Akademietheater zeigt Familienstück als Graphic Novel
"Wir haben uns schon immer für das Justizsystem interessiert, haben aber nie daran gedacht, ein Stück dazu machen", erzählt die Autorin und Regisseurin Suzanne Andrade im APA-Interview. Vor einigen Jahren ist sie dann auf Briefe gestoßen, die sie von ihrem eigenen Vater erhalten hat, als dieser im Gefängnis saß, als sie selbst gerade einmal zwölf Jahre alt war. "Als ich diese Briefe gelesen habe, war mir klar, dass das ein Weg sein könnte, ein Stück über das Justizsystem zu machen und die Geschichte aus der Außenperspektive der Familie zu erzählen." Dreh- und Angelpunkt: Ihr eigener Vater habe diese Briefe "so geschrieben, als hätte er dort eine wunderbare Zeit und viel Spaß", um die Kinder nicht zu beunruhigen.
Während Andrade, die das Stück gemeinsam mit Esme Appleton inszeniert, als Jugendliche wusste, wo sich ihr Vater aufhält, bleibt dieses Wissen für die Kinder Kim und Davey im Stück im Dunklen. Sie wähnen ihn bei einem rätselhaften Spezialauftrag, von dem er fantasievoll berichtet. "Bei unserem letzten Projekt haben wir uns mit alten Volksmärchen beschäftigt, da konnten wir uns hinter den Geschichten anderer Menschen verstecken", sinniert Andrade über den potenziellen Druck, der auf einer persönlichen Geschichte lastet. "Aber in Wahrheit waren diese Briefe nur ein Sprungbrett für jene Geschichte, die wir nun erzählen. Wir haben uns sehr weit von der Ursprungsgeschichte entfernt und haben eine gesunde Distanz."
Dabei stehe auch gar nicht so sehr der Grund für die Abwesenheit des Vaters im Vordergrund als das Motiv des abwesenden Elternteils. "Das Gefühl, einen abwesenden Elternteil zu haben, kennen viele, auf unterschiedliche Art." Somit verhandle das Stück, in dem Andrea Wenzl, Stefanie Dvorak, Markus Meyer, Alexandra Henkel und Isabella Knöll auf der Bühne stehen, "universelle Themen des Erwachsenwerdens".
Viel spezieller ist unterdessen die visuelle Umsetzung: Das gesamte Bühnenbild ist animiert und besteht aus über 500 einzelnen digitalen Elementen, die live eingespielt werden. Was passiert, wenn die Schauspieler ein paar Textseiten überspringen? Andrade überlegt kurz: "Sie werden keine Textseiten überspringen", lacht sie. "Falls sie aus dem Takt kommen, müssen sie einen Weg zurück finden." Im Endeffekt sei die Produktion auch ein "Dialog zwischen Techniker und Schauspieler, da alles live eingespielt wird". Wie "1927" arbeitet, konnte man hierzulande zuletzt bei den Salzburger Festspielen im Jahr 2014 bei der Uraufführung von "Golem" bestaunen, ihre "Zauberflöte" gastierte im selben Jahr im Festspielhaus St. Pölten.
Zwei Jahre Vorbereitungszeit stecken in "Mehr als alles auf der Welt", auch während der Proben in Wien sei der Text immer noch adaptiert worden. "Wir sind auch oft zurück ins Animationsstudio gegangen", erklärt die Regisseurin, die einen Großteil des Textes in der Isolation während diverser Corona-Lockdowns geschrieben hat. Die Isolation im Gefängnis will sie jedenfalls nicht mit jener der Lockdowns vergleichen. Vielmehr habe sie in der Vorbereitung auch viel über das Leben von Menschen im Gefängnis gelesen.
Herauskommen soll eine Inszenierung, die sich an alle Altersgruppen (ab 8 Jahren) richtet. Es handle sich weder dezidiert um ein Jugendstück noch um ein Stück für Erwachsene. "Wir haben immer Stücke gemacht, die jeder anschauen und etwas für sich etwas herausziehen kann."
(S E R V I C E - "Mehr als alles auf der Welt" von Suzanne Andrade im Akademietheater. Regie: Suzanne Andrade und Esme Appleton, Bühne, Animation und Video: Paul Barritt, Kostüme: Sarah Munro, AV-Operator: Leann Skyes-Hooban, Licht: Marcus Loran, Musik: Laurence Owen. Premiere am 8. Oktober, 17 Uhr. Weitere Vorstellungen: 12., 14. und 30. Oktober. Infos und Karten unter www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- "Wir haben uns schon immer für das Justizsystem interessiert, haben aber nie daran gedacht, ein Stück dazu machen", erzählt die Autorin und Regisseurin Suzanne Andrade im APA-Interview.