Leopold Museum lädt zur Entdeckung von Gabriele Münter
"Es ist höchst an der Zeit, dass wir Münter nach Österreich bringen", betonte Direktor Hans-Peter Wipplinger beim Presserundgang am Donnerstag. Zwar erlebe ihr Werk zurzeit einen regelrechten Boom, wie Ausstellungen von Köln über Bern bis Paris bezeugen, aber hierzulande sei sie in dieser Breite noch nicht gewürdigt worden. Rund 130 Exponate sind es, wobei ein Großteil davon aus dem Münchner Lenbachhaus stammt, dem Münter 1957 eine großzügige Schenkung gemacht hat. Da sich darunter auch etliche Arbeiten von Kandinsky sowie aus dem Umfeld des Blauen Reiters befanden, wurde das Museum "quasi über Nacht" zu einem wesentlichen Haus für die Münchner Moderne, betonte Kurator Ivan Ristić.
Er hat sich für die Retrospektive ganz am Leben Münters orientiert: "Es heißt immer, man kann bei ihr keine chronologische Reihung machen, sondern nur nach Themen. Ich habe es aber gewagt, eine Lebensgeschichte zu skizzieren." Den Beginn machte dabei ein USA-Aufenthalt der jungen Frau, die als Kind von Deutsch-Amerikanern 1877 zur Welt gekommen ist. Mit Anfang 20 reiste sie zwei Jahre lang durch das Land und fertigte unzählige Fotografien an. Schon hier zeigte sich eine "herbe Sachlichkeit und Einfachheit", die sich auch im späteren Werk ausdrücken sollte. "In den Fotografien erkennt man die spätere Malerin", so Ristić.
Ein erster Wendepunkt war dann die Bekanntschaft mit Kandinsky, bei dem sie Anfang des 20. Jahrhunderts in München Kurse belegte. Aus der Schülerin-Lehrer-Beziehung wurde schließlich mehr, trotz der Ehe Kandinskys. Um dem gesellschaftlichen Unmut zu entgehen, unternahmen die beiden etliche Reisen, auf denen etliche Arbeiten entstehen sollten. Aber erst ein sommerlicher Aufenthalt im oberbayerischen Murnau brachte letztlich den Durchbruch im künstlerischen Schaffen Münters, die von spätimpressionistischen Ansätzen zu einer klaren Struktur wechselte. Nicht mehr Spachtel, sondern der Pinsel war nun gefragt, und es manifestierten sich laut Ristić ihre zwei markantesten Charakteristika: "Starke Konturen und bunte Farben." In jener Zeit entstand mit dem "Bildnis Marianne von Werefkin" auch eine ihrer bekanntesten Arbeiten.
Zurück in München kam es zur Gründung der Neuen Künstlervereinigung München, mit der nicht zuletzt die internationale Vernetzung forciert wurde, bevor eine Gruppe um Kandinsky - und damit auch Münter - den Bruch vollzog. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen auf beiden Seiten, was schließlich zur Entstehung des Blauen Reiters führte. Hier war Münter nicht nur als Künstlerin von essenzieller Bedeutung, sondern auch als Chronisten der künstlerischen Strömung jener Zeit, hat sie doch beispielsweise die erste Ausstellung der neuen Gruppe in vielen Fotos festgehalten. Ihre variantenreiche Herangehensweise drückte sich in Folgejahren auch durch Abstraktionen, technische Feinheiten wie die Hinterglasmalerei oder für ihre Nichte angefertigte Spielzeugbilder aus.
Mit dem Ersten Weltkrieg kam es dann zur zweifachen Zäsur: Nicht nur verließ Münter ihre deutsche Heimat (zunächst ging sie in die Schweiz, um später für mehrere Jahre in Skandinavien zu leben und arbeiten), auch die Trennung von Kandinsky machte ihr zu schaffen. Jahrelang sollte sich letztlich der Streit um etliche Arbeiten aus der Zeit des Blauen Reiters ziehen, die ihr Kandinsky schließlich überließ - für Münter nicht zuletzt eine Wiedergutmachung für die emotionale Verletzung. Wieder in Deutschland, wandte sich die Künstlerin nicht nur der Neuen Sachlichkeit zu, mit dem Kunsthistoriker Johannes Eichner trat auch ein neuer Mann in ihr Leben, der aus heutiger Sicht wie ihr Manager fungierte. Die noch während der Beziehung mit Kandinsky erworbene Villa in Murnau sollte zum Lebensmittelpunkt und schließlich Alterssitz werden.
Ein schwieriges Kapitel ist schließlich die Zeit des Zweiten Weltkriegs, als viele Weggefährten Münters diffamiert und deren Arbeiten als "entartet" gebrandmarkt wurden, sie selbst aber von diesem Urteil verschont blieb. Wohl auch deshalb, weil keines ihrer Werke zum damaligen Zeitpunkt in einem öffentlichen Museum zu finden war, wie Ristić anmerkte. Ihr Standpunkt damals wird mit "zwischen Anpassung und Widerstand" beschrieben, war sie 1933 doch in die Reichskammer der bildenden Künste eingetreten, um weiter ausstellen zu können. Ihre umfangreiche Sammlung versteckte sie gemeinsam mit Eichner aber, wodurch das Haus in Murnau zum "sicheren Hafen der Moderne" wurde. Es war ein bewegtes Leben, das sich zwar nicht zwingend in den Sujets, aber doch den Ausdrucksweisen Münters ausdrückt.
(S E R V I C E - Ausstellung "Gabriele Münter. Retrospektive" von 20. Oktober bis 18. Februar 2024 im Leopold Museum, Museumsquartier, tägl. außer Dienstag von 10-18 Uhr; Katalog zur Ausstellung, hrsg. von Ivan Ristić und Hans-Peter Wipplinger, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 256 Seiten, 39,90 Euro, ISBN: 978-3-7533-0414-4; www.leopoldmuseum.org)
Zusammenfassung
- Expressionisten unter sich: Neben der seit vergangener Woche laufenden Retrospektive zu Max Oppenheimer, lädt das Wiener Leopold Museum nun auch zur intensiven Auseinandersetzung mit Gabriele Münter.
- Jahrelang sollte sich letztlich der Streit um etliche Arbeiten aus der Zeit des Blauen Reiters ziehen, die ihr Kandinsky schließlich überließ - für Münter nicht zuletzt eine Wiedergutmachung für die emotionale Verletzung.