Widersprüche um das Martyrium des Kindes in der Hundebox
Über Monate hinweg wurde ein Kind in Waidhofen an der Thaya im Waldviertel von der Mutter in eine Hundebox gesperrt, geschlagen, mit Klebeband gefesselt, mit kaltem Wasser übergossen und ausgehungert.
Innerhalb weniger Monate verlor das Kind 20 Kilo, wog bei einer Körpergröße von rund 165 Zentimetern nur noch 40 Kilo und hatte am 22. November 2022 eine Körpertemperatur von nur noch 26,8 Grad. Das Kind fiel für drei Tage ins Koma.
Der 33-jährigen Mutter wird versuchter Mord, Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie Freiheitsentziehung vorgeworfen. Einer möglichen Komplizin wird Bestimmung zur fortgesetzten Gewaltausübung angelastet.
Mehr zu den Hintergründen:
PULS 24 Chronik-Chefreporterin Magdalena Punz berichtet von Prozess in Krems.
Selbst die Staatsanwältin bezeichnete den Falls als "unfassbares Martyrium". Es gebe Fälle, in welchen es nicht gelinge, die Akten in der Arbeit zu lassen, sich abzugrenzen. Dieser Fall gehöre dazu. "Das Kind bettelte um Essen, die eigene Mutter gab ihm nichts", sagte sie vor den Geschworenen.
Wie konnte es so weit kommen? Darauf werden seit Montag Antworten vor Gericht gesucht. Dabei kamen weitere Details des Martyriums zur Sprache. Am ersten Prozesstag taten sich aber vor allem weitere Widersprüche auf. Vor Gericht wurde die Mutter mit Fotos des Kindes konfrontiert.
Videos: Kind apathisch und zitternd
Die beiden Angeklagten erschienen vor Gericht mit Mappen vor den Gesichtern - aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden keine Bildaufnahmen gestattet. Beide brachen wiederholt in Tränen aus.
Die Mutter gab sich dann aber wortkarg, besonders, wenn es um ihr Kind ging. Die Richterin konfrontierte sie mit den zahlreichen Videoaufnahmen, die die Angeklagte selbst von ihrem Kind angefertigt hatte, um sie an die Zweitangeklagte zu schicken. Zunächst war auf einem Foto noch der Bub lachend in einer Wiese zusehen. Dann folgte ein Foto aus der Intensivstation. Drei Tage lang war der Junge schließlich im Koma.
Dazwischen filmte die Mutter den Sohn immer wieder: Teils schrie er in den Videos. Es ist zu sehen, dass der Sohn kaum noch gehen konnte. Er wirkt apathisch, zittert und läuft in einem Zimmer im Kreis. Auch die Hundekörberl, in denen das Kind schlafen musste, sowie die Hundebox wurden im Gerichtssaal aufgestellt. Das Körberl roch laut Richterin immer noch streng nach Hund.
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"Ich hatte das Gefühl, er hasst mich", sagte die Mutter dann über ihren Sohn vor Gericht. Der Bub sei einmal über den Balkon geflüchtet, um Lebensmittel zu holen. Damit er das nicht mehr machen konnte, sei ihr und der Zweitangeklagten die Idee mit der Hundebox gekommen, so die 33-Jährige.
"Ich habe nie die Hilfe bekommen, die ich gebraucht hätte", meint sie. Die Richterin entgegnete: "... die das Kind gebraucht hätte".
Während das Kind in der Box war, habe sie den Haushalt gemacht. Die Mutter gestand, dass sie das Kind geschlagen, mit Wasser übergossen und frieren habe lassen. Sie habe sich auch einen zweiten Hund zugelegt, vor dem das Kind Angst haben sollte.
Der ominöse Harald
Die Zweitangeklagte hätte ihr eingeredet, dass es einen Harald gebe, der sie beobachten würde. Heute glaube auch sie nicht mehr, dass diese Person wirklich existiert. Heute glaube auch sie nicht mehr, dass Harald bestohlen wurde und deshalb das Geld vom Verkauf ihrer Wohnung, das sie der Zweitangeklagten übergab, verschwunden sei.
