"Figaro" in Gangster-Pose: Erste Opernpremiere in Salzburg
Nach viel Beifall für die Sänger - insbesondere für das stimmlich vielfarbig abgemischte Damen-Trio aus Sabine Devieilhe als Susana, Adriana Gonzalez als Contessa und Lea Desandre als Cherubino - und freundlichem Applaus für Raphael Pichon wurde Regisseur Martin Kušej vom Premierenpublikum letztlich mit deutlicher Ablehnung konfrontiert. Seine Modernisierung, die aus dem Grafen einen Gangsterboss, aus Figaro seinen Capo und aus seinem Schloss eine üble Spelunke macht, kommt über eine zunächst halbherzige, dann zunehmend parodistische Szenerie nicht hinaus und greift das Stück nicht in der Tiefe an.
Einzelne Szenen lassen die Vision erahnen, den validen Versuch einer Vergegenwärtigung der Geschichte: An der Bar, wo die Aufklärung von Figaros Herkunft im Drogenrausch für hysterisches Kichern sorgt, oder hinter dem Haus, bei den achtlos entsorgten Müllsäcken, die das Reich des Straßengang-Grafen abstecken, auch im "Boudoir" der Gräfin, ein kahles, heruntergekommenes Badezimmer (Bühne: Raimund Orfeo Voigt), das Cherubino mit seinem Liedchen verwandelt. "Voi che sapete" inmitten von Trostlosigkeit, Brutalität und Leere, eine transformative Naturgewalt: eine Verbeugung vor Mozart, die unter die Haut geht.
Cherubino ist es, dem die Regie ihr Herz geschenkt hat. In einer Welt, in der mit Sex gehandelt wird wie mit kleinen Münzen, kommt die Erotik dieses aufgewühlten Teenagers von einem anderen Ort, sie ist echt und keine Währung, sie trägt eine Element von Liebe in sich, von Neugier, die nicht vom Drogenkonsum vernebelt wurde. In der Welt des Conte wird Cherubino zum - blutigen - Opfer, selbst Figaro macht sich an ihm schuldig. Lea Desandre spielt und singt die Partie mit großer Strahlkraft und kostbarer Zerbrechlichkeit - kein Wunder, dass sie am Anfang und am Ende, wenn alle Darsteller an der Bühnenrampe ihre Posen einnehmen, in der Mitte sitzt.
Doch in Summe bleibt eben das: mehr Pose, als Posse, manchmal mit Gimmicks, manchmal sehr kahl, die Behauptung einer Modernisierung, die sich in der Auseinandersetzung mit den Figuren nicht verifizieren lässt. Wer sind diese Leute und warum tun sie, was sie tun? Elementare Fragen, die nicht beantwortet werden. Selbst schematische Attribute lässt Kušej nicht gelten: Gut und Böse sind hier keine Gegenspieler, Sympathieträger gibt es nicht. Der brutale Figaro? Die betrügerische Susanna? Die lethargische Gräfin? Wo Mozarts Musik uns in alle sieben Himmel der Empathie versetzt, findet sich auf dieser Bühne kein geeignetes Objekt dafür.
Musikalisch ist es ein Abend von hoher Spannung und stimmigen Momentaufnahmen. Raphael Pichon, erprobt als Leiter eines schlanken, frech musizierenden Originalklangensembles, trifft auf die Wiener Philharmoniker und ihren weich gebetteten Mozartklang. Ein Risiko und eine Chance, die gleichzeitig manifest werden: Pichon spitzt wohltuend zu, hält die Zügel straff, wählt immer wieder rasante Tempi und ergeht sich in wohlüberlegten Kontrasten. Doch sie bleiben Fragmente, entwickeln wenig Fließkraft und sind administriert mit einem gestalterischen Ehrgeiz, den man stärker hört, als es Mozart gut tut.
Einen hoch präsenten Figaro gibt Krzysztof Baczyk, André Schuen ist gesanglich ein robuster Conte, der in der gleichen Partie im aktuellen Staatsopern-"Figaro" von Barrie Kosky allerdings ungleich besser aufgehoben ist, Adriana Gonzalez gestaltet die traurigen Arien der Gräfin in vornehmen Linien, Sabine Devieilhe steigert sich über den Lauf des Abends zu einer eindrucksvollen Susanna. Alle Sänger wurden vom Premierenpublikum herzlich bedankt. Und auch Martin Kušej nahm seine Buhs mit einem zufriedenen Lächeln entgegen. Immerhin: Gleich zu Beginn hat das Festspielprogramm offenbar bei manchem die Erwartungen erfüllt.
(S E R V I C E - "Le Nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart und Lorenzo Da Ponte. Musikalische Leitung: Raphael Pichon, Regie: Martin Kušej. Mit Andre Schuen, Adriana Gonzalez, Sabine Devieilhe, Krzysztof Baczyk, Lea Desandre. Weitere Termine am 30. Juli, 5., 11., 15., 17., 20. und 28. August. www.salzburgerfestspiele.at)
Zusammenfassung
- Waffen, Drogen, "Figaro": Die erste Opernpremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele ist am Donnerstagabend über die Bühne des Hauses für Mozart gegangen.
- Martin Kušej inszenierte die Mozart-Oper als Mafia Edition mit viel Pistolenfuchteln und Gangster-Posen, aber ohne überzeugende Personenregie.
- Alle Sänger wurden vom Premierenpublikum herzlich bedankt.
- Mit Andre Schuen, Adriana Gonzalez, Sabine Devieilhe, Krzysztof Baczyk, Lea Desandre.