Albertina zeigt intensive Körper-Bilder von Jenny Saville
Saville ist eine von sechs Künstlerinnen, die die Albertina dieses Jahr mit Einzelausstellungen ins Rampenlicht stellen will - darunter etwa die 2022 verstorbene Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz oder die US-Fotografin Lisette Model (1901-1983). Den Anfang macht aber die Britin Saville, Jahrgang 1970. Sie feierte ihren Durchbruch in den 90ern, als sie 1997 an der inzwischen legendären Ausstellung "Sensation" in der Royal Academy of Arts neben Größen wie Damien Hirst ausstellte. Sie sei damals die einzige figurativ malende Teilnehmerin gewesen, erinnerte Albertina-Generaldirektor Ralph Gleis am Donnerstag in einem Pressegespräch. "Seit nunmehr über drei Jahrzehnten verarbeitet sie das Thema des Körpers, vor allem des weiblichen Körpers", fasste der Hausherr zusammen.
Geballte Fleischlichkeit
Tatsächlich hat die Pfeilerhalle wohl selten so viel geballte Fleischlichkeit gesehen. Die Spielarten der gut zwei Dutzend Werke, die einen Schaffensquerschnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte schaffen, sind durchaus mannigfaltig. Gleich an der Hauptwand begegnet einem das Triptychon "Fates", das in drei Großformaten Bezug auf die drei Schicksalsgöttinnen der Antike nimmt. Hier sind sie als collagierte, wie bildhauerisch gebaute Figuren in Drehsesseln dargestellt - mit dunkelhäutigen Gesichtern, überzähligen Extremitäten und unproportionalen, verrutschten Körperteilen.
Saville arbeitet immer wieder in Serien - und setzt sich intensiv mit der Kunstgeschichte auseinander. Auf Leinwänden und Papier mischt sie Ölfarben, Aquarell, Kohle und Kreide zu figurativ-abstrakten Hybriden aus Malerei und Grafik, die oft wild und ausdrucksstark wirken. Ihre Arbeit durchweht der Geist von Tizian und Leonardo genauso wie jener von Francis Bacon oder Egon Schiele. Im Falle der "Fates"-Reihe sei es der "große Hero" Picasso, dessen kubistische Frauenfiguren - etwa in seinen "Demoiselles d'Avignon" - die Künstlerin inspiriert hätten, erklärte Stief.
Raffaels Kinder als Inspiration
Dem Fragmentierten und Multiperspektivischen in Kombination mit Volumina, die sich in den Bildern geradezu nach vorne drängten, schenke die Malerin viel Aufmerksamkeit, so Gleis. Er sei mit ihr kürzlich durch die eben angelaufene Frühjahrsausstellung "Leonardo - Dürer" gegangen, und Saville habe sich etwa für Raffaels Kinderstudien interessiert "und besonders dafür, wie fett sie sind", erzählte Gleis. In einigen Gemälden, die nach Bühnenelementen der griechischen Tragödie benannt sind, bricht die Künstlerin die Bildoberfläche ihrer liegenden Aktfiguren gewissermaßen auf, löst einzelne, wie viereckig herausgeschnittene Segmente heraus und fügt sie verschoben oder verzerrt wieder ein. Auch ein Verweis auf die von Handys und anderen technischen Devices omnipräsenten Simultanrealitäten unserer Zeit, findet Kuratorin Stief.
Aber nicht nur Körperdarstellungen, auch überdimensionale, großteils äußerst farbenfrohe Gesichter gehören zu Savilles Oeuvre. Eines davon ist das titelgebende "Gaze" - die neue, bisher noch nie ausgestellte Kopfdarstellung einer jungen Frau. Die geradezu hyperrealistisch anmutende Darstellung der Augen trifft auf dicke, fast grobe Pinselstriche. Das von Weitem wie ein fast herkömmliches Porträt wirkende Gemälde offenbart von der Nähe aus betrachtet seine Vielschichtigkeit - angefangen von vielen abstrakten Einsprengseln bis zu surreal gedoppelten Augenausschnitten.
Christliches und Grausames
Ihre Modelle findet Saville auf der Straße ebenso wie etwa über Agenturen. Mal sei es ein langer Hals, der sie triggere, mal eine schwangere Frau oder ein Antlitz in einem Leichenschauhaus - wie bei der Arbeit "Untitled (Paint Study)". Bezüge zur byzantinisch-orthodoxen Ikonenmalerei, dem mittelalterlichen Andachtsbild und der christlichen Ikonografie verwebt die Britin in einer weiteren Werkgruppe. Im Bild "Exodus" verschmilzt Saville die testamentarische Pietà mit dem Grauen der Gegenwart. Nicht Maria hält den eben vom Kreuz abgenommenen Leichnam ihres Sohnes Jesus in den Armen - ein Kind mit geschlossenen Augen und schlaff herunterhängenden Gliedmaßen wird hier multiperspektivisch um die Figur eines Rettenden gruppiert. Nicht wenige werden hier an jene Fotos von Verletzten und Toten, die aus Trümmern in Katastrophen- und Kriegsgebieten geborgen werden, denken (müssen).
(S E R V I C E - "Jenny Saville - Gaze" in der Albertina, 21. März bis 29. Juni, Katalog in deutscher und englischer Sprache: 29,90 Euro, www.albertina.at)
Zusammenfassung
- Die Albertina in Wien zeigt die erste Einzelausstellung der britischen Malerin Jenny Saville in Österreich, die vom 21. März bis 29. Juni läuft.
- Saville, geboren 1970, ist bekannt für ihre intensive Darstellung des menschlichen Körpers und wurde durch die 'Sensation'-Ausstellung 1997 berühmt.
- Die Ausstellung 'Gaze' umfasst über zwei Dutzend Werke, darunter neue, bisher unveröffentlichte Arbeiten.
- Savilles Kunstwerke sind von Künstlern wie Picasso, Tizian und Leonardo inspiriert und verbinden klassische Ikonografie mit modernen Themen.
- Der Ausstellungskatalog ist für 29,90 Euro erhältlich und bietet Einblicke in Savilles einzigartige künstlerische Perspektiven.