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John Nivens Memoiren "wie ein erzwungenes Geständnis"

John Niven, Autor von Bestsellern wie "Kill Your Friends", hat eine Autobiografie verfasst, die sich "wie ein erzwungenes Geständnis" anfühle. Das hält der Schotte gleich zu Beginn fest. Der 56-Jährige blickt nicht nur auf sein eigenes Leben zurück, sondern auch auf das seines Bruders Gary, der 2010 Suizid beging, und auf die Fehler und Ohmacht einer Familie: "O Brother" ist ein spannendes, berührendes, aufrüttelndes Memoire, schonungslos wie einfühlsam zu Papier gebracht.

"Ich war der 'gute Junge'. Der Liebling meiner Eltern", schreibt Niven. "Intelligent. Wissbegierig. Gary war derjenige, der wegen Lappalien einen Streit vom Zaun brach oder - wie man in Schottland sagt - 'der Streit sogar anfängt, wenn er allein im Haus ist'." Für John gibt es Lob, für den Bruder setzt es Prügel vom Vater. Während John später ein erfolgreiches Leben in London führt, bleibt Gary in der Provinz - bankrott, in kriminelle Geschäfte verwickelt und von Drogenproblemen geplagt.

Wie konnte es so kommen? Niven schont bei der Spurensuche niemanden, sich selbst schon gar nicht. Messerscharf analysiert er den Weg zum "Tschernobyl der Seele", wie der den Freitod bezeichnet. Da ist Garys "Fuck-you-Attitüde", die er "bereits mit zwölf" verinnerlicht hat, während Bücherwurm John spät die Liebe zum Punk entdeckt. Die Streitigkeiten mit dem Vater, die in Handgreiflichkeiten enden: "Kinder zu schlagen, macht sie zu zornigen, reizbaren Erwachsenen mit psychologischen und emotionalen Problemen", analysiert Niven, fügt zugleich an: "Aber wir sprechen hier von den frühen Achtzigern in Schottland. Alle Kinder werden von ihren Eltern geschlagen."

John macht Karriere bei einer Plattenfirma (auch wenn er "Coldplay" für nicht vertragswürdig hält und ablehnt), Partys und Drogenexzesse gehören zu seinem Alltag. Gary bleibt zu Hause, handelt mit Drogen, landet im Gefängnis. "Meine Mutter kommt kaum noch aus dem Haus. Sie kann den Nachbarn nicht mehr in die Augen sehen", so Niven. Als der Vater im Sterben liegt, verspricht die Mutter, sich um die Kinder zu kümmern. Sie ist für Gary da, überfordert mit der Situation. John wird Erfolgsautor, kassiert Vorschuss, während sein Bruder die Sparkasse der Mutter plündert.

"O Brother" ist zugleich ehrliche, hochemotionale Lebensbeichte und Liebeserklärung an den Bruder (und an die Mutter). Niven kommt ohne Schwarz-Weiß-Malerei aus, schreibt mal nüchtern, mal melancholisch, stets brutal ehrlich, nie depressiv - "erschütternd wie farbenfroh", bringt es Bestsellerkollegin Jojo Moyes auf den Punkt. Aufklärende Fakten treffen auf Anekdoten, über die man manchmal auch herzlich lachen darf. "O Brother" dient als fesselnde Lektüre ebenso wie als Aufklärungsbuch und Tabubrecher zum Thema Suizid.

(Von Wolfgang Hauptmann/APA)

(S E R V I C E - John Niven: "O Brother", btb Verlag, 400 Seiten, 25,50 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • John Niven veröffentlicht mit 'O Brother' eine Autobiografie, die sein Leben und das seines 2010 durch Suizid verstorbenen Bruders Gary beleuchtet.
  • Der Autor schildert die unterschiedlichen Lebenswege: Während er in London Karriere macht, verstrickt sich Gary in der Provinz in Kriminalität und Drogenprobleme.
  • Nivens Werk ist eine emotionale Auseinandersetzung mit familiärer Gewalt und Suizid, ohne Schwarz-Weiß-Malerei, und dient als Tabubrecher.