Die Mutter bekannte sich teilweise schuldig. Sie habe ihrem Kind "Qualen" zugefügt, jedoch nicht versucht es zu ermorden. "Ich habe das nicht so wahrgenommen", meinte sie zur Richterin. Sie hätte nicht gemerkt, dass sich das Kind in Lebensgefahr befinde und könne sich auch nicht erklären, warum sie so gehandelt hätte.
Sie sagte aber auch, dass sie gemerkt hätte, dass es ihrem Sohn schlecht gehe. "Haben Sie einen Arzt gerufen?", fragte die Richterin: "Nein", antwortete die Angeklagte einsilbig.
Kein Besuch im Krankenhaus
Die Richterin konfrontierte die Frau immer wieder, stand dabei teilweise und schlug einen schroffen Ton an: Ihre Aufgabe als Mutter wäre es gewesen, ihr Kind liebzuhaben und für das Kind zu sorgen.
Als die Mutter wieder erwähnte, sie habe so gehandelt, weil es ihr die Zweitangeklagte gesagt hätte, fragte die Richterin: "Sind Sie als Mutter zuständig?" "Ja, eigentlich schon", murmelte die Angeklagte.
Die Vorsitzende brach auch zur Sprache, dass die Frau nicht versucht habe, ihr Kind im Krankenhaus zu besuchen. Sie habe vielmehr versucht, ihr Handy verschwinden zu lassen. Sie habe es zertrümmert, in Wasser gehalten und auf einem Spazierweg in einen Mistkübel geworfen. Es wurde gefunden, die Chats konnten teilweise wieder hergestellt werden.
Die Anwältin der angeklagten Mutter, Astrid Wagner, im Interview.
"Ein Hascherl"
Anwältin Astrid Wagner versuchte die Taten aus der Sicht ihrer Mandantin, der Mutter, - die eine "sehr hilflose Person, ein Hascherl" - sei, zu erklären. Die Mutter habe eine "spezielle Persönlichkeitsstruktur" dazu sei eine "unglückselige Verkettung von Umständen gekommen".
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Sie sei mit dem Kind überfordert gewesen, vor allem, nachdem ihre Mutter gestorben war. Sie habe die Zweitangeklagte - laut Wagner eine "bösartige" und "sadistische Person" - kennengelernt. Wagner sprach von "Hörigkeit", die die Mutter entwickelt habe - man kenne das von Sekten.
Weiterer Prozess möglich
Die 40-jährige Zweitangeklagte habe sie dann angeleitet, habe eine Person namens Harald erfunden, die die Mutter überwachen würde, habe ihr das gesamte Geld abgenommen und selbst "in Saus und Braus gelebt", während ihre Mandantin kein Geld mehr zum Einkaufen gehabt habe. Sie habe sich etwa die neusten Elektrogeräte gekauft. Wagner kündigte einen weiteren Prozess an, bei dem es um mutmaßlichen Betrug gehen soll.
Die Schilderungen der Zweitangeklagten widersprachen die der Mutter wiederum. Sie wollte sich laut ihrem Anwalt Sascha Flatz eigentlich nur teilweise schuldig bekennen, überraschte dann aber vor Gericht. Sie bekannte sich schuldig, meinte, bei der Polizei gelogen zu haben. Die Bestimmung zur Gewaltausübung gestand sie aber nicht.
Mehrmals betonte sie, dass sie gedacht hätte, die Situation sei gar nicht so schlimm. Sie brachte ins Spiel, dass die Mutter ja Kontakt zu Ärzten gehabt habe, dass das Jugendamt im Haus gewesen ist – nämlich am 28. Oktober und am 19. November 2022.
Die Rolle der Behörden in dem Fall untersucht eine unabhängige Expertengruppe seit August 2023. Aus dem Büro der niederösterreichischen Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) heißt es aktuell nur, dass man in der finalen Phase sei.
