Doch alles von Meisterhand? Buch über Rembrandt-Zeichnungen
Gnann betätigt sich in seinem Buch, das er in der Corona-Kurzarbeit des ersten Lockdowns fertiggestellt hat, quasi als Revisionist. Von den zahlreichen Abschreibungen der vergangenen Jahrzehnte, als man zur Überzeugung gelangte, dass viele Zeichnungen von Rembrandts Schülern oder Epigonen angefertigt wurden, revidiert er die meisten. Durch genaue chronologische Zuordnungen und detaillierte Analysen glaubt er den Beweis führen zu können, dass es sich sehr wohl um eigenhändige Arbeiten Rembrandts handelt. "Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu anregen wird, dass das Rembrandt-Bild neu überdacht wird. Ich hoffe auf starke Reaktionen. Aber ich kriege wahrscheinlich jede Menge Prügel, da ich mich zwar schon lange mit Rembrandt beschäftige, aber noch nie über ihn publiziert habe." Gnann ist vielmehr Spezialist für italienische Kunst, hat sich über das mehr als 1.000 Blätter umfassende zeichnerische Werk von Parmigianino habilitiert und an der Albertina, wo er seit 2005 beschäftigt ist, Aufsehen erregende Ausstellungen zu Raffael und Michelangelo kuratiert.
In seinem Buch konzentriert sich Gnann auf die Landschaftszeichnungen, die Rembrandt von etwa Mitte der 1630er-Jahre bis Mitte der 1650er-Jahre geschaffen hat. Die ungefähr 260 erhaltenen Blätter "atmen die Frische und Unmittelbarkeit des Natureindrucks, den der Künstler bei seinen Streifzügen durch die Umgebung von Amsterdam und an anderen Orten auf das Papier zu bringen wusste", schwärmt der Kunsthistoriker in seinem Vorwort. "Rembrandt hat die Natur geradezu in sich aufgesogen, wobei es ihm nicht um das Große und Repräsentative geht, sondern um das Einfache, Intime und Besondere, das eine Ansicht unverwechselbar macht."
Die heutige Rembrandt-Forschung hat zuletzt jedoch nur noch an die 100 dieser Blätter als Rembrandt-Originale akzeptiert. Was macht Gnann nun so sicher, dass die von ihm an Rembrandt "zurückgegebenen" Zeichnungen wirklich aus dessen eigener Hand stammen? Zum einen sind es akribische Vergleiche mit zeitgleichen Studien, Radierungen und Gemälden, die erstmals eine annähernd genaue Datierung der meisten Zeichnungen möglich gemacht haben. "Das ist sehr schwierig, weil bei Rembrandt nur wenig gesichert ist", sagt Gnann, "doch mit der richtigen chronologischen Einordnung fügt sich das Bild auch richtig zusammen." Zum anderen sei die Gesamtwirkung von Rembrandts Zeichnungen einzigartig: "Er hatte ein unglaubliches Auge für Details, Licht und Atmosphäre und dafür, was diese Dinge im Betrachter auslösen. Dadurch sorgt er für wirkliche Landschaftserlebnisse. Jedes Sujet bekommt damit seine eigene Prägnanz. Seine Schüler haben diese Tiefe nicht", ist er sicher. "Ich denke, es ist ein Fehler, sich zu sehr auf das Detail zu fixieren, da es den Blick für den Gesamteindruck verstellt, auf den es wirklich ankommt."
Dass auf diesem Weg einige Zeichnungen aus dem Bestand der Albertina wieder Rembrandt zugeschrieben werden, ist ein Nebeneffekt der neuen Publikation. Und noch einen anderen Albertina-Bezug gibt es: Das von dem früheren Albertina-Direktor Otto Benesch (1896-1964) in den 50er-Jahren herausgegebene sechsbändige Werkverzeichnis der Rembrandt-Zeichnungen galt lange als Standardwerk, ehe der "komplette Kahlschlag" der Forschung einsetzte, der die Zahl der Originale radikal verringerte. Bei ihm sei "fast alles wieder drinnen", meint Gnann. "Im Prinzip ist es eine Benesch-Rehabilitation."
(S E R V I C E - Achim Gnann: "Rembrandt. Landschaftszeichnungen / Landscape Drawings", englisch/deutsch, Imhof Verlag, 368 Seiten, 81,20 Euro)
Zusammenfassung
- Landschaftszeichnungen / Landscape Drawings" heißt das Buch in aller Schlichtheit.
- Gnann betätigt sich in seinem Buch, das er in der Corona-Kurzarbeit des ersten Lockdowns fertiggestellt hat, quasi als Revisionist.
- In seinem Buch konzentriert sich Gnann auf die Landschaftszeichnungen, die Rembrandt von etwa Mitte der 1630er-Jahre bis Mitte der 1650er-Jahre geschaffen hat.