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Ilija Trojanow auf Zeitreise: "Tausend und ein Morgen"

"Die Vergangenheit ist unvorhersehbar." Dieses "zukünftige Sprichwort" stellt Ilija Trojanow seinem Roman "Tausend und ein Morgen" voran. Und schon ist es kompliziert. Der in Sofia geborene und in Nairobi aufgewachsene literarische Tausendsassa, der seine Homebase seit 2008 in Wien-Alsergrund aufgeschlagen hat, orientiert sich nicht nur an "Tausendundeine Nacht", sondern auch an der Vision vieler Science-Fiction-Autoren von H. G. Wells aufwärts: Zeitreisen sind möglich.

Trojanows junge Heldin Cya ist Chronautin, Zeitreisende mit Auftrag: "Als Kind trug sie den Spitznamen 'Was-Ist-Das?'; als Erwachsene sucht sie wie alle Chronautin (sic!) im Damalsdort den Punkt, an dem kleine Veränderungen zu großen Verbesserungen führen können." Sie reist also ebenso wie Kolleginnen und Kollegen zurück, um die Geschichte mit kleinen Eingriffen zum Positiven zu verändern. Das gelingt freilich nicht immer. Für das Scheitern der hehren Absicht kann es viele Gründe geben: Die blutrünstige Menge kann etwa so dicht stehen, dass man nicht rechtzeitig zur Hinrichtungsstätte vordringt, um einen grausamen Tod zu verhindern, oder die Tarnidentität kann trotz der unentbehrlichen Unterstützung einer künstlichen Intelligenz namens COG beinahe aufgedeckt werden. Das wahrscheinlichste ist aber: Die einmal angestoßenen Dinge nehmen nicht den geplanten Verlauf.

Man hat den Verdacht: So ist es dem Autor auch selbst gegangen. Mit Begeisterung taucht er ein in lebenspralle und farbenfrohe Abenteuer und lässt Cya zunächst unter Piraten geraten. Dabei will sie nicht nur den Lauf der Weltgeschichte, zumindest aber einzelne Schicksale, insbesondere von Frauen, verbessern. Die gewalttätige Austragung von Konflikten ist ihr jedoch fremd, ihre Anpassungsfähigkeit ist gefragt. Bald wirkt "Tausend und ein Morgen" wie eine Mischung aus Abenteuerroman und Wimmelbild. Am meisten hat man davon, wenn man sich von den Zeiten- und Gezeitenströmen treiben lässt wie durch ein Epos von Salman Rushdie. Die Scharniere zwischen der erzählerischen Ausgangsbasis in der Zukunft und den einzelnen Raumzeitreisen sind unscharf und lassen die Konturen dessen, was eigentlich vom Autor und seinen Protagonisten beabsichtigt wird, verwischen.

Nach einem üppigen, in der Karibik des 18. Jahrhunderts spielenden Kapitel, in dem Sklaven und Piraten die Chance zum großen gemeinsamen Aufstand verspielen, gelangt man in eine von einer großen Flut heimgesuchte indische Großstadt, in der Cya an der Seite eines Polizeiinspektors einen Kriminalfall aufzuklären versucht, der fanatisierte Hindus und Moslems gegeneinander prallen läss. Danach geht es in die bosnische Hauptstadt Sarajevo zur Zeit der Olympischen Winterspiele 1984, wo Trojanow die Utopie des friedlichen Zusammenlebens der Völker mit einer Agentensatire kreuzt und die Chronautin plötzlich in ein "Raum-Zeit-Lag von zehn Jahren" gerät, wo nicht mehr am Biathlon-Schießstand, sondern von Scharfschützen-Positionen auf den umliegenden Hügeln geschossen wird.

Kurz vor der endgültigen Erschöpfung des Lesers endet das Ganze in der Russischen Revolution und mit der Erkenntnis "Glück ist ein Algorithmus mit zu vielen Unbekannten." Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Und das ist wohl auch gut so. Mit der Zukunft haben wir nämlich mehr als genug zu tun.

(S E R V I C E - Ilija Trojanow: "Tausend und ein Morgen", S. Fischer Verlag, 528 Seiten, 30,90 Euro, Lesungen heute, 26.9., 19 Uhr, Wagner'sche Buchhandlung Innsbruck; 27.9., 19.30 Uhr, Literaturhaus Graz)

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  • "Die Vergangenheit ist unvorhersehbar." Dieses "zukünftige Sprichwort" stellt Ilija Trojanow seinem Roman "Tausend und ein Morgen" voran. Und schon ist es kompliziert. Der in Sofia geborene und in Nairobi aufgewachsene literarische Tausendsassa, der seine Homebase seit 2008 in Wien-Alsergrund aufgeschlagen hat, orientiert sich nicht nur an "Tausendundeine Nacht", sondern auch an der Vision vieler Science-Fiction-Autoren von H. G. Wells aufwärts: Zeitreisen sind möglich.