Garsten in Oberösterreich macht Grünflächen zu Buntflächen
Intensive Landwirtschaft, Verbauung und gründlich gepflegte Grün- und Gartenflächen verdrängen die meisten Tier- und Pflanzenarten. Zuerst verschwinden die Insekten, dann Vögel, Fledermäuse, Frösche und andere Tiere. All das ist auf den Verlust geeigneter Lebens- und Rückzugsräume der jeweiligen Arten zurückzuführen. Deshalb setzt sich der Nationalpark Garten zum Ziel, die Biodiversität in kleinen Schritten wieder in unsere Gärten, Parks, Wiesen und sogar auf Friedhöfe oder Parkplätze zurückzuholen.
Grundsätzlich kann laut Global 2000 jeder an diesem Projekt teilnehmen, egal ob Schule, Verein, Gemeinde oder Privatgärtner. Die vier Vorgaben sind simpel: Man soll auf Pestizide, Kunstdünger und torfhaltige Garten- und Blumenerde verzichten und die Pflanzenvielfalt fördern, um Nahrungsangebot und Lebensraum für Tiere zu schaffen. Dafür braucht es nicht den ganzen Garten oder gar alle öffentlichen Flächen einer Gemeinde, ein einfaches Blumenkisterl am Balkon reicht aus, um mitwirken zu können, wenn man es den Regeln entsprechend betreibt.
Auf regelmäßig gedüngten Flächen oder Wiesen mit einer nährstoffreichen Humusschicht vermehren sich laut dem Biologen und Vorstandsmitglied von Global 2000 Dominik Linhard vor allem einige konkurrenzstarke Arten. Jene wenigen Pflanzen, die mit einer Überfülle von Nährstoffen gut zurecht kommen, vertreiben und ersetzen viele andere, die solch reiche Kost nicht vertragen. Artenvielfalt entsteht also eher dort, wo es weniger Nährstoffe gibt. Eine Fläche, auf der im Zuge von Bauarbeiten der Humus abgetragen wurde, eignet sich somit recht gut für Biodiversität. Genau so nahm das Projekt in Garsten seinen Anfang.
Als der Fischaufstieg des Ennskraftwerks erneuert wurde, blieb eine Fläche zurück, die ursprünglich wieder normal mit Wiesengras hätte bepflanzt werden sollen. Laut Elisabeth Quinonez und Petra Wallentin von "Garsten For Future" sei der Lastwagen dafür schon bereit gestanden, als sie an einem Freitagnachmittag den spontanen Einfall hatten, man könne doch die Umstände nutzen, um etwas für die Artenvielfalt zu tun. Nach einem kurzen Telefonat erklärten sich die Betreiber des Kraftwerks einverstanden, unter der Voraussetzung, es sei bis Montag ein Plan zusammengestellt.
Dies stellte sich als keine leichte Aufgabe heraus, denn im Internet fanden sich mehrere Tausend mehr oder weniger gut geeignete Samenmischungen. "Da waren wir kurzfristig mal bisschen verzweifelt", schmunzelt Quinonez. Mit der Hilfe des Steyrer Landschaftsplaners Markus Kumpfmüller konnte man schließlich die optimale Option ausfindig machen, und so war das erste Biodiversitätsgebiet in Garsten geboren. Um diese Idee auszuweiten, wandte sich die Bürgerinitiative an die Gemeinde, wo Bürgermeister Anton Silber (ÖVP) und sein Team schnell mit an Bord geholt werden konnten. Von da an ging es Schlag auf Schlag: Mehrere Kilometer Bahndämme, Bachufer, Grünflächen und sogar der Parkplatz des Freibads wurden im Sinne der Artenvielfalt neu gestaltet. Diese Parkfläche ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass der Artenvielfalt gewidmete Flächen nicht brach und ungenützt sein müssen. Sowohl die Schotterfläche als auch die speziell bepflanzten Begrenzungsstreifen bieten einer Vielzahl von Arten geeigneten Lebensraum. "Das ist ein Leuchtturmprojekt für die Region, auch aufgrund der Nähe zum Wasser der Enns", so Silber im Gespräch mit der APA.
Ergänzend dazu entstand der "Schau-Genau-Weg", der sich bisher rund einen Kilometer am Garstner Bach entlang schlängelt und dabei mehrere speziell beschilderte Artenvielfaltsbereiche und Biotope passiert. Die aufwendig gestalteten Schautafeln entstanden großteils aus Kooperationen aus dem Umfeld von "Garsten For Future". Eine Grafikdesignerin steuerte den Inhalt bei, ein Tischler spendete die Holzteile und ein lokaler Installateur die Kugellager und Stangen. Auch Imker, deren Schützlingen die bunt bewachsenen Flächen sehr gut gefallen, beteiligten sich an dem Projekt. Aber nicht nur Tiere und Pflanzen erfreuen sich an den entstandenen Biodiversitätsparadiesen: Kindergarten- und Volksschulgruppen spazieren über die Schotterwege, während sich manch ältere Semester erinnern, solche Wiesen seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen zu haben.
Wegen der vielen lokalen Kooperationen und weil an vielen der besagten Stellen wegen Bauarbeiten die Humusschicht bereits entfernt worden war, konnte man die Kosten und den Aufwand laut Bürgermeister Anton Silber dennoch relativ gering halten, gibt es doch für solcherlei Projekte keine staatlichen Fördermittel. Trotzdem schreckt das Team von "Garsten For Future" auch vor mühseliger Handarbeit nicht zurück: In regelmäßigen Abständen wird auf den Bio-Heuwiesen Ampfer gerupft oder es werden invasive Arten entfernt. Außerdem kann man nicht jede Wiese einfach umgraben, bis kein Humus mehr da ist. Solche Flächen müssen über einen längeren Zeitraum regelmäßig abgemäht und die Rückstände entfernt werden, ein aufwendiger und langwieriger Prozess, den man auch als "ausmagern" bezeichnet. So soll es in Bälde auch mit Wiesen der Mittelschule, des Altersheims, der Justizanstalt und der Pfarre geschehen.
