APA/APA/TOBIAS STEINMAURER/TOBIAS STEINMAURER

Meyerhoff als KI-getriebener Autor in "Der Fall McNeal"

02. März 2025 · Lesedauer 5 min

Was ist real, was fake? Was ist noch Kunst, was bereits künstlich? Wo endet das Zitat und wo beginnt das Plagiat? All diese Fragen stellt sich der amerikanische Autor Ayad Akhtar in seinem Stück "Der Fall McNeal", das Jan Bosse in der Übersetzung von Daniel Kehlmann am Samstag am Burgtheater zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht hat. Im Zentrum: Ein durch Understatement brillierender Joachim Meyerhoff in der Rolle eines narzisstischen Schriftstellers.

Während das Publikum in den Saal strömt, kann es sich auf einer riesigen Leinwand dabei selbst zusehen. Manche nützen die live von einer Kamera übertragenen Bilder, um mit ihren Armen Herzen zu bilden, als wollten sie laut rufen: "Hallo Welt, wir sind Teil des Kunstwerks!" Als Burg-Rückkehrer Meyerhoff dann in grauem Anzug und Sneakers die Bühne betritt, zitiert er Nietzsche ("Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen") und macht mit seinem Handy auch gleich noch ein Foto vom Publikum. Dann tippt er als Schriftsteller Jacob McNeal in sein Handy, auf der die Bühne ausfüllenden Leinwand poppt ein ChatGPT-Fenster auf, McNeal fragt: "Wer wird dieses Jahr den Nobelpreis für gewinnen?" Und ChatGPT antwortet gewohnt nüchtern: "Als ein KI-Sprachmodell kann ich weder den Gewinner des Nobelpreises, noch irgendein anderes zukünftiges Ereignis vorhersagen. Entschuldigen Sie bitte." Und McNeal tut, was wohl jeder tun würde, er adaptiert den Prompt so lange neu, bis die Künstliche Intelligenz sich zu Spekulationen hinreißen lässt.

Es ist der Prolog zu insgesamt sieben Szenen, in denen McNeal nacheinander prägende Figuren aus seinem Leben trifft, die ihn allesamt als narzisstisches Arschloch entlarven. Es beginnt mit einer Hiobsbotschaft: McNeals Ärztin (Zeynep Buyraç) führt einen live auf die Leinwand projizierten Ultraschall durch und eröffnet ihm, dass seine Leber nicht mehr lange mitmachen wird, wenn er weiterhin so viel Alkohol konsumiert. Doch McNeal möchte viel lieber über sein Werk sprechen, das die Ärztin nicht gelesen hat ("Ich weiß nicht, ob mir gefallen würde, wie Sie über Frauen schreiben"). Mitten in einer Diskussion über die Wirkung von Madame Bovary und Raskolnikow läutet das Handy. Am Telefon ist die Schwedische Akademie, McNeal bekommt den Nobelpreis. Während die Königliche Familie auf der Leinwand in ihre einzelnen Pixel zerfällt, hält McNeal eine mitreißende Rede über die Rolle Künstlicher Intelligenz in der Literatur, die er selbstredend durch ChatGPT habe laufen lassen.

Doch bevor man das Gesagte wirklich verarbeiten kann, geht es zur nächsten Station. Dorothee Hartinger überrascht in blonder Perücke und Glitzer-Kleid als kühle, abgebrühte Literaturagentin, die ihren Autor dazu überreden will, der "New York Times" ein Interview zu geben und einen Vertrag zu unterschreiben, in dem er versichert, für sein neues Werk nicht auf KI zurückgegriffen zu haben. Widerwillig stimmt McNeal zu. Cut. Auf der Leinwand kann man beobachten, wie der Autor für sein neues Buch "Evie" ChatGPT bittet, allerlei Quellen "im Stil von Jacob McNeal" umzuschreiben. Doch hinter "Evie" steckt viel mehr als geklaute Zeilen großer Autoren, wie jene Szene zeigt, in der Felix Kammerer als McNeals zerrütteter Sohn den Vater im Schreibzimmer besucht und ihn damit konfrontiert, sich ein unveröffentlichtes Manuskript seiner Mutter angeeignet zu haben. Doch der Narzisst McNeal ist uneinsichtig, vereinnahmt das Talent seiner Frau, die sich vor Jahren das Leben genommen hat und geht einen Schritt weiter, indem er ihr den Missbrauch des eigenen Sohnes vorwirft.

