APA/APA/Nitsch Museum Mistelbach/Renate Heger

Hermann Nitsch will "mit dem Zufall arbeiten"

Hermann Nitsch gehört nicht nur in den Museen des Landes zu den populärsten Künstlern - der mittlerweile 83-Jährige ist auch seit langem immer wieder als Bühnenkünstler zu erleben. Der mutmaßliche Höhepunkt dieses Aspekt seines Oeuvres war die Malaktion, die Nitsch im Sommer bei den Bayreuther Festspielen zu Wagners "Walküre" gestaltete. Die dabei entstandenen Bilder sind nun ab 10. Oktober im Nitsch Museum Mistelbach in einer neuen Installation zu erleben.

Aus diesem Anlass sprach Hermann Nitsch mit der APA über die Beherrschung des Zufalls, seine Ablehnung des Regietheaters, die Frage, warum er kein Wagnerianer ist und weshalb das 6-Tage-Spiel 2022 sein letztes sein wird.

APA: Sie waren als Zuschauer schon des öfteren in Bayreuth gewesen - aber noch nie auf der Bühne. Wie war es, nun als Regisseur am Grünen Hügel zu sein?

Nitsch: Ich war ja nicht auf der Bühne, sondern in meinem Regieversteck. (lacht) Ich wollte ja eigentlich immer den "Parsifal" machen, aber da hat man mir andere Herren vorgezogen. Und obwohl ich mit Christoph Schlingensief befreundet war, habe ich mir das anders vorgestellt als er. Ich hatte immer ein schiefes Verhältnis zu allen Regiebemühungen. Die Karajan-Regien und das andere fade Zeugs haben wir jungen Leute damals verabscheut. Dann hat man eigentlich geglaubt, es wird besser, aber es ist noch schlimmer geworden - es kam das Regietheater. Ich darf sagen, dass ich einer der Begründer, der Happening-, Performance- und Aktionskultur bin. Aber: Das habe ich nicht gemeint. Ich habe nicht gemeint, dass Regisseure ihr Mütchen an Shakespeare oder Wagner kühlen und das Theater vollkommen verballhornen. Damit wollte ich nichts zu tun haben.

APA: Wie sehen Sie denn in diesen Fällen Ihre Rolle: Sind Sie in einer dienende Funktion gegenüber dem Komponisten oder herrscht auf der Bühne Gleichberechtigung?

Nitsch: Ich würde mich wie ein Dirigent begreifen, der eine Partitur realisiert. Beim "Tristan" kann man nicht plötzlich jodeln. Aber ich bin überhaupt kein Regisseur. Ich habe nur zufälligerweise gewisse Inszenierungen und Bühnenbilder übernommen. Das wollte ich eigentlich nie machen. Ich möchte mein Orgien Mysterien Theater realisieren. Und das realisiere ich so, wie ich mir das vorstelle. Damit beleidige ich nicht ein bereits geschriebenes Werk.

APA: Überraschend war in Bayreuth, wie sehr Sie mit Ihrer Arbeit auf die Musik eingegangen sind, wie sehr Ihr Werk auf die "Walküre" reagiert hat...

Nitsch: Es sollte ursprünglich eine parallele Aktion sein. Aber schon bei den Proben und der Konzeption ist mir klargeworden, dass Wagners Werk eine gewisse dramatische Dynamik erfordert. So ist das Parallellaufen eher zu einem Ineinanderlaufen geworden. Ich hatte eigentlich vor, meine Sache rücksichtslos durchzuziehen. Ich wollte lediglich auf den Farbenreichtum der Partitur eingehen. Ein dramatisches Konzept hatte ich mir überhaupt nicht ausgedacht.

APA: Wagner hat Sie dann aber gepackt?

Nitsch: Ich würde sagen ja. Und so ist aus einer parallelen Aktion ein Miteinander geworden.

APA: Zugleich gab es am Ende durchaus einige Buhs für Sie, was Sie ja schon lange nicht mehr gewohnt sind...

Nitsch: Ich habe mein ganzes Leben lang Buhs bekommen. Ich wäre traurig gewesen, wäre das nicht der Fall gewesen. Dann hätte ich wirklich gemerkt, dass ich alt geworden bin. Das ist wie ein Gewürz bei einer guten Speise. Katharina Wagner hat zu mir gesagt: Sie haben aus Bayreuth das gemacht, was es einmal war. Da ist wieder mal was losgewesen!

