Cannes-Regisseurin Kreutzer hat kein gutes Karma für Preise
APA: Ist man als Filmemacherin nervöser, wenn der eigene Film in Cannes Weltpremiere feiert?
Marie Kreutzer: Es ist ja erstaunlich, wie schnell alles immer normal wird. Und ich bin auf der anderen Seite so voll mit Aufgaben, dass ich gar nicht dazu komme, aufgeregt zu sein. Ich bin eher beschäftigt. (lacht)
APA: "Corsage" ist ein neuer stilistischer Weg in Ihrem Œuvre. Haben Sie diesen Schritt bewusst gesetzt?
Kreutzer: Der größte Unterschied zu meinen vorherigen Filmen war für mich eher die Größe des Projekts. Aber ich habe keinen Masterplan. Ich habe eigentlich das Gefühl, dass ich immer einen sehr ähnlichen Zugang verfolge. Ich arbeite in allen künstlerischen Entscheidungen sehr intuitiv.
APA: Intuitiv in Bezug auf die Vorarbeiten oder auch im Bezug auf die Arbeit am Set?
Kreutzer: Beides. Es gibt für mich relativ früh ein atmosphärisches und visuelles Konzept für einen Film. Ich mache während der ganzen Vorbereitung ein Moodboard und sammle Playlists. Ich habe eine Vision, wie der Film aussehen und wie er klingen soll. Und auf dieser Basis kann ich dann die konkreten Entscheidungen meist sehr schnell und intuitiv treffen. Ich weiß meistens sehr genau, was ich will und bin deshalb manchmal für meine Mitarbeiter:innen auch sehr anstrengend, weil ich so genaue Vorstellungen habe und sehr hartnäckig sein kann. Wenn die Umstände dann aber so sind, wie ich wollte, fühle ich mich sehr frei. Dann entstehen am Set die Dinge teils neu.
APA: Der Erstimpuls von vielen wird sein, wenn man von "Corsage" hört: "Nicht noch ein Sisi-Film!". Wollten Sie bewusst ein ausgelutschtes Genre nehmen, um es dann zu brechen?
Kreutzer: Die Idee, etwas über Elisabeth zu machen, kam von Vicky Krieps. Zuerst hat mich das gar nicht interessiert, und ich habe zu Beginn der Recherche auch bewusst offengelassen, ob das was wird. Klarerweise hat mich dann in der Recherche Elisabeths Altersphase am meisten interessiert, über die man am wenigsten weiß. Ich habe nicht den Anspruch zu erzählen, was war. Wir waren alle nicht dabei. Mein Bestreben war, innerhalb der Fakten eine Geschichte zu erzählen, die so gewesen sein könnte. Eine komplette Filmbiografie funktioniert in meinen Augen auch meist nicht. "The Favourite" war für mich da eine tolle Inspiration und der Beweis, dass man solch eine Geschichte auch anders erzählen kann. Ich wollte bewusst die Bilder bedienen, um sie dann zu brechen. Das war der Reiz.
APA: Weshalb fokussieren Sie sich dabei konkret auf die Phase rund um Elisabeths 40. Geburtstag?
Kreutzer: Ich fand das Originalzitat von ihr, "Ein Mensch von 40 Jahren löst sich auf", sehr spannend. Sie war über Jahre festgelegt auf die Rolle der schönen, jungen Kaiserin, was sich dann verändert hat. Dieser Geburtstag war für mich eine gute Zäsur, an der ihr Rollenbild hinterfragt wird.
APA: Gleichsam ein Mensch in der Midlife-Crisis...
Kreutzer: Midlife-Crisis würde ich insofern nicht sagen, weil man ihre Situation mit heute schwer vergleichen kann. Elisabeth stand zwar alles zu Verfügung, sie konnte aber nie selbst entscheiden, womit sie ihr Leben verbringen will. Eigentlich wird sie mit 40 Jahren erst erwachsen.
APA: Was macht die Figur der Elisabeth für unsere heutige Zeit noch so interessant?
Kreutzer: Ich weiß es auch nicht wirklich. Es gibt einfach mythische Figuren, die werden immer größer. Die Tragödie macht sie wie bei Diana interessanter, als wenn es eine angepasst Kaiserin gewesen wäre. Und sie wird identifiziert mit Österreich, vor allem auch international. Diese Dimensionen waren mir gar nicht bewusst, als ich mit dem Film begonnen habe.
APA: Ist Ihnen Elisabeth über die Arbeit hinweg sympathisch geworden?
Kreutzer: Das Interessante an ihr ist, dass sie nicht greifbar ist. Was man über sie liest, ist sehr widersprüchlich. Sie hat so viele verschiedene Seiten, war nicht per se sympathisch und eine zerrissene Person, die mit 16 Jahren in eine Rolle geworfen wurde. Ich habe aber auch jetzt immer noch nicht das Gefühl, ich könnte sie erfassen. Sie war unberechenbar, hat gewechselt zwischen Empathie und Kälte. Man könnte noch viel über sie erzählen.
APA: Es wird von Ihnen nun aber keine eigene Sisi-Trilogie wie von Ernst Marischka geben?
Kreutzer: Nein! (lacht)
APA: Wie sehr sehen Sie "Corsage" auch als Parabel auf die Situation der Frauen heute?
Kreutzer: Das war mir sehr wichtig, sonst hätte ich mich damit nicht beschäftigt. Elisabeth war ihrer Zeit in mancher Hinsicht weit voraus. Bei ihr ging es schon darum, dass ihr Bild erhalten bleiben muss, was heute für uns Frauen von enormer Bedeutung ist, weil unser Wert so stark über das Aussehen definiert wird. Mit dieser Frage können wir vielleicht heute sogar mehr anfangen als die damalige Gesellschaft!
APA: Nun geht es in Cannes natürlich auch um Preise. Wie wichtig sind Ihnen Auszeichnungen?
Kreutzer: Ich habe kein gutes Karma für Preise. Ich gewinne nie irgendwas. Mein Mann ist ja Ausstatter, und der gewinnt dauernd. (lacht) Alle Preise, die bei uns in der Küche stehen, gehören ihm. Manchmal bin ich ein wenig beleidigt, dass ich nie einen Drehbuchpreis gewinne, denn was ich wirklich gut kann, ist schreiben. Aber ansonsten habe ich das Preisthema ad acta gelegt. Man darf sich darüber nicht definieren. Mein Preis ist, dass ich immer jede Förderung bekomme. Das ist so eine große Anerkennung und bedeutet letztlich mehr.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
Zusammenfassung
- Marie Kreutzer ist mit "Corsage" an der Croisette angekommen.
- Die 44-jährige Filmregisseur zeigt mit der ungewöhnlichen Historienbiografie von Kaiserin Elisabeth ihr erstes Projekt bei den Filmfestspielen von Cannes.
- Noch vor der heutigen Weltpremiere in der Sektion Un Certain Regard sprach die Filmemacherin mit der APA über die Faszination der mythischen Figur "Sisi", intuitives Arbeiten und ihr schlechtes Karma für Auszeichnungen.