Michael Stavarič legt "poetische Vorlesung für Kinder" vor
APA: Ihr erstes Kinder-Sachbuch "Faszination Krake" ist vielfach ausgezeichnet worden. Was ist der Grund dieses Erfolgs?
Michael Stavarič: Ich denke, wir haben in unterschiedlichster Weise etwas richtig gemacht. Erstens haben wir uns für ein hochwertiges und ästhetisch anspruchsvolles Kinderbuch entschieden, mit großartigen Illustrationen von Michele Ganser. Zweitens habe ich ein Buch entworfen, das sich stilistisch an alle Altersstufen richtet - und Wissenschaft anders vermittelt; nämlich als eine Erzählung über "das große Ganze" - und dabei ganz wichtig: Alles geschieht auf Augenhöhe. Drittens haben wir uns sicherlich für die richtige Tierart entschieden, weil Kraken und Co. plötzlich auch in anderen Medien recht präsent waren. Und last but not least: Der Leykam-Verlag hat sich unglaublich engagiert und seine Hausaufgaben gemacht. Das ist bei Weitem nicht selbstverständlich in dieser Branche.
APA: Sie haben in dem Buch eine originelle Mischung aus Wissen, Witz und Wortspiel gefunden. Leiden Sachbücher für Kinder und Jugendliche meist darunter, dass sie ihr Publikum zu wenig ernst nehmen?
Stavarič: Ich versuche schon seit vielen Jahren, die "Kinderliteratur" in einer Art und Weise präsent zu machen, wie sie es verdient. Lesesozialisation beginnt mit Kinderbüchern - diese sind auch die Grundsteine einer jeden späteren eigenen Bibliothek. Wenn man es nicht schafft, Kinder und Jugendliche für die Literatur an sich zu begeistern, ist der Zug abgefahren. Dass man immer wieder mal von den "Literaturautoren" für Erwachsene belächelt wird, ärgert mich. Wie oft habe ich mir schon anhören müssen: Michael, warum verschwendest gerade du (der doch hohe formale Ansprüche hat) so viel Zeit mit Kinderbüchern? Sachbücher für Kinder sind außerdem eine wunderbar hybrides Genre - Wissensvermittlung kann man nämlich großartig mit einem poetisch-literarischen Erzählen kombinieren.
APA: Nach der Krake nun also die Qualle. Was fasziniert Sie so an Meerestieren?
Stavarič: Quallen sind wahrlich geheimnisvolle Tiere - einer der führenden Quallenforscher wurde mal gefragt, wie viele Arten er kennt? Er sprach da von ungefähr 2.000. Wie viele es denn überhaupt im Meer gäbe, wurde er daraufhin gefragt. Er mutmaßte: Ungefähr 10.000. Soll heißen: Niemand weiß, wie viele Arten es überhaupt gibt. Zugleich zählen Quallen zu den giftigsten Lebewesen auf diesem Planeten, es gibt eine Art, die tatsächlich unsterblich ist, und Quallen sind überhaupt jene Lebewesen, die den höchsten Wassergehalt von allen irdischen Spezies aufweisen - nämlich bis zu 99 Prozent. Wenn man so will, sind sie "lebendiges Wasser". Ist das nicht großartig?
APA: Das Buch besticht mit vielen Informationen, die auch für Erwachsene sehr interessant sind. Wie haben Sie sich fachlich beraten lassen?
Stavarič: Ich spreche selbstverständlich mit Menschen, die sich in diesen Bereichen auskennen, ich lese außerdem viel Fachliteratur und verfolge die neuesten Erkenntnisse im Internet. Und ich schaue mir recht viele Naturdokus zu den unterschiedlichsten Themen an. Da ich den Anspruch habe, alles mit allem zu verknüpfen, um wirklich etwas über das große Ganze sagen zu können, ist es unerlässlich, hier ständig am Ball zu bleiben. Ein Beispiel: Wenn ich über schwebende Quallen in den Ozeanen schreibe, ist es nicht weit zur Schwerelosigkeit an sich. Und sogleich ist man im Weltraum.
APA: Mir scheint die "Qualle" deutlich interaktiver geworden zu sein als die "Krake" - und mit deutlich mehr Mut zur Abschweifung in andere Wissensgebiete.
Stavarič: Das stimmt durchaus - ich möchte nach Möglichkeit noch viel mehr Fachgebiete und andere Disziplinen in unsere "Tierreihe" inkludieren - es soll eine poetische Vorlesung für Kinder bleiben, die nichts auslässt. Komplexität zu vermitteln, das ist etwas, was mir wichtig ist. Komplexität ist nicht zuletzt die richtige Antwort auf die ganzen Simplifizierungen (auch in der Politik), zu denen der Mensch neigt. Wer wirklich etwas über die Welt und den Kosmos aussagen will, der muss interdisziplinär denken.
APA: Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung sind auch Themen des Buches. Mit welchen Gefühlen arbeitet man an einem Buch über eine vom Menschen rasch dezimiert werdende Tierwelt für junge Leute, die als Erwachsene wohl in einer ganz anderen Welt leben müssen als wir?
Stavarič: Mir tun künftige Generationen wirklich leid - sie werden vor Herausforderungen stehen, für die sie nichts können. Und ich bin mir sicher, sie werden ihre Ahnen für ihre Borniertheit verfluchen. Es gab zwar schon immer Artensterben im Lauf der Erdgeschichte, doch niemals sind diese von nur einer Spezies verursacht worden. Ich schäme mich, Teil dieses Prozesses zu sein.
APA: "Was macht denn Sinn nach all den Kraken und Quallen?", fragen Sie Ihre Leserinnen und Leser nach Fortsetzungsideen. Das Ganze wird also eine Serie? Gehen die Tiere auch bei Ihnen am Ende an Land? Kommt nach Brehms nun Stavaric' Tierleben?
Stavarič: Tatsächlich habe ich erst dieser Tage Post bekommen, wo sich ein zehnjähriges Kind handgeschrieben ein Buch über Quallen wünscht. Weil diese bei ihnen zu Hause an der Ostsee oft an den Strand gespült werden. Und man wenig über sie weiß. Ich möchte hier also gerne weitermachen - und nach Möglichkeit noch viele Tierarten vorstellen. Ich will Kinderbücher schreiben, die ich selbst gerne als Kind gelesen hätte. Und die Kinder und Erwachsene gemeinsam begeistert lesen und sammeln können. Und ich hoffe natürlich, dass der Leykam Verlag diesen Weg noch lange mitgeht. Band 3, so viel kann ich schon verraten, ist jedenfalls fix - wir bleiben allerdings noch im Wasser.
(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Michèle Ganser, Michael Stavarič: "Faszination Qualle. Geheimnisvolle Schönheiten", Leykam Verlag, 144 Seiten, 26,50 Euro)
Zusammenfassung
- Für sein erstes Sachbuch "Faszination Krake" wurde der Autor Michael Stavarič bei Wissenschafts- und Kinderbüchern gleichermaßen ausgezeichnet.
- Nun widmet er sich der geheimnisvollen Welt der Quallen - noch informativer, noch interaktiver, noch fantasievoller und noch weiter ausgreifend.
- "Komplexität zu vermitteln ist mir wichtig", sagt der Autor und verrät: Die poetische Wissensreise wird weitergehen.