APA/APA/BURGTHEATER/MATTHIAS HORN

Impfdebatte im Burgtheater: Beifall für "Die Nebenwirkungen"

Lachen kann befreiend sein. Also waren die lautesten Lacher am Samstag im Burgtheater zu hören, als der Chat in einem via Internet abgehaltenen "Community offenen Dialogforum" einer Schule aus dem Ruder lief oder jene Argumente für und gegen Impfpflicht ausgetauscht wurden, die man nicht mehr hören kann, seit sie die Gesellschaft beinahe gesprengt haben. Was auf der Bühne zu sehen war, kam einem allzu bekannt vor. Doch das Stück "Die Nebenwirkungen" stammt aus dem Jahr 2018.

Geschrieben hat es Jonathan Spector bereits 2018, als das Wort Covid im allgemeinen Bewusstsein noch gar nicht existierte. Daher geht es in "Die Nebenwirkungen" um Mumps und nicht um Corona, doch die Mechanismen der gesellschaftlichen Diskussion, die der US-Autor anhand des Elternbeirats einer fortschrittlichen kalifornischen Privatschule durchspielt, gleichen einander aufs Haar. Vor allem geht es aber um mehr als Impfgegner und Weltanschauung, sondern um die Frage von demokratischen Entscheidungen und die Grenzen der Liberalität. Die Eureka Schule möchte, dass sich alle willkommen und wahrgenommen fühlen - aber meinen sie damit eigentlich nicht nur jene, die sich einem bestimmten Wertekanon verpflichtet fühlen?

Am Ende der zweistündigen deutschsprachigen Erstaufführung verbeugte sich Spector im Kreise des Ensembles und unter dem herzlichen Beifall der Premierenbesucher und wirkte ein wenig ungläubig. Nicht nur, dass sein Stück, geschrieben für das 150 Plätze fassende Aurora Theater im kalifornischen Berkeley, in der Riesenkiste Burgtheater mit ihren über 1.000 Plätzen funktioniert, sondern auch, dass das österreichische Publikum fast in jeder Sekunde an seiner Geschichte dranbleibt, war keineswegs ausgemachte Sache.

Das Kammerspiel für fünf Personen hätte ohne Zweifel im Akademietheater den geeigneteren Aufführungsort gehabt. Doch Bühnenbildnerin Marie Roth nützt den Raum geschickt und beginnt den Abend mit einem großen Sesselkreis. Die rund 60 Sitzgelegenheiten beiseite zu räumen gibt dem Ensemble gleich einmal die Möglichkeit, seine Figuren einzuführen und zu charakterisieren. Niemand, der sich diese Chance entgehen ließ. Im virtuosen Spiel der Burgschauspieler wird klar, was die Figuren in ihrem Text ständig zu verschleiern suchen: Community hin oder her - letztlich ist sich jeder selbst der oder die Nächste.

So geht es trotz des aktuellen Themas an diesem Abend auch stark um Selbstdarstellung. Und die beherrschen sie alle: Markus Hering zeichnet seinen Schulleiter Don als Karikatur eines Stadtindianers, alternativ vom Ohrhänger bis zur Sandale; Regina Fritsch ist als Suzanne eine Schlange, die hinter ihrer liebenswürdigen Fassade zwei Giftzähne versteckt hat; Zeynep Buyraç ist Carina, die "Neue" im Elterngremium, und versucht, Normalität in einen abgehobenen Diskurs einzubringen; Lilith Häßle und Maximilian Pulst versuchen als May und Eli ihre Affäre mit ihren privaten und öffentlichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen und geraten dabei ziemlich aus der Fassung.

Regisseur Jan Philipp Gloger arbeitet gekonnt mit Stimmungswechseln und den Emotionen der Zuschauer. Er gibt dem Affen Zucker, um Lockerheit zu erzeugen, und scheut sich auch nicht, Intimität und Pathos aufkommen zu lassen. Exemplarisch wird dies an der Schulkonferenz via Zoom, die auf die riesige, sonst als Schultafel genutzte Bühnenrückwand projiziert wird, und die in der zunehmenden verbalen Eskalation des mitlaufenden Chats zu Lachstürmen unter den Zuschauern sorgt, während das um sorgsame, inklusive Sprache besorgtes Leitungsgremium immer schockierter reagiert, und an den Auseinandersetzungen zwischen Suzanne und Carina, die ans Eingemachte gehen.

Am Ende hat man auch das Schuljahr 2018/19 überstanden und ein neues Schuljahr beginnt. Impfgegnerin Suzanne, ohne die es diese Schule wohl nicht gäbe, ist nicht mehr dabei, und auch der Sesselkreis, der nun neu aufgestellt wird, ist um rund ein Drittel kleiner geworden. Ein deutliches, starkes Schlussbild: Aus Konsens wurde Aus- und Abgrenzung. Keine angenehme Erkenntnis - aber wohl eine realistische.

(S E R V I C E - "Die Nebenwirkungen" von Jonathan Spector, aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert, Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Marie Roth, Kostüme: Justina Klimczyk, Musik: Kostia Rapoport. Mit: Zeynep Buyraç, Regina Fritsch, Lilith Häßle, Markus Hering, Maximilian Pulst, Burgtheater. Nächste Vorstellungen am 5., 7., 20. und 31. Oktober. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Was auf der Bühne zu sehen war, kam einem allzu bekannt vor.
  • Doch das Stück "Die Nebenwirkungen" stammt aus dem Jahr 2018.