APA: Kann dann in Zukunft nicht vielleicht doch noch eine "Parsifal"-Inszenierung von Ihnen kommen?

Nitsch: Ich habe vor, kommendes Jahr mein 6-Tage-Spiel zu realisieren. Da spielt die Musik eine sehr, sehr große Rolle. Ich habe mich mein gesamtes Leben mit dem Gesamtkunstwerk herumgeplagt. Ich liebe Wagner sehr, bin aber kein Wagnerianer. Ich bin ein großer Verehrer der Musik Wagners. Ich habe nicht vor, ein Exeget Wagners zu werden - mit 83 Jahren sicher nicht mehr!

APA: Verspüren Sie dennoch eine Art Seelenverwandtschaft mit Wagner als Gesamtkünstler?

Nitsch: Unsere gemeinsame Seele ist die Kunst. Und dort wollten respektive wollen wir uns austoben.

APA: Ihre Aktionen sind immer minuziös durchgeplant. Ist das bei einer Inszenierung ebenfalls möglich, oder spielt hier der Zufall eine größere Rolle?

Nitsch: Ich schreibe genaue Partituren, die eine Beherrschung des Zufalls wollen. Ich möchte mit dem Zufall arbeiten, das ist meine Kunst. Was ich liebe, das sind keine geometrischen Partituren, sondern entspricht eher der Lehre vom Zufall, die für die Kunst nutzbar gemacht werden soll. Ich bin sehr stur und möchte nur das machen, was ich machen will. Mein Theater ist kein Darstellungstheater. Ich setze Handlungen, die nichts darstellen sollen, sondern das sind, was sie sind.

APA: Nun sind Ihre in Bayreuth entstandenen Arbeiten in einer eigenen Ausstellung zu sehen. Verstehen Sie dies als Rudimente als Verweis auf eine vergangene Aktion, oder entsteht hier in Mistelbach etwas Neues aus den Werken?

Nitsch: Es gibt in meiner Arbeit den Begriff der Relikte. Das sind bemalte Tücher, Bilder, befleckte Kleider. Geschehnisse seismografieren sich. So ist das zu verstehen. Hier sieht man eine seismografierte Malaktion, mit höchstem formalen und ästhetischem Verständnis durchgeführt. Es ist dabei ein Potpourri aus allen vier Aufführungen in Bayreuth, wobei die Premieren-Werke das Wagner-Museum übernommen hat.

APA: Dabei wirken die Bodenbilder in Ihrer Textur ungewöhnlich für Ihr Oeuvre...

Nitsch: Sie müssen sich vorstellen, dass jeder Akt fünf Viertelstunden dauert. Bei meinen persönlichen Malaktionen male ich sehr pastos. Wenn man aber fünf Viertelstunden herumschüttet, wird es natürlich wässrig, was aber absolut gewollt ist. Ich bin sehr glücklich damit. Es verändert sich alles permanent. Man sieht nun die letzte Momentaufnahme. Da ist dem Zufall viel Raum gelassen. Meine Assistenten arbeiten meiner Ästhetik, aber es ist meine Lehre, die dargeboten wird, die sich permanent bewegt und nicht auf ein Finale hin.

APA: Ihr 6-Tage-Spiel mussten Sie angesichts der Weltlage von heuer auf 2022 verschieben. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es kommendes Jahr klappen kann?

Nitsch: Es wird Ende Juli, Anfang August stattfinden. Es wird vielleicht etwas schlanker und der Anteil der Musik größer. Aber ich glaube, es wird klappen - höchstens, dass mir meine Gesundheit Schwierigkeiten macht.

APA: Wird das 6-Tage-Spiel 2022 Ihr letztes sein?

Nitsch: Es wird wohl das letzte sein. Man muss nicht 150 Jahre alt werden.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Hermann Nitsch gehört nicht nur in den Museen des Landes zu den populärsten Künstlern - der mittlerweile 83-Jährige ist auch seit langem immer wieder als Bühnenkünstler zu erleben.
  • Der mutmaßliche Höhepunkt dieses Aspekt seines Oeuvres war die Malaktion, die Nitsch im Sommer bei den Bayreuther Festspielen zu Wagners "Walküre" gestaltete.