Mayröcker und Zweig sorgten für Leben im alten Lehár-Theater
Dass die Generalsanierung des 1827 eröffneten Theaters erst 2025 in Angriff genommen wird, ist einer der Wermutstropfen des Kulturhauptstadtprogramms. Immerhin bekam man bei einer von Dorit Ehlers, Thomas Beck und Arthur Zgubic konzipierten begehbaren Installation einen guten Eindruck davon, um welch' ambitioniertes Bauvorhaben es sich dabei handelt. Der frei wählbare Rundgang, der von Foyer oder Bühne in die labyrinthischen Eingeweide des Hauses führte, ließ einen mehr schaudern als staunen. Statt shabby chic begegnete man einer Fülle von lieblosen Zu- und Einbauten der vergangenen Jahrzehnte, die mit behutsamen temporären Eingriffen zu literarischem Leben erweckt wurden.
Während vor dem Theater Animateure an zwei Spieltischen Passanten und Flaneure in Form eines Gesellschaftsspieles mit Mayröcker-Texten bekanntmachten, begegnete man im Haus Zitaten und Skizzen, konnte Lesungen live oder vom Tonband lauschen, eine Modelleisenbahnanlage entdecken und durch ein langes Fernrohr einen Animationsfilm betrachten. Es war eine unkonventionelle Begegnung mit Literatur und wohl zugleich ein nicht allzu schwerer Abschied von einem devastierten Gebäude, das nach seiner Sanierung wieder "Ort der Erinnerungskultur, der Begegnung, der Auseinandersetzung und der Reflexion" sein soll, wie es Bürgermeisterin Ines Schiller (SPÖ) verspricht.
Afrika ist einer der Schwerpunkte des fünftägigen Theaterfestivals, und so kam Samstagnachmittag auch das Tanzprojekt "De(con)fining" von Kathrine Nedrejord und Salimata Togora - eine Koproduktion von Bodø 2024 (Norwegen) und dem Festival sur le Niger (Mali) - zur Uraufführung. Die dahinterliegende Theorie des Kulturaustauschs erwies sich jedoch als interessanter als die 45-minütige, obendrein durch den Ausfall einer Tänzerin gehandicapte Aufführung.
Die Erwartungen einlösen konnte dagegen der programmierte Festival-Höhepunkt "Europe Speech: Zweig" am Abend, der sich als in jeder Hinsicht kulturhauptstadtwürdig erwies - in theoretischer Hinsicht, weil es anhand einer Mitte der 1930er von Stefan Zweig geschriebenen, aber nie gehaltenen Rede um die "Einigung Europas" ging, und in praktischer Hinsicht, weil gleich sechs Theater aus Turin, Stockholm, Budapest, Antwerpen, Berlin und Hamburg daran beteiligt waren. Alle hatten dieselbe Vorgabe erhalten, nämlich sich in einem maximal 20-minütigen Stück mit höchstens drei Darstellern und minimalem technischen Aufwand mit Zweigs Text auseinanderzusetzen. Was herauskam, könnte vielfältiger nicht sein und summierte sich zu einem knapp dreistündigen abwechslungsreichen Abend.
Es überwogen die freien Interpretationen der gestellten Aufgabe. Micol Jalla vom Teatro Stabile Torino ließ in "Appello all' Europa" drei Kinder im Alter zwischen acht und elf Jahren auf einem schiefen, zusammengebrochenen Bett die politischen Träume und persönlichen Realitäten Zweigs zusammenführen. Die großartigen jungen Darsteller wechselten dabei immer wieder von gestrandeten Migranten-Kindern der Gegenwart zu Zweig, seiner Frau Lotte und der nie geborenen gemeinsamen Tochter.
Gleich drei Frauenmonologe folgten aufeinander. Lisaboa Houbrechts vom Toneelhuis Antwerpen brachte postkoloniale Aspekte aus belgischer Sicht ein. Zsófia Toth vom Kantona József Szinház Budapest setzte, begleitet von Live-Sounddesign, ihre eigene Biografie in einem bewusst kindlichen Englisch in Bezug zum Europa-Gedanken. Pauline Renevier vom Thalia Theater Hamburg brillierte mit der rückwärtslaufenden Biografie einer 32-jährigen Frau, bei der Kriege, Krisen und Klimawandel gelöst werden - indem einfach alles auf Anfang gesetzt wird.
Den Abend beendeten zwei Doppel. Das Dramaten Stockholm schickte Elektra und Chrysothemis in den Ring, um die europäische Kultur auf ihre Anfänge zurückzuführen. Ganz am Ende zeigte Tjana Thiessenhusen vom Berliner Ensemble, was herauskommt, wenn man Menschen auf der Straße über ihre eigenen Gedanken zur Situation Europas befragt. Der Lagebericht, den sie Jannik Mühlenweg und Valentin Kleinschmidt auf der Bühne geben lässt, ist so differenziert wie der ganze Abend. Grundtenor: hoffnungslos, aber nicht ernst.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Europäisches Theaterfestival, Noch heute, Sonntag, Lehár-Theater Bad Ischl, Kreuzplatz 16, 4820 Bad Ischl, Tickets unter https://ticketing.salzkammergut.at/de/buyingflow/tickets/10593/12570 )
Zusammenfassung
- Das Europäische Theaterfestival im Lehár-Theater in Bad Ischl stellte Friederike Mayröcker und Stefan Zweig in den Mittelpunkt, während die geplante Generalsanierung des 1827 eröffneten Theaters erst 2025 beginnt.
- Ein Höhepunkt des Festivals war 'Europe Speech: Zweig', an dem sechs Theater aus ganz Europa teilnahmen und in kurzen Stücken von maximal 20 Minuten Zweigs unvollendete Rede zur Einigung Europas interpretierten.
- Das Tanzprojekt 'De(con)fining' von Kathrine Nedrejord und Salimata Togora wurde uraufgeführt, litt jedoch unter dem Ausfall einer Tänzerin und wurde insgesamt als weniger überzeugend bewertet.