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Margit Schreiner schreibt "über das Private"

Erinnerungen altern nicht. Sie wandeln sich aber ebenso wie die, die sich erinnert. Margit Schreiner blickt in ihrem neuen Roman "Vater. Mutter. Kind. Kriegserklärungen - Über das Private" aus der Sicht eines gealterten Ichs in die Zeit als Siebenjährige zurück und seziert mit trockenem Humor beide Alltagswelten: "Erfinde ich diese Siebenjährige, indem ich über sie schreibe oder hat es sie wirklich gegeben, und wenn ja, war sie vielleicht ganz anders, als ich sie beschreibe?"

"Groß ist die Macht meines Gedächtnisses, gewaltig groß", heißt es im dem Buch vorangestellten Augustinus-Zitat. Das siebente Lebensjahrzehnt werde wie das siebente Lebensjahr weit unterschätzt, stellt die Erzählerin in dem in essayartigem Ton gehaltenen Buch zu Beginn fest. Eine 66-jährige Schriftstellerin, das Ich des Romans, vergleicht ihren Schuleintritt Ende der 1950er-Jahre mit einem Pensionsschock, dem sie als Autorin allerdings entgeht, "weil Rechtsanwälte und Schriftsteller prinzipiell nicht in Pension gehen". Für ihr siebenjähriges Ich, das in einer Vöest-Siedlung aufwächst und mitten in der Wackelzahn-Pubertät steckt, beginnt der "Ernst des Lebens". Der liest sich aber gar nicht ernst, jedenfalls nicht, wenn es um Pinkelwettbewerbe, Brennlockenfrisuren, eine Feuersbrunst in der Puppenküche und eine Dackel-Entführung geht.

Die aufmüpfige Siebenjährige erklärt der Welt angesichts des ungeliebten Kartoffelsalats und der Aussicht auf ein Leben ohne Stollwerck innerlich den Krieg. Fortan widmet sich das Mädchen der Aufklärung des Feindes, also der Erwachsenenwelt, die stets darum bemüht ist, den Schein zu wahren. Kinder werden gemaßregelt und unterschätzt, die Erwachsenen haben zu tun und betäuben sich an Feiertagen mit "Hammer-Bowle". Es ist eine sehr katholische Zeit, die voller Dinge ist, über die man nicht spricht, allen voran nicht über Menstruation, Schwangerschaft, Sex und explodierende Druckkochtöpfe. "Einerseits Verschwendungssucht bei Küchengeräten, andererseits Knausrigkeit bei Gefühlen, besonders Kindern gegenüber", hält die Erzählerin über die "merkwürdige Zeit" fest. Heutzutage dagegen wird alles (mit)geteilt, die Schreiberin berichtet daher auch mit hintergründigem Humor detailliert über Darmvorgänge und körperliche Alterungserscheinungen. Privat, bis es wehtut.

"Eine Siebenjährige ist grundsätzlich im Kriegszustand. Da heißt es raus ins feindliche Leben. Wir über Sechzigjährigen leben sei Jahrzehnten im Frieden. (...) Im Frieden hat man die Wahl. Im Krieg nie", vergleicht die Schriftstellerin nüchtern die Altersstufen. Im Alter baut man Vogelhäuser, besucht Feldenkrais-Kurse und hofft, dass der Mann nicht vor einem stirbt - weil man dann nicht wüsste, wie die Heizung einzuschalten ist. Keine Frage: Schreiners Text kommt ohne Weichspüler aus, vielmehr schrubbt sie einen mit ihrer Selbstironie und scharfer Beobachtungsgabe ordentlich ab. Ihre Bekenntnisse lassen einen immer wieder auflachen.

Die 1953 geborene Linzerin schreibt nicht zum ersten Mal über sich selbst und ist dabei unerbittlich. Das Autobiografische tröpfelt durch den Melitta-Filter der Erinnerung und wird dabei fiktionalisiert. Erinnerungen erscheinen als eine Parallelwelt, und die existiert nur in ihrem Kopf: "Seltsam wie es ihm gelingt, die vielen Ichs in dieses eine, mein Leben zu gießen", wundert sich ihr Ich. Erinnerungen sind nicht steuerbar, so die Erkenntnis der Erzählerin, die sich mit dem kleinen Mädchen auf den alten Fotos nicht mehr in Verbindung bringen kann. Ihre Kinderwelt endet im Sommer 1963. "Es war eine schöne Zeit", so der Schlusssatz.

(S E R V I C E - Margit Schreiner: "Vater. Mutter. Kind. Kriegserklärungen - Über das Private". Schöffling & Co., 224 Seiten, 22,70 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Erinnerungen altern nicht. Sie wandeln sich aber ebenso wie die, die sich erinnert.
  • Die aufmüpfige Siebenjährige erklärt der Welt angesichts des ungeliebten Kartoffelsalats und der Aussicht auf ein Leben ohne Stollwerck innerlich den Krieg.
  • "Einerseits Verschwendungssucht bei Küchengeräten, andererseits Knausrigkeit bei Gefühlen, besonders Kindern gegenüber", hält die Erzählerin über die "merkwürdige Zeit" fest.
  • Ihre Kinderwelt endet im Sommer 1963.