Umweltschützer warnen vor Deregulierung der Neuen Gentechnik
Bei der "Neuen Gentechnik" wird nicht mehr artfremde DNA eingeschleust, sondern das Erbgut (Genom) einer Pflanze und damit ihre Eigenschaften mit anderen Methoden (etwa der "Genschere" CRISPR/Cas) gezielt verändert. "Geht es nach der EU-Kommission, sollen künftig die meisten neuen gentechnisch veränderten Lebensmittel weder gekennzeichnet noch risikogeprüft werden. Dieser Vorschlag ist ganz im Sinne der Agrarindustrie", kritisierte Brigitte Reisenberger, Gentechniksprecherin der Umweltschutzorganisation, am Mittwoch in einer Aussendung. "Die Forderungen der Saatgut- und Chemieindustrie sind fast vollständig in den Gesetzesvorschlag eingeflossen. Die Gentechnik-Entwickler erhalten weitreichende Möglichkeiten, um Daten geheim halten zu können, inklusive jener Informationen, die entscheidend für die Risikoabschätzung und Rückverfolgbarkeit sein können, wie z.B. die konkret veränderte DNA-Sequenz."
Das bedeute, dass der Großteil aller Neue Gentechnik-Pflanzen künftig weder auf Risiken geprüft, noch am Endprodukt als Gentechnik gekennzeichnet werde. "Nur auf der Saatgut-Ebene soll es fallweise eine Deklaration geben", so Global 2000. Eine umfassendere Risikobewertung werde nur erforderlich, wenn es "plausible Hinweise" auf Risiken gebe. Überdies sei diese Verordnung von allen EU-Ländern in vollem Umfang umzusetzen, ohne Möglichkeit einer Opt-out-Regelung, die den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, nationale Verbote für bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen zu erlassen.
Auch von Seiten der Grünen wird strikte Ablehnung signalisiert: "Die in diesem Leak angedachten Deregulierungsbestrebungen sind in ihren Auswirkungen katastrophal und rundheraus abzulehnen", ließ der deutsche EU-Abgeordnete Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, wissen. Die angedachte Ausnahme bestimmter gentechnisch veränderter Pflanzen von Risiko-Evaluierung, Nachverfolgung und Kennzeichnung folge "zu 100 Prozent der Rhetorik der Gentec-Lobby" und verlasse den Boden des bisher Gepflogenen.
"Gleichzeitig betont die Kommission, dass auch diese nicht gekennzeichneten Pflanzen im Ökolandbau verboten sein sollen. Wie das ohne Kennzeichnung und Nachverfolgung gehen soll, sagt die Kommission nicht", so Häusling weiter. "Für die Verbraucher brächte dieser Regelungskahlschlag größtmögliche Intransparenz und Null-Wahlfreiheit. Für die Ökobranche wäre es ein vorsätzlich herbei geführter Genickbruch."
SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl nannte den bekannt gewordenen Vorschlag in einer Aussendung einen "Kniefall vor den Biotech-Konzernen. Es kann nicht sein, dass die EU-Kommission jetzt so tun will, als wären gentechnisch veränderte Pflanzen das Gleiche wie konventionelle Züchtungen. (...) Wo Gentechnik drin ist, muss das klar ersichtlich sein. Daran darf sich nichts ändern", so Sidl, der sich auch gegen ein Junktim mit SUR aussprach: "Gentechnisch veränderte Saatmittel und Pflanzen haben weder zu einer Reduktion des Pestizideinsatzes geführt, noch haben sie die Häufigkeiten von Allergien verringert und schon gar nicht haben sie zur Bekämpfung des Welthungers beigetragen."
"Die Neue Gentechnik führt zu einer Monopolisierung der Pflanzenzüchtung", warnte Katherine Dolan, Leiterin des Bereichs Saatgutpolitik bei dem Verein Arche Noah, und macht darauf aufmerksam, dass die EU-Kommission gleichzeitig einen Vorschlag zur Reform des EU-Saatgutrechts vorlegen will. "Die Neue Gentechnik ist ein Hebel für die Großkonzerne, ihre Kontrolle über den Saatgutmarkt und somit über unsere Ernährung weiter auszubauen", so Dolan. Die notwendige Transformation der Landwirtschaft werde dadurch behindert.
Ähnlich äußerte sich am Mittwoch Florian Faber, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands ARGE Gentechnik-frei: "Der vorliegende Entwurf der Kommission ist in sich unausgegoren und widersprüchlich. Er ist garantiert kein Instrument für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion, sondern, bei genauer Betrachtung, ein Affront gegenüber der in Europa höchst erfolgreichen Gentechnik-freien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion."
Global 2000 appelliert an die österreichische Bundesregierung, "diesem Deregulierungsvorstoß eine klare Abfuhr zu erteilen. Die österreichische Position muss klar bleiben: Auch für alle neuen Gentechnik Pflanzen müssen Sicherheitsprüfungen und eine lückenlose Kennzeichnungspflicht bewahrt bleiben." Erwartet wird, dass die EU-Kommission am 5. Juli einen Gesetzesvorschlag vorstellt.
Schon zuvor, nämlich am kommenden Montag, steht im EU-Agrarrat in Luxemburg die Pestizidreduktion (Sustainable Use Regulation - SUR) auf der Tagesordnung, gegen die ebenso wie das Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) die Europäische Volkspartei im EU-Parlament Sturm läuft. Für die Kommission sind beide Gesetze wesentliche Teile des "Green Deals" für mehr Nachhaltigkeit und besseren Schutz der Natur.
Zusammenfassung
- "Die österreichische Bundesregierung muss diesem Gesetzesvorschlag eine klare Abfuhr erteilen", fordert nun Global 2000.