Anna Neatas "Packerl": "Wenn schon scheitern, dann richtig"
Es ist die Wut über einen Literaturbetrieb, in dem die Gesetze von Markt und Vermarktung regieren, die Wut darüber, als Person, aber auch mit seinem Werk den Blicken und dem Urteil anderer ausgesetzt zu sein. "Ich finde es eh okay, gehasst zu werden, aber dann für das Richtige. Ich habe Angst, missverstanden zu werden", sagt sie. Es ist aber auch "die Wut auf mich selber". Das klingt nicht einfach - und ist es wohl auch nicht. Dabei ist die 1987 in Oberndorf bei Salzburg Geborene, die zunächst Film- und Theaterwissenschaft in Mainz und danach Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien studierte, kein Riot Girl, das auf den Barrikaden zuhause ist. "Ich bin eher so ein Sad Girl. Mehr unglücklich."
Karrieremäßig gäbe es dazu keinen Grund. 2020 gewann sie das Hans Gratzer Stipendium für ihr Stück "Oxytocin Baby", dessen Uraufführung als Produktion des Schauspielhaus Wien im Odeon der jungen Regisseurin Rieke Süßkow 2022 einen Nestroy-Preis eintrug. Im Jänner 2024 wird in Linz Neatas zweites Stück "Über die Notwendigkeit, dass ein See verschwindet" uraufgeführt, in dem "die Themen globale Erwärmung, Tourismus und Femizid zu einem abgründigen wie aberwitzigen Stück" verbunden werden, wie es in der Ankündigung heißt. Und in wenigen Tagen liefert der große deutsche Ullstein Verlag ihr "Packerl" aus.
Dennoch ist Anna Neata im Interview mit der APA anfangs eher unentspannt. "Ich stelle lieber Fragen, als Fragen zu beantworten", sagt sie - und liefert dennoch in der Folge ein gutes Zitat nach dem anderen. "Zuhören ist immer eine gute Idee, finde ich", etwa, "Die Grausamkeit im Nebensächlichen ist sehr österreichisch", oder: "Widersprüche sind schmerzhaft, aber produktiv." Aber auch: "Etwas drängt mich. Man spürt eine gewisse Dringlichkeit. Hoffentlich." Letzteres bezieht sich auf ihren Roman, an dem sie acht Jahre schrieb und den sie nur ungern losgelassen hat: "Sachen fertigschreiben ist vor allem wichtig, weil es ermöglicht, etwas Neues anzufangen."
In "Packerl" erzählt sie über 80 Jahre hinweg von Elli, Alexandra und Eva, drei Frauen, die unter jeweils anderen Zeitumständen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Es sind Großmutter, Mutter und Tochter. Mit den Genres Familienroman und Frauenroman hat sich Anna Neata gleich auf schwierige Terrains begeben, die schon hundertfach beackert wurden. Einfacher konnte sie es sich nicht machen? Die Autorin antwortet mit einer Gegenfrage: "Welche Geschichte ist noch nicht erzählt worden? Wenn man sich diese Frage stellt, kann man gar nicht mehr schreiben." Und setzt nach: "Mein Text ist für ein Debüt nicht gerade zeitgemäß - aber ich hab mir gedacht: Wenn schon scheitern, dann richtig."
Außerdem hat Anna Neata ein schlagendes Argument parat: "Man kann natürlich sagen: Es ist schon alles gesagt. Aber mich interessiert vor allem, was nicht gesagt wird. Über was wird nicht gesprochen? Ich misstraue dem Schweigen in der Familie, aber ich misstraue auch dem, was erzählt wird. Meine Mutter hat das Manuskript gelesen und gesagt: Wie konntest Du das alles wissen, wir haben dir doch nichts erzählt!"
Es gibt also durchaus eigene familienhistorische Bezüge zu der von ihr vorgelegten Geschichte. Nicht zuletzt bei ihrem Sprachkunststudium habe sie gelernt, "mit Nähe und Distanz umzugehen": "Das Studium war eine große Hilfe. Vor allem kommt man mit anderen Menschen zusammen, die auch schreiben - aber jeder ganz anders. Von denen, die Lyrik schreiben oder Textflächen für das Theater, habe ich am meisten gelernt. Es geht um Vertrauen und Kritik auf Augenhöhe. Mit Autoritäten hab ich ein Problem."
Bei "Packerl" jongliert Neata durch Rückblicke aus verschiedenen Zeitebenen durch die Jahre 1942 bis 2022, ohne eine Zeittafel und ein die verwandtschaftlichen Bezüge festhaltendes Personenverzeichnis wäre man mitunter etwas verloren. "Diese Listen sind ein Kompromiss, um den Überblick zu behalten." Doch ein wenig Konzentration einzufordern sei wohl nicht zu viel verlangt: "Ich hab vor kurzem wieder 'Anna Karenina' gelesen - dafür ist es eh' ok, finde ich." Ihr sei es "um die Gleichzeitigkeit von drei Frauenleben, die sich ähneln" gegangen. Der Text solle "wie ein Fotoalbum, das man an einer bestimmten Stelle aufschlägt", funktionieren. Dafür habe sie jedoch keinen Masterplan, kein starres Konzept gehabt, erklärt die Autorin. "Ich schreibe Texte so, dass sie lange beweglich bleiben, wie ein Puzzle, das am Ende hoffentlich aufgeht." Wichtiger sei es, eine adäquate Sprache für das, was man erzählen wolle, zu finden.
Das ist bei "Packerl" deshalb so wichtig, weil das Buch gleichzeitig ein österreichisches Zeitgeschichtspanorama bietet. Ton und Atmosphäre der 40er- und 50er-Jahre trifft Anna Neata ebenso gut wie jene der 70er und 80er. "Schreiben ist eine Ahnung bekommen von einer Zeit oder einer Situation", sagt sie. Dabei arbeitet sie sich auch an der Tabuzone Nationalsozialismus ab, die in vielen Familien lange totgeschwiegen wurde. "Die Enkelgeneration kann nun anders nachfragen als die Kinder. Es ist aber trotzdem schwierig." Und sie lässt nie eine Sekunde am feministischen Anspruch des Buches zweifeln. Mutterschaft und Abtreibung, Hexen und Hebammen waren auch schon in ihrem Stück "Oxytocin Baby" ein Thema, und auch in ihrem nächsten Theaterstück verschwinden Frauen unter Umständen, die von den Männern eher vertuscht als aufgeklärt werden wollen.
Zunächst will aber Anna Neatas "Packerl" ausgepackt und gelesen werden. Und im Kaffeehaus ist Neatas Soda Zitron ausgetrunken, das Interview vorbei. "Ich hab es mir schlimmer vorgestellt."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Anna Neata: "Packerl", Ullstein, 364 Seiten, erscheint am 31. August, 23,70 Euro)
Zusammenfassung
- Dennoch ist Anna Neata im Interview mit der APA anfangs eher unentspannt.
- Wenn man sich diese Frage stellt, kann man gar nicht mehr schreiben."
- Es ist aber trotzdem schwierig."