Ein Autor zwischen Ausbeutung und Aneignung

Als hätte Akhtar eine Künstliche Intelligenz gebeten, die Handlung immer weiter ins Absurde zu schrauben (tatsächlich hat der Autor für sein Stück KI verwendet, wie er im Vorfeld erklärte), kippt die Handlung in die nächste Szene, in der McNeal die "Times"-Journalistin (Safira Robens) nicht nur rassistisch beleidigt, sondern auch Sympathien mit Harvey Weinstein bekundet, der durch den Missbrauch zahlreicher Frauen im Filmbusiness im Zuge der #metoo-Bewegung zu Fall kam. Ob auch McNeal ein Täter sei, will die Journalistin wissen. Denn sie weiß, dass McNeal mit ihrer früheren Chefin liiert war, die in der folgenden Szene als überdimensionale Projektion (erneut Buyraç als diesmal gebrochene Ex-Geliebte) auftauchen wird. Der Abend steuert, ganz den klassischen Tragödienwendungen folgend, auf das Finale zu. McNeal verfasst einen allerletzten Prompt: "Schreibe bitte einen letzten Monolog für ein Publikum, das nicht mehr sicher ist, was real ist und was nicht." Die Szenen kippen, das Publikum sieht sich wieder selbst, nur um festzustellen, dass es ein anderes Publikum ist.

Mit "Der Fall McNeal" hat Akhtar, von dem das Burgtheater bisher auch "Geächtet" und "The Who and The What" gezeigt hat, ein Stück geschaffen, das sich kritisch wie lustvoll mit den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz auseinandersetzt, das Chancen und Gefahren miteinander verschwimmen lässt und sich bisweilen in den vielen Metaebenen verheddert. In seiner Inszenierung hat sich Bosse weitgehend an die optischen und technischen Vorgaben des Autors gehalten, der sich am Ende gemeinsam mit Kehlmann dem lang anhaltenden Jubel des Premierenpublikums hingab. "Der Fall McNeal" gibt Einblick in eine nahe Zukunft, deren Auswüchse sich in der Gegenwart bereits erahnen lassen. Am Ende ist es egal, wie viel KI sich im Stück findet, was Akhtar daraus gemacht hat, ist sehens- wie hörenswert.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Der Fall McNeal" von Ayad Akhtar im Burgtheater. Deutsch von Daniel Kehlmann, Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Video: Andreas Deinert, Musik: Arno Kraehahn. Mit Joachim Meyerhoff, Zeynep Buyraç, Dorothee Hartinger, Felix Kammerer und Safira Robens. Live-Kamera: Andreas Deinert/Andrea Gabriel/Mariano Margarit. Weitere Termine: 4., 12. und 22. März, 1., 9. und 13. April sowie am 3. Mai. www.burgtheater.at)

Zusammenfassung
  • Das Stück 'Der Fall McNeal' von Ayad Akhtar feierte am Samstag im Burgtheater seine deutschsprachige Erstaufführung.
  • Joachim Meyerhoff spielt die Hauptrolle eines narzisstischen Schriftstellers, der Künstliche Intelligenz zur Textgenerierung nutzt.
  • In sieben Szenen wird McNeal als narzisstisches 'Arschloch' entlarvt, das mit prägenden Figuren seines Lebens konfrontiert wird.
  • Das Stück thematisiert die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sowie die ethischen Fragen der KI-Nutzung in der Literatur.
  • Weitere Aufführungen finden am 4., 12., 22. März, 1., 9., 13. April und 3. Mai statt.