Streit um den Wolf: Begeht Österreich EU-Rechtsbruch?
Die beiden an der Uni Innsbruck lehrenden Europarechtler Walter Obwexer und Peter Hilpold bewerteten die Vorgehensweise Tirols gegenüber der APA als eindeutig EU-rechtswidrig. Für Hilpold werden die Probleme "wohl in Kauf genommen", Obwexer schlug eine Rückkehr zur Bescheid-Variante vor.
Dreh- und Angelpunkt ist laut den EU-Rechtsexperten die sogenannte Aarhus-Konvention, die Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen ein entsprechendes Beschwerderecht einräumt. Es ist laut Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, klar, dass sie das Recht haben müssen, nationale Maßnahmen vor ordentlichen Gerichten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht prüfen zu lassen. Und genau hier hake es mit der derzeitigen Regelung: Aktuell gäbe es nämlich keine Möglichkeit, die Verordnungen vor Gericht zu bekämpfen.
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet
Hilpold bewertete dies als "eklatanten Verstoß gegen diese Konvention". Die EU-Kommission habe zudem bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil sie die Umsetzung der Konvention hierzulande bemängelt. Geht dieses Verfahren zuungunsten Österreichs aus, seien die Verordnungen zwar nicht automatisch gekippt, die Landesregierung müsste ihre Regelung aber anpassen und wieder mit Bescheiden arbeiten, erklärte wiederum Obwexer.
Gelöst werden könne das Problem rechtlich durch eine solche Rückkehr zu Bescheiden, schlug der Europarechtsexperte vor. Gleichzeitig sollten den Landesverwaltungsgerichten jedoch andere bzw. klarere Vorgaben gemacht werden, unter welchen Umständen sie Beschwerden stattzugeben bzw. diese abzuweisen haben.
So müsse nicht nur das durch Abschuss bedrohte Leben des Wolfes berücksichtigt werden, sondern auch eine mögliche Gefahr für Menschen oder für durch den Wolf bedrohte Tiere wie Schafe. Dann müssten die Bescheide auch bei Beschwerden vor dem Verwaltungsgericht halten, sagte Obwexer.
"Stop-and-Go-Policy"
Dass der derzeit beschrittene Verordnungsweg in Tirol "mittelfristig zielführend" sei, bezweifelte Hilpold. "Die Politik hat ihre Handlungsbereitschaft unter Beweis gestellt", es handle sich aber um "überhastete Maßnahmen", die Hilpold als "Stop-and-Go-Policy" bezeichnete. Der Schutzstatus des Wolfes ist in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) geregelt, bei der Verabschiedung im Jahr 1992 habe es aus seiner Sicht "Versäumnisse" gegeben, auch weil es das Wolfsproblem "nur in ganz bescheidener Form" gegeben habe.
Allerdings hätte Österreich erst ab 1995 in dieser Sache tätig werden können.
"Problembewusstsein" in EU notwendig
Innerhalb der EU müsse erst einmal ein "Problembewusstsein" geschaffen werden, immerhin gebe es hier "große Unterschiede im Unionsgebiet", führte Hilpold weiter aus. Oftmals sei es sogar so, dass innerhalb eines Nationalstaates Umweltminister und Landwirtschaftsminister - wie auch in Österreich - unterschiedlicher Meinung seien. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sprach sich gegen die Herabsenkung des Schutzstatus des Wolfes aus, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) ist dagegen anderer Meinung. Die EU-Kommission prüft die Problematik derzeit umfassend.
In der "Tiroler" Causa Wolf ist seit vergangenem Herbst zudem ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshofes (EuGH) anhängig, das auf Ansuchen des Tiroler Landesverwaltungsgerichts aufgrund einer Bescheidbeschwerde eingeleitet worden war. Dieses habe laut Obwexer aber keine direkten Auswirkungen auf die aktuell etwa in Tirol geltende Verordnungslösung. Diese beschäftige sich nämlich nicht mit der Dimension des Rechtsschutzes. Hilpold ging davon aus, dass es in dem Verfahren noch heuer zu einer Entscheidung kommen könnte.
Dass in den aktuellen Verordnungen nur "ein Wolf" zum Abschuss freigegeben werde und nicht das Individuum, das nachgewiesenermaßen für Tierrisse verantwortlich ist, sei europarechtlich bisher noch nicht behandelt worden. Dazu gebe es noch keinen Entscheid des EuGH, sagte Obwexer. Der Europarechtler kann sich jedoch vorstellen, dass die entsprechende Regelung halten könnte - denn ein Jäger könne ja nicht sagen, welches Tier er gerade vor der Flinte habe.
Zu viel Föderalismus?
Doch nicht nur Tirol arbeitet mittlerweile mit Verordnungen - fast jedes Bundesland hat sich eine eigene, landesgesetzliche Regelung geschaffen. Für Hilpold ist dies auch Teil der "Föderalismusdiskussion" und "wäre eine Überprüfung wert" - angesichts der "Kleinteiligkeit des Raumes" und dass sich die "Wolfsthematik nicht regional zuordnen" lasse. Es handle sich um eine "erneute Herausforderung für das föderale System", aber auch für das "nationale, weil eine grenzüberschreitende Kooperation nötig" sei.
In Tirol sorgt das Thema Wolf für stetige Aufregung. Immer wieder stattfindende Rissereignisse auf Tirols Almen erhitzen die Gemüter und machten Forderungen nach Abschüssen laut. Im Frühjahr reagierte die schwarz-rote Tiroler Landesregierung mit einer Gesetzesnovelle, die Abschüsse auf dem Verordnungsweg regelt. Mittlerweile wurden sechs Wölfe zum Abschuss freigegeben, es wurde aber noch keiner erlegt. Anders verhält es sich beispielsweise im Bundesland Kärnten, die mit einer ähnlichen juristischen Handhabe agieren. Dort wurden bereits einige Exemplare abgeschossen.
Zusammenfassung
- Der Abschuss von Wölfen in Tirol gilt - selbst in der Politik - als "juristischer Grenzgang".
- Seit kurzem werden "Entnahmen" der Raubtiere in Tirol via Verordnung statt Bescheid geregelt. Das stößt auf Kritik.
- Die beiden an der Uni Innsbruck lehrenden Europarechtler Walter Obwexer und Peter Hilpold bewerteten die Vorgehensweise Tirols gegenüber der APA als eindeutig EU-rechtswidrig