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35-Zentimeter-Wunde am Reumannplatz: "Mein Leben riskiert"

Im März wurde am Reumannplatz in Wien-Favoriten ein Grundwehrdiener mit Messern attackiert - er erlitt eine 35 Zentimeter lange Stichwunde. Auch diese Tat führte zur Waffenverbotszone. Nun landete der Fall vor Gericht und endete vorerst in einem etwas skurrilen Prozess um einen Tschetschenen, der eigentlich keiner ist, Zeugen, die nicht auftauchten und einen Angeklagten, der es nicht gewesen sein will.

"Du Hure, ich töte dich, ich steche dich ab", wollen Zeugen am 17. März am Wiener Reumannplatz gehört haben. Ein 20-jähriger Syrer soll mit diesen Worten direkt neben dem U-Bahn-Aufgang eine junge Frau bedrängt haben. 

Unter den Zeugen war ein 21-jähriger Grundwehrdiener, dem seine Zivilcourage zum Verhängnis wurde. Er feierte an diesem Tag mit seiner Frau Hochzeitstag und Fastenbrechen. Die beiden kamen vom Eisessen beim Tichy und waren eigentlich schon bei der U-Bahn, als ihnen einfiel, dass sie noch Essen für die Oma besorgen wollten. Sie gingen wieder hoch und stießen auf den Syrer und eine Gruppe Männer, die sich rund um eine junge Frau versammelt hatten.

"Ich habe mein Leben riskiert"

Der Österreicher will den Angeklagten angesprochen haben, er solle die Frau in Ruhe lassen. Immer wieder wurde am Wiener Landesgericht die Aufnahme einer Überwachungskamera hergezeigt. Der U-Bahn-Aufgang und die tumultartigen Szenen, die sich dort abspielten, waren darauf aber nur aus der Ferne und schemenhaft erkennbar.

Jedenfalls musste der 21-jährige Grundwehrdiener flüchten und wurde von drei Personen verfolgt. Irgendwann stürzte er - er hatte einen Zehn-Zentimeter-Schnitt an der Schulter und einen 35-Zentimeter-Schnitt am Oberschenkel erlitten. Als er am Boden lag, wurde noch auf ihn eingetreten. "Ich habe mein Leben riskiert für wen, den ich nicht kenn'", sagte er im Zeugenstand vor Gericht.

Die rund 4.000 Euro Schmerzensgeld, die er erhalten könnte, seien deshalb zu wenig, monierte er. Eine Diskussion, die der Richter mit ihm nicht führen wollte - das sei im Gesetz so geregelt, außerdem sei beim Angeklagten ohnehin nicht viel zu holen. 

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Syrer - er ist seit 2022 in Österreich - Mordversuch, Raub, schwere Körperverletzung und gefährliche Drohung vor. Bei solchen Wunden und bei Tritten auf einen am Boden Liegenden müsse man dessen Tod in Kauf nehmen, so die Staatsanwältin.

Der Prozess fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Vor Beginn untersuchten Polizist:innen mit Maschinengewehren den Gerichtssaal, während des ganzen Prozesses behielten Beamte den Angeklagten und die Zuschauer:innen im Auge.

Wohl auch wegen des vermuteten Sicherheitsrisikos nach Berichten über Auseinandersetzungen zwischen syrischen und tschetschenischen Jugendgruppen in Wien, war es dem Richter besonders wichtig zu betonen, dass der Angeklagte sein mutmaßliches Opfer nur für einen Tschetschenen gehalten habe. Der Mann hat eigentlich nordmazedonische Wurzeln. Mit etwaigen Banden habe der Angeklagte nichts zu tun, sagte sein Anwalt Wolfgang Haas.

Etliche Widersprüche

Der junge Syrer, gekleidet in ein unscheinbares blaues Karo-Hemd, vorgeführt in Handschellen, wollte sowieso alles gar nicht gewesen sein. Er gab zwar die Auseinandersetzung mit der Frau zu - die ihn auch als "Hurensohn" beschimpft habe - zugestochen habe später aber ein Freund von ihm. Das habe dieser ihm später gestanden. Die Polizei konnte diese Person bislang nicht ausfindig machen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt kamen im Prozess einige Widersprüche auf: Auf die Frage des Richters, weshalb er bisher nichts über seinen Freund gesagt habe und den Namen des angeblichen Täters nicht genannt habe, meinte der 20-Jährige: "Ich habe mir gedacht, sie würden es eh herausfinden."

Der Grundwehrdiener wollte sich zwar sicher sein, dass es der Syrer gewesen sei, der zugestochen habe. Meinte aber, dieser habe damals noch eine andere Frisur gehabt. Während des Stiches habe er den Angreifer außerdem nicht gesehen.

Auch, ob er zur Frau tatsächlich gesagt habe: "Ich steche dich ab", war plötzlich nicht mehr so sicher. Der Angeklagte wiederum behauptete, er habe nur mit Pfefferspray gesprüht - von Pfefferspray wollte aber das Opfer nichts mitbekommen haben.  

Raub oder Nötigung?

Angeklagt war der 20-Jährige zusätzlich wegen eines mutmaßlichen Raubes, den er laut Anklage zwei Tage vor der mutmaßlichen Messerattacke begangen haben soll. Dazu behauptete der junge Mann allerdings, dass er nur Schulden eintreiben wollte. Mit Freunden sei er bei einem Mann ebenfalls in Favoriten aufgetaucht und plötzlich hätten "alle Messer gezogen". "Wir haben alle Messer dabei", erklärte er. Laut seinem Anwalt handle es sich aber um Nötigung und keinen Raub. 

Weil aber weder das mutmaßliche Raub-Opfer, noch die Frau, die am Reumannplatz bedroht wurde, auftauchten, wurde der Prozess schließlich auf 2. Oktober vertagt. Vielleicht wird bis dahin auch der Freund, der zugestochen haben soll, ausfindig gemacht. 

Reportage: Jung und kriminell - Gang-Problem in Wien

ribbon Zusammenfassung
  • Wegen versuchten Mordes ist am Donnerstag am Wiener Landesgericht gegen einen 20-jährigen Syrer verhandelt worden.
  • Er soll am 17. März 2024 am Reumannplatz in Favoriten einen Grundwehrdiener niedergestochen und schwer verletzt haben.
  • Der 21-Jährige hatte mitbekommen, dass einige junge Männer - darunter der Angeklagte - ein Mädchen belästigten bzw. beschimpften.
  • Der Angeklagte war nicht geständig, ein Freund habe zugestochen.
  • Das Gericht will nun versuchen, den vom Angeklagten namentlich genannten Mann, den auch ein Zeuge erwähnte, ausfindig zu machen.
  • Zu diesem Zweck wurde die Verhandlung auf den 2. Oktober vertagt.