Schon nach einem Jahr sind in und rund um die Artenvielfaltsflächen deutliche Unterschiede zu bemerken. So sind Bachamseln und Eisvögel zurückgekehrt, und unter Wasser kann man Äschen und Bachforellen finden. Das bedeutet, dass auch die Anzahl der Insekten schlagartig gestiegen sein muss, was man an der Menge der Schmetterlinge, Käfer und Bienen auch deutlich erkennen kann. Infolgedessen vermehren sich auch größere Raubtiere wie Füchse oder Turmfalken, die im Turm des ehemaligen Stifts Garsten ihr Lager aufgeschlagen haben.
Natürlich muss man keine perfekte Magerwiese erzeugen, um Biodiversität in den eigenen Garten zu holen. Ein Mitarbeiter des Garstner Bauhofs erklärt: "Grundsätzlich eignet sich jede Fläche für Artenvielfalt, solange sie keine Sichtbehinderung für den Verkehr darstellt". Nicht jeder Ort sei aber für reine Magerwiesen gleich gut geeignet, und wie so oft in der Natur ist nicht alles schwarz oder weiß. Wenn magere Grünflächen naturbelassen und nur selten (ein- bis zweimal pro Jahr) gemäht werden, können sich viele heimische Arten entfalten. Diese sorgen ebenso für eine blühende Artenvielfalt, selbst wenn sie sich beispielsweise zu einer Mischung aus Fett-, Mager- oder Margeritenwiesen entwickeln. Solange invasive Arten einigermaßen ferngehalten werden und sich die Pflege auf ein Minimum beschränkt, kann schnell ein natürliches Gleichgewicht entstehen.
Das soll natürlich nicht heißen, dass jeder seinen Garten im Sinne der Biodiversität ausmagern und verwildern lassen muss. Das Verzichten auf Dünger, Pestizide und zu häufiges Mähen macht aber schon einen großen Unterschied. Auch im Privatgarten gilt: heimische Pflanzen wie Buchenhecken, Lorbeer, Liguster oder Apfelbäume lassen ganz von selbst vielfältige Lebensräume entstehen. Schon ein kleines Kräuterbeet, eine "magere Insel" oder ein wildes Eck im Garten können Wunder bewirken.
"Brennnesselfelder sind da schon was für Fortgeschrittene", lacht Petra. Es brauche nur etwas Mut, und die Fähigkeit, die Schönheit der Natur zu erkennen, um zumindest Teile eines Gartens biodivers zu gestalten. Die Gemeinde Garsten setzt zur Bekämpfung von Straßenkrautwuchs anstatt von Pestiziden auf einen sogenannten Flämmer, der die unerwünschten Pflanzen buchstäblich wegbrennt. Dünger und Torf werden grundsätzlich nicht verwendet, auch deswegen, weil dann öfter gemäht werden müsste, was weder dem Gemeindebudget noch der Artenvielfalt zugute käme.
Die Gemeinde Garsten ist nicht nur in Sachen Artenvielfalt sehr fortschrittlich: Ein intelligentes Stromnetz wurde etabliert, welches durch das Ennskraftwerk, aber auch durch viele private Solaranlagen gespeist wird und den Strom je nach Bedarf verteilt. Außerdem soll laut Elisabeth Quinonez von "Garsten For Future" der Bahn- und Radverkehr im Ennstal weiter ausgebaut werden. "Nationalpark Garten" in Garsten hat zwar schon viel erreicht, abgeschlossen ist es aber noch lange nicht. Viele neue Flächen sollen noch umgestaltet und für die Biodiversität erschlossen werden. Damit will man neben einem gesunden Gleichgewicht auch eine Sensibilisierung gegenüber der Biodiversität und ihren Anforderungen erreichen, denn der Glaube, dass ein englischer Rasen "eh Natur" sei, ist immer noch weit verbreitet. Auch aus diesem Grund soll kommenden Herbst und Winter in Zusammenarbeit mit Lehrerinnen und Lehrern anschauliches Lehrmaterial erstellt werden, welches einer neuen Generation die Wichtigkeit einer gesunden Artenvielfalt vor Augen führt.
Garsten ist die erste "Nationalpark Garten Gemeinde" in Oberösterreich, aber sicherlich nicht die letzte. Die Organisatoren hoffen, dass die Resultate auch andere potenzielle Teilnehmer inspirieren, denn mit jeder beteiligten Gemeinde, jeder Grünfläche, jedem Garten und jedem torf- und chemiefreien Blumenkisterl kann sich die Artenvielfalt in Oberösterreich Stück für Stück wieder erholen.
(S E R V I C E : https://www.global2000.at/nationalparkgarten, https://www.garstenforfuture.at/)
Zusammenfassung
- Seit dem 23. Mai ist es offiziell: Garsten ist die erste "Nationalpark Garten Gemeinde" Oberösterreichs.
- Garstens Bürgermeister, Bauhofmitarbeiter und Mitglieder der Bürgerinitiative "Garsten For Future" schildern im APA-Gespräch, was nötig ist, um als Gemeinde oder privat daran teilzunehmen.
- Das soll natürlich nicht heißen, dass jeder seinen Garten im Sinne der Biodiversität ausmagern und verwildern lassen muss.