"Ich war mit dem Ganzen auch überfordert"
"Ich war mit dem Ganzen auch überfordert. Ich weiß, wenn ich zu Polizei gegangen wäre, wäre das alles nicht passiert", sagte jedenfalls die 40-jährige Zweitangeklagte vor Gericht. Irgendwann sei es ihr "wuascht" gewesen. Sie gestand ein, die Mutter aufgefordert zu haben, Wasser über die Füße des Kindes zu schütten. Dass die Mutter das Kind in die Hundebox gesperrt und geschlagen habe, hätte sie aber nur gewusst.
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Laut den Schilderungen der Zweitangeklagten, habe ihr die Mutter aber gesagt, dass sie auch vom Sohn geschlagen werde. Deshalb habe sie der Mutter auch geschrieben, dass das Kind "ein Schwein" sei.
Dass sie die Mutter aufgefordert hätte, dem Kind Schaden zuzufügen, wollte sie aber auch nach der Vorlage von Chats nicht eingestehen. "Ich weiß, dass ich das geschrieben habe", sagte sie mehrmals dazu. Erklärungen lieferte sie aber kaum.
Aus einem Chat ging etwa hervor, dass sie der Mutter schrieb, sie solle dem Sohn weniger zu essen geben. Vor Gericht erklärte die Frau, dass sie selbst lange an einer Essstörung gelitten habe und die Kontrolle von Essverhalten schon lange ein Thema in ihrem Leben sei.
Wo ist das Geld?
Dass sie sich den ominösen Harald ausgedacht habe, stritt sie ab – die Idee sei von der Mutter des Buben ausgegangen. Auch will die Zweitangeklagte der Frau längst alles Geld zurückgegeben haben.
In diesen Punkten tun sich erhebliche Widersprüche zwischen den Aussagen der beiden Frauen auf. Wo das Geld tatsächlich geblieben ist, interessiert vor allem die Opfervertreter – sie fordern für den nunmehr 13-Jährigen Schmerzensgeld in der Höhe von 150.000 Euro und Ersatz für zukünftige Schäden.
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Opferanwalt Timo Ruisinger wirft der Mutter vor, sich bis heute nicht entschuldigt zu haben. Sie bestreite den gravierendsten Vorwurf, dass das Kind fast gestorben wäre. "Ernstgemeinte Verantwortungsübernahme sieht anders aus."
Die Gutachterin erläuterte, dass der Wille des Kindes gebrochen wurde. Es sei wahrscheinlich, dass sich das Kind psychisch nie ganz erholen werde.
Urteil am Donnerstag geplant
Die Angeklagten waren dem psychiatrischen Gutachten von Peter Hofmann zufolge zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig. Es bestehe die große Wahrscheinlichkeit, dass die Frauen in absehbarer Zeit erneut schwere Körperverletzungsdelikte begehen werden.
Die Mutter könnte im Fall einer Verurteilung wegen versuchten Mordes bis zu lebenslange Haft ausfassen. Die Strafdrohung für die Mitangeklagte wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin beträgt bis zu fünfzehn Jahre.
Für beide Frauen wurde seitens der Staatsanwaltschaft Krems die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum beantragt.
Am Dienstag wird die Geschworenenverhandlung fortgesetzt, Urteile sind für Donnerstag geplant.
Zusammenfassung
- Am Landesgericht Krems ist am Montag ein dreitägiger Prozess um einen nunmehr 13-Jährigen gestartet, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und gepeinigt worden sein soll.
- Der 33-jährigen Hauptangeklagten wird u.a. versuchter Mord vorgeworfen. Sie bekannte sich teilschuldig.
- Einer möglichen Komplizin wird Bestimmung zur fortgesetzten Gewaltausübung angelastet, was von der 40-Jährigen zum Teil bestritten wurde.
- Weiter geht die Verhandlung am Dienstag.