.
Zeitsprung ins Jahr 2001: David Bowie geht mit seiner Band ins Studio, um neue Interpretationen von Songs einzuspielen, die er ursprünglich zwischen 1964 und 1971 aufgenommen hatte. Das Album sollte "old school" live aufgenommen, die besten Takes ausgewählt und das fertige Produkt schnellstmöglich veröffentlicht werden. Dann lief einiges im Business schief, die Zeit schien für solche Überraschungsalben noch nicht reif, und Bowie wandte sich einem neuen Projekt zu, aus dem das Album "Heathen" entstand. "Toy" leakte irgendwann, manche Songs landeten auf B-Seiten oder wurden zur Grundidee für andere Nummern.
Nun darf man "Toy" endlich ordentlich abgemischt, im wundervollen Sound erleben, wie Hörproben belegen. Zu Bowies 75. Geburtstag im Jänner 2022 kommt eine dreiteilige CD-Box bzw. eine Vinylversion (sechs 10") heraus. Diese bietet das Popalbum, das mehr Qualität als so manch andere posthume Veröffentlichungen zu bieten hat, und einen Art Unplugged-Mix mit akustischer Gitarre als tragendes Element. Der dritte Teil mit B-Seiten und alternativen Mixen ist weniger essenziell.
Wer früher "Toy" sein Eigen nennen will: Das Album ist auch Teil des am 26. November erscheinenden, üppigen Boxsets "David Bowie 5. Brilliant Adventure" (zehn CDs oder 18 LPs) mit den Werken des Popstars aus den Jahren 1992 bis 2001. Als weitere Zugaben gibt es einen Mitschnitt eines Auftritts bei der BBC vor 500 Fans in kompletter Länge sowie 39 Non-Album- und Alternative-Version, B-Seiten und Soundtrack-Songs. Bowie starb 2016, seine Vermarktung geht weiter - zumindest in diesen Fällen würdevoll.
(S E R V I C E - Simon Goddard, "Bowie Odyssee 70", Hannibal Verlag, Übersetzung von Andreas Schiffmann, 208 Seiten, mit Bildstrecke, 20 Euro - Offizielle Bowie-Seite: www.davidbowie.com)
Zusammenfassung
- "Nicht konform gehen, radikal sein."
- Dieses Motto hat David Bowie "an die Wand neben dem Telefon in Haddon Hall gekritzelt", schreibt Simon Goddard in seinem superben Buch "Bowie Odyssee 70".
- Zeitsprung ins Jahr 2001: David Bowie geht mit seiner Band ins Studio, um neue Interpretationen von Songs einzuspielen, die er ursprünglich zwischen 1964 und 1971 aufgenommen hatte.
- Der dritte Teil mit B-Seiten und alternativen Mixen ist weniger